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verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


No. 16.   1871.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Ein Held der Feder.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)


Mehr als sechs Wochen waren bereits seit der Ankunft der jungen Amerikanerin verstrichen, und noch immer war und blieb sie fremd im Hause ihrer Verwandten. An diesen lag die Schuld nicht, sie kamen ihr vom ersten Augenblick an mit warmer Herzlichkeit entgegen. Doctor Stephan und seine Frau gehörten zu jenen guten, harmlosen Leuten, deren einziges Bestreben darauf gerichtet ist, mit aller Welt in Frieden zu leben, und sich durch nichts in dem gewohnten behaglichen Gleichgewicht stören zu lassen, und der verstorbene Forest beurtheilte seinen Schwager ganz richtig, wenn er behauptete, dieser habe ihm die für seine damaligen Verhältnisse bedeutende Summe zur Reise nach Amerika vorgestreckt, zum Theil aus gutem Herzen, größtentheils aber in dem Bestreben, den gefährlichem Demagogen, der die ganze, sonst so loyale Familie in Argwohn und Verdacht zu bringen drohte, endlich los zu werden. Der Doctor hatte in der That seine Schwester stets aufrichtig bedauert, daß sie ihr Schicksal an diesen unseligen Mann gekettet, der in seinem Hochmuth und Starrsinn die Seinigen lieber darben ließ, ehe er von ihren Verwandten die geringste Unterstützung annahm, und war fest überzeugt, der wilde, excentrische Kopf werde in dem praktisch nüchternen Amerika vollends zu Grunde gehen. Es kam anders, und der Erfolg that, wie überall, auch hier seine Schuldigkeit. Hatten Stephan und seine Frau es früher ängstlich vermieden, den Namen Förster, als in irgend einer Beziehung zu ihnen stehend, zu erwähnen, so sprachen sie jetzt gern und oft von ihrem Schwager, „dem Millionär“ jenseits des Oceans, und der angekündigte Besuch von dessen Tochter versetzte sie in nicht geringe Aufregung. Die verwaiste Nichte hätte, selbst wenn sie arm und hülflos zu ihnen gekommen wäre, offene Arme gefunden, die junge Erbin aber empfingen sie mit dem allertiefsten Respect, und das war es ja auch hauptsächlich, was Jane beanspruchte. Sie setzte gleich anfangs jedem etwaigen Versuche zur Autorität über sie eine so absolute Selbstständigkeit entgegen, daß ihre Verwandten bald genug zu der Ueberzeugung gelangten, es sei der jungen Dame weder damit, noch überhaupt in irgend einer Weise nahe zu kommen. Sie hatten ihr, mit Rücksicht auf ihr Vermögen, gern jede Laune und jeden Fehler verziehen, was sie ihr aber nicht verzeihen konnten, das war jene fortwährende Kälte und Abgeschlossenheit, durch die nie ein Strahl von Wärme drang, und die jede Vertraulichkeit, freilich auch jede Differenz unmöglich machte. Zwar verrieth Jane niemals mit einem Worte oder Blicke die leiseste Unzufriedenheit mit dem Hause, worin sie Gast war, aber die mitleidige Verachtung, mit der die im Schooße amerikanischen Reichthums und Luxus Erzogene sich in die einfach bürgerliche Lebensweise fügte, ward doch gefühlt und verletzte darum nicht weniger; kurz, es galt dem Ehepaar schon nach den ersten Tagen des Zusammenseins für ausgemacht, daß ihre Nichte das hochmüthigste und herzloseste Geschöpf auf der Welt sei.

In einer Hinsicht thaten sie Jane damit Unrecht, zum Mindesten wurzelte ihr Hochmuth nicht in dem Bewußtsein ihres Reichthums und ihrer persönlichen Vorzüge, sondern einzig in der geistigen Ueberlegenheit, mit der sie so ziemlich Alles beherrschte, was überhaupt in ihren Gesichtskreis kam, und die sich bald genug auch in weiteren Kreisen fühlbar zu machen begann. In der großartigen Freiheit des amerikanischen Lebens aufgewachsen und durch den Vater mehr als jede Andere darin eingeweiht, an den unbeschränkten Verkehr der Stände untereinander, an zwangslose Umgangsformen gewöhnt, fand sie die Rücksichten, welche man hier auf die leitenden Persönlichkeiten nahm, sclavisch, die Abgeschlossenheit der einzelnen Kreise lächerlich, und die im Gesellschaftsverkehr unvermeidlichen Titel und Ceremonien riefen nun vollends ihren herbsten Spott hervor. Ihre Verwandten schwebten oft genug in Todesangst, wenn sie mit diesen Anschauungen in Gegenwart Fremder hervortrat, indessen sie hätten sich beruhigen können. Miß Forest war Amerikanerin und, wie das Gerücht wenigstens behauptete, Millionärin, zwei Eigenschaften, die ihr einen Freibrief für Alles, gaben, was eine Andere sich nie hätte erlauben dürfen, und dies um so mehr, als ihre Verlobung Geheimniß geblieben war. Es gab kaum eine angesehene Familie in der Stadt, die nicht für irgend einen Anverwandten Hoffnungen auf diese „immense Partie“ hegte, und so sah sich Jane gleich bei ihrem Eintritt von allen Seiten umschwärmt und gefeiert, was ihr nun allerdings nicht besonders neu war. Man war entzückt von ihrer Schönheit, die doch im schroffsten Gegensatz zu der heiteren, blühenden Frische der jungen Rheinländerinnen stand, man schmeichelte ihrem Stolz, der so oft verletzte, bewunderte ihren Geist, den sie meistens gar nicht zu zeigen für gut fand, und vollends die studirende Jugend, die ohne Ausnahme diesem so plötzlich aufleuchenden fremden Meteor zu Füßen lag, ließ keine Möglichkeit unbenutzt, sich ihm in irgend einer Weise zu nähern und Huldigungen darzubringen. Aber keiner von all diesen Bestrebungen gelang es, auch nur für einen Augenblick die eisige Gleichgültigkeit und den kalten Ernst zu durchdringen, mit denen sich die junge Dame, getreu

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verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1871, Seite 261. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_261.jpg&oldid=- (Version vom 1.10.2017)