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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Angesichts einer unzähligen Menschenmenge, meist Blousenleuten und halbwüchsigen Burschen, welche auf die Nachricht von dem Einmarsch der Deutschen aus der ganzen Stadt hierher geeilt waren und sich nun skandalbereit herumtrieben. Man sah nur wenige wirklich anständige Menschen, die Fensterläden aber waren in allen Etagen fest verschlossen oder schienen wenigstens fest verschlossen zu sein, denn manchmal konnte man deutlich wahrnehmen, wie sie sich leise bewegten, wie hinter ihnen ein Vorhang sacht zur Seite geschoben wurde und wie das neugierige Gesicht einer Pariserin dahinter sichtbar wurde, um sofort wieder zu verschwinden, wenn man lachend die Aufmerksamkeit der umstehenden Soldaten darauf zu lenken suchte.

Gegen zwei Uhr endlich rückten die Baiern in geschlossenen Massen an. Ihrem Einmarsch schien sich für den Augenblick ein Hinderniß entgegenstellen zu wollen, als hinter dem Triumphbogen eine Rotte Blousenmänner und Gassenbuben – wohl tausend Köpfe stark – eine Erdbarricade aufgeworfen hatten und ihr republikanisches Leben auf dem Altar des Vaterlandes hinopfern zu wollen schienen. Ein betäubendes Gebrüll tönte den Anmarschirenden entgegen; die aber ließen sich nicht weiter irre machen, sondern schwenkten nach kurzem Besinnen mit rauschender Musik links um den Triumphbogen herum und die Pariser Maulhelden waren um ihren Theatercoup, auf den es doch allein abgesehen war, in der einfachsten Weise gebracht. Freilich begleitete die Baiern unbeschreibliches Zischen fort und fort, jene marschirten in unveränderten Reihen weiter, lachend hörten sie Alles mit an, indeß der süße Pöbel straßenbreit Arm in Arm dem Musikcorps vorauf und neben ihm hinzog, entweder pfeifend oder die Marseillaise singend. Das dauerte bis zum Concordienplatz, wo die Baiern die Gewehre zusammenstellten, indeß die Menge sich vertheilte und größtentheils wieder dem Triumphbogen zulief, den neu ankommenden Regimentern den gleichen Empfang zu bereiten. Ueber den mit seinen kolossalen Formen schwerfällig in die Höhe ragenden Triumphbogen glaube ich hier kein Wort der Beschreibung verlieren zu müssen, da er schon so oft geschildert worden ist und da ich auch hoffen darf, in meiner Illustration die Raumverhältnisse des gewaltigem Baues mit größter Genauigkeit wiedergegeben zu haben. Der Generalstab, den ich auf meinem Bilde gezeichnet habe, passirte etwa eine halbe Stunde nach den Baiern den Triumphbogen, ebenfalls außen links herum, dann aber sich dicht an den Bogen wieder hindrängend und gegen die Mitte einschwenkend; es war der des General von Tümpling.

Es wurde nach und nach Abend, die Soldaten hatten sich in ihren Quartieren zurechtgefunden und standen oder promenirten nun mit ihren mächtigen deutschen Tabakpfeifen in den schönen Straßen von Paris herum. Auch ich mußte auf ein Nachtquartier denken und wendete mich deshalb nicht umsonst an einen jungen Unterofficier vom zweiundzwanzigsten Regiment, der mich mit der größten Bereitwilligkeit und Freundlichkeit in seiner Wohnung, Rue Mac Mahon 113, aufnahm. Ein herrlicher Mondschein ließ mich indessen noch nicht zur Ruhe kommen, ich trieb mich mit den Soldaten auf den halbdunkeln Straßen herum, gleich ihnen mit den Einwohnern Bekanntschaft machend, oder nach einem Glas Wein oder Bier fahndend, bis der Zapfenstreich auch dem ein Ende machte und die letzte Strophe der vielen schönen deutschen Lieder verhallt war, welche unsere wackeren Soldaten am Bivouacfeuer auf den Plätzen und umdrängt von den lauschenden Parisern sangen.

Am nächsten Morgen trieb es mich hinüber in das eigentliche Paris. Eine Zeit lang ging ich unschlüssig an den Uebergängen hin und her, die – es mochte nun ein Platz, oder eine Straße, oder eine Brücke sein – diesseits wie jenseits auf einer Entfernung von zwanzig bis vierzig Schritten von deutschen und französischen Posten bewacht wurden. Bald aber sah ich, daß heute der Verkehr herüber wie hinüber ungehindert stattfand, während er Tags zuvor nur mit Passirscheinen möglich gewesen war; so schlug ich mich denn ohne Besinnen durch die Posten und war denn auch in wenigen Minuten drüben. Mit klopfendem Herzen, ich gestehe es, denn wenn ich auch selbst Tags und Abends zuvor keine einzige Ruhestörung mitangesehen hatte, so war mir doch von dieser und jener Brutalität Kunde geworden, die sich der Pariser Pöbel an anderen Orten gegen Männer und Frauen erlaubt hatte, denen das Unglück begegnet war, sein Mißtrauen zu erregen oder sein Mißfallen auf sich zu ziehen.

Auch hier in den Straßen fand ich in der Nähe der Demarcationslinie fast alle Läden geschlossen, dafür lagerten überall französische Truppen – an der Madeleine-Kirche, auf dem Platze Vendome, sowie in den anstoßenden Straßen, war Alles voll Mobilgardisten; Chasseurs zu Pferde, sowie die ehemalige Kaisergarde zu Pferde ritten unaufhörlich mit gezogenen Säbel die Straßen auf und ab. Ich näherte mich den schönen Boulevards, und das herrliche, sonnendurchglänzte Frühlingswetter begünstigte meinen Einblick in das Pariser Leben. Vor den dichtgefüllten Cafés waren ganze Reihen Stühle hintereinander aufgestellt, mit Mobilgardisten und anderen Gästen, Herren und Damen besetzt – das wogte und schwirrte und plauderte und lachte durcheinander, als ob die Welt im tiefsten Frieden läge, und als ob die deutsche Armee sich ganz wo anders befände, und nur nicht in der „heiligen Stadt“ Paris. Omnibusse fuhren vorbei, der Verkehr, den sie vermittelten, war der lebhafteste. Es war nur schade, daß ich nirgends lange verweilen und noch weniger die Straßen oder die Menschen mit der dem Fremden eigenen Neugierde betrachten durfte. Manchmal mochte mir das denn doch wohl passiren, so sehr ich auch auf der Hut zu sein bestrebt war; dann aber konnte ich gleich bemerken, wie Vorübergehende oder Umstehende mich in höchst fataler Weise zu mustern begannen – ja, ein paarmal hörte ich auch in’s Ohr sagen: „voilà un Allemand.“ Ich ließ mich aber nicht einschüchtern: hatte ich mir doch Maryland-Cigaretten gekauft, mit denen ich trotz dem echtesten Pariser drauf losqualmte; hatte ich mich doch mit der neuesten Nummer des Journal officiel versehen, in der ich, wie fast jeder Pariser, mit dem größten Eifer zu lesen begann, sobald ich etwas Unheimliches zu bemerken glaubte, im Portemonnaie hatte ich gleichfalls vorsichtiger Weise nur französische Münze, und so schlenderte ich denn die Boulevards entlang, scheinbar ganz unbekümmert, die Maryland-Cigarette im Munde, die Linke in der Hosentasche und in der Rechten das Zeitungsblatt, bereit zum augenblicklichen Gebrauch.

Am Boulevard St. Denis bog ich rechts ab nach den Tuilerien zu, glaubte aber in einer Restauration des Boulevard de Sebastopol noch einmal einkehren zu müssen, denn ich hatte einen unbändigen Hunger. Auf der Firma hatte ich gelesene: Déjeûner et dîner. Hier hoffte ich mich in Ruhe erholen zu können und bestellte mir denn sofort beim Eintritt eine Flasche Bordeaux und ein Dejeuner. Der Garçon sah mich eigenthümlich von der Seite an und verschwand. Ich blieb lange allein und es fing mir an unhaglich zu werden, zumal als ich bemerkte, daß durch das in die Gaststube führende Küchenfenster nacheinander mehrere Gesichter zum Vorschein kamen, die mich ziemlich unfreundlich anstierten und bei der ersten ungeduldigen Bewegung meinerseits wieder verschwanden. Ich überlegte eben, ob es nicht passend für mich sei, unter solchen Umständen einen concentrirten Rückzug anzutreten. Da trat der Garçon wieder in das Zimmer. Er trug eine Flasche in der Hand, bei deren Anblick mir etwas leichter um’s Herz wurde. Die Flasche schob er mir verdrießlich hin, dabei kurz bemerkend, zu essen könne ich nichts bekommen. Vermuthlich um die Wahrheit seiner Behauptung zu bekräftigen, hatte er die Küchenthüre offen stehen lassen, durch die mir ein so vollkräftiger Geruch von Gebratenem und anderen Delikatessen in die Nase stieg, daß mein Magen noch mehr gereizt und daß mir fast übel wurde. Aber ich bezwang mich; schweigend und duldend goß ich die Flasche Bordeaux in den leeren Magen und eilte dann, nach geschehener Bezahlung, aus der ungastlichen Höhle, meinen dringendsten Hunger bei einem Bäcker mit Weißbrod zu stillen.

Am Louvre, in der Rue Rivoli fand ich große Aufregung. Da, wo der Eingang von dieser Straße in die Tuilerien ist, wogte eine ungeheure Volksmasse hin und her, Schreien, Zischen, Heulen, Pfeifen erfüllte fast betäubend die Luft. Die hohen starken Gitterthore waren geschlossen; Jungen waren an denselben in die Höhe geklettert, als ich aber näher kam, sah ich, daß es sich um eine Demonstration gegen deutsche Soldaten handelte, welche compagnieweise im Louvre herumgeführt wurden. Der Pöbel entblödete sich nicht, durch das Gitter die Unbewaffneten mit Steinen zu bewerfen. Hier war nicht gut sein. So trollte ich denn eine Strecke unter den schönen Arcaden der Rue Rivoli hin, kaufte mir einige Ansichten von der „heiligen Stadt“ und machte mich alsdann wieder auf den Heimweg nach dem „deutschen Paris“.

Hier war mir noch eine kleine Ueberraschung vorbehalten und nicht die angenehmste. Während ich mich in dem „französischen Paris“ herumgetrieben hatte, war von diesem die Weisung an die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 235. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_235.jpg&oldid=- (Version vom 22.3.2021)