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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


das?“ rief der Erstarrte. „Wo kommt denn auf einmal das viele Geld her? Das kann kein anderer Mensch hingelegt haben als der Floßer-Martl – es war also nur eine Ausred’, daß er nit so viel bei sich hat; er hat mir’s nur so verstohlener Weis’ geben wollen, blos daß ich ihn nit soll danken können. O Du guter, Du braver Bursch! Du wärst werth, daß man Dich in Gold fassen ließ –“ Plötzlich verstummte der Ausbruch seiner Freude – zu unterst in dem Blatt Papier, in welches das Geld gewickelt war, lag ein kleiner silberner Ring, den er wie ein Träumender betrachtete. „Du kommst mir nochmal vor die Augen?“ sagte er in sich hinein. „Ich kenn’ dich gar gut, wenn ich auch nit gedacht hab’, daß du mir noch einmal vor die Augen kommst. … Das Geld ist also von ihr? Sie war also da, und ich hab’ sie nit erkannt und nit einmal gesehen. … Rosl, wo bist denn?“ rief er aufspringend und nach allen Seiten spähend. „Rosl, hör’ doch! Laß mich Dir wenigstens danken! Laß Dich wenigstens nochmal vor mir sehen!“ Nirgends war eine Spur der Gesuchten zu entdecken, nirgends eine Möglichkeit, die Gesuchte nach so langer Zeit in dem Gewühle wiederzuerkennen. Der Alte in seiner Freude überdachte das nicht; mit dem wiederholten Rufe „Rosl!“ drängte er durch die Menge, die ihn verwundert und lachend betrachtete und meinte, der alte weißhaarige Geselle hätte auch nicht mehr nöthig, so lebhaft nach seinem Schatz zu rufen.

Indessen hatte nicht ferne davon eine Begegnung von nicht minderer Wichtigkeit stattgefunden. Stasi war kaum gewahr geworden, daß sie sich von den Ihrigen verloren, als sie trotz ihres entschiedenen Wesens eine solche Anwandlung von Scheu und Muthlosigkeit verspürte, daß ihr die Wangen brannten, und sie die erste im Gewühl sich darbietende Lücke benützte, um hinaus auf eine freie Stelle und von da zum Tölzer Wirthe zu gelangen, denn dort mußten ihre Angehörigen bereits sein oder doch in kurzer Zeit eintreffen. Gesenkten Blickes und mit hastigen Schritten eilte sie über die Wiese, gejagt voll allerlei Bemerkungen und Ausrufungen der Städter, die einander verwundert die hübsche Oberländerin zeigten, die so ganz allein auf der Wiese herumspaziere. „Auf Cerevis, Bruder! “ rief ein Student. „Das ist einmal eine saubere Dirne! Der sollte man eigentlich nachsteigen.“ Früher wäre Stasi wohl nicht so furchtsam und blöde gewesen und hätte auf solche Zudringlichkeiten und Spöttereien zur Genüge zu erwidern gewußt; aber sie war eben so ganz von innen heraus eine Andere geworden, daß sie sich selbst nichts mehr zutraute: der trotzige Uebermuth, der ihr früher einen Halt gegeben, war gebrochen, und eine andere stützende Kraft hatte sie in sich noch nicht gefunden. Sie wußte kaum, wie sie den Fuß des Hügels erreichte und über denselben hinaufkam; sie athmete hoch auf, als sie, oben angelangt, die Hütte mit dem Raben erblickte. Schon war sie bis auf wenige Schritte herangekommen, als sie plötzlich anhielt, und wie ein Reh, das im Walde den spürenden Jäger wittert und vor demselben umschlägt, in das Gebüsch sprang, das sich an einem Feldrain in der Nähe der Schenke hinzog, eben so schnell aber hatte sie sich wieder eines Andern besonnen und blieb hart am Wege stehn, das Auge fest dahin gerichtet, von wo ihr der Schrecken gekommen war.

Dort stand der Flößer-Martl mit seinen Bergschützen zusammen.

Er schien ihnen Befehle zu ertheilen, und wie er so an ihrer Spitze herangeschritten kam, sah er vollends aus wie ein General, von seinem Stab und Commando umgeben. Noch wenige Schritte – dann mußte sie ihm gegenüberstehen; aber sie wartete seiner, festen Fußes und ruhigen Blutes, wenn ihr auch das Herzblut bis in die Kehle hinaufschlug und den Athem zuschnürte, daß sie dem Umsinken nahe war.

Der Augenblick, nach dem sie verlangt, auf dessen Eintritt sie gehofft, wegen dessen sie so gedrängt hatte, nach München zu kommen, war da.

Im Eifer des Dienstgespräches hatte der junge Hauptmann die seitwärts am Raine stehende Dirne kaum beachtet – er stand daher nicht minder betroffen, als sie, über und über mit Purpur bedeckt, plötzlich in seinen Weg trat. „Grüß Gott!“ sagte sie mit zitternder Stimme. „Gehts nur Eures Wegs, Ihr Bergschützen. Ich hab’ ein Wörtl mit Eurem Hauptmann zu reden.“

Martl hatte es die Sprache verschlagen; er konnte nur mit einem Wink seine Genossen verabschieden, die langsamen Schrittes, ein verwundertes Lächeln in den Mienen, sich entfernten.

„Hab’ ich denn recht gehört?“ fragte er. „Du hast was zu reden mit mir?“

„Ja“, entgegnete sie, „und Du kannst wohl errathen, was es ist … denn das wirst wohl auch begreifen, daß es nit so bleiben kann zwischen mir und Dir … drum hab’ ich eine Bitt’ an Dich.“

„Du? Eine Bitt’ an mich? Was soll das sein?“

„Frag’ nit!“ sagte sie, anfangs mit Anstrengung; allmählich aber wurde ihr leichter um’s Herz, und mit jedem Worte floß die Rede ihr natürlicher und so weichen Falles von den Lippen, daß sie den Eindruck nicht verfehlen konnte. Der Bursche, schon über Begegnung und Anrede betroffen, lauschte dem Tone, als wäre er in eine Märchenwelt verzaubert; allmählich und wie unbewußt hatte er den Hut vom Kopfe genommen, so war sie vor ihm gestanden beim ersten Begegnen, ehe die Wolken des Unmuths und Trotzes das schöne Angesicht entstellt hatten! Das waren die verstrickenden Augen, in die er damals geschaut, und deren ersten Eindruck, so sehr er sich selber gescholten, alle spätere Unbill nicht zu verwischen vermocht hatte! Sie stand wieder vor ihm, dieselbe an Schönheit, aber auch unendlich bestrickender durch die weiche, fast demüthige Haltung, mit der sie ihr Auge, das sonst so stolz zu blicken pflegte, gleichsam wie Schutz flehend zu ihm aufschlug. „Stell’ Dich nit so an!“ sagte sie. „Du errathst es wohl, was ich von Dir will; Da mußt es errathen, sonst wärst Du der Bursch nit, der Du bist! Es ist dieselbe Bitt’, wegen der ich mein’ Vater schon an Dich geschickt habe, und die Du mir damals abgeschlagen hast. –“

Martl antwortete nicht, und griff unwillkürlich nach der am Halse hängenden Goldkapsel. „Ah, Du willst dies da!“ rief er, nicht ohne Bitterkeit. „Jetz’ versteh’ ich Dich freilich. Es ist Dir nit recht, daß ich ein Andenken von Dir hab’; Du willst mir’s abnehmen und den Leuten damit die Mäuler stopfen.“

„Es ist nit derentwegen,“ entgegnete Stasi fest. „Ich verlang’s nit der Leut wegen, sondern Deinetwegen … es leid’t mich nimmer – ich muß Dir’s sagen, und wenn Du selbigesmal auf der Brettenalm nit gleich so fuchtig gewesen wärst, hätt’ ich Dir’s damals schon gesagt … Ich hab’ Dir Unrecht gethan – ich bin hoffärtig und trotzig gewesen gegen Dich … aber ich seh’s jetzt ein: ich bin das gewesen, was Du mich geheißen hast, aber ich hab’ auch angefangen, anders zu werden, und der gewisse Nam’ ist jetzt nimmer wahr. Wenn ich Dir das freiwillig sage und Dich um Verzeihung bitt’, dann kann das Ding da und was drinn’ ist doch keine Bedeutung mehr haben für Dich …“

„Weißt das so gewiß?“ sagte Martl warm werdend. „Wie ich den Sechser umgehängt und das Büchsel dazu ’kauft hab’, hab’ ich’s gethan aus Zorn über Dich, aus Gift und daß es mich alleweil mahnen sollt’ all den Spott, den Du mir angethan hast. – Freilich, wenn Du so mit mir redst, da ist’s mit Gift und Gall vorbei – da hat das Anhängen keine Bedeutung mehr, aber es ist mir derentwegen leid, – so gern ich Dir keine Bitt’ abschlagen möchte, das Büchsel kann ich Dir doch nit geben, – ich hab’ mir selber das Wort’ geben und hab’s verschworen, daß ich’s meiner Lebtag’ am Hals trag’ und Niemanden gib’, als –“

Er verstummte; Stasi hatte die Augen gesenkt. „Als Dein’ Schatz,“ setzte sie mit zitternder Stimme hinzu … „Ich weiß’s; der Vater hat mir’s erzählt … Aber gerad’ dann mußt Du mir’s geben und mußt Dein Wort halten – da hast mein’ Hand, Martl … Ich will Dein Schatz sein.“

„Stasi!“ rief Martl, und der Hut flog trotz Spielhahnstoß und Federbusch weithin in den Staub. „Träumt mir denn oder willst mich foppen? Na, das kannst nit; ich seh’s in Deinen Augen … es ist Dir wirklich Ernst mit dem, was Du red’st … Du wärst mir also nimmer bös, willst mir’s nimmer nachtragen, was ich Dir angethan hab’? Du könnt’st mich wirklich gern haben?“

„Von Herzensgrund,“ sagte das Mädchen, „wie stark ich mich dawider gespreizt hab’ – ich hab’ nit anders könnt … Du hast mich gezwungen dazu.“

„Und Du mich!“ jubelte Martl. „Du hast mir’s angethan vom ersten Augenblick und mit’m ersten Augenblick … aber ist denn das möglich, Stasi? Ich kann ja die Glückseligkeit gar nit glauben.“

„So schau’, Du ungläubiger Thomas!“ sagte sie, auf ihren Hut deutend. „Da steckt noch das Edelweiß, das Du mir’ auf die Brettenalm gebracht und über’n Berg hinuntergeworfen hast … Ich hab’ mir’s heraufg’holt mit Lebensgefahr.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 258. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_258.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)