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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


und selbst in den entlegensten Theilen, die früher nur Alpenherden und arme Bauern gesehen, regt sich lobenswerther Eifer. Einzelnen wackeren Männer ist es gelungen, die Zahl der jährlich zuziehenden Fremden durch Verbesserung der Wege, Errichtung von Schutzhütten, Regelung des Führerwesens u. s. w. zu verdreifachen. Vor allen anderen aber gebührt dies Lob einem deutschen Manne, einem kühnen Steiger und warmen Freunde unserer Alpen, dem Herrn Johann Stüdel, Kaufmann aus Prag, der keine Kosten und keine Mühe scheute, um den König der deutschen Alpen, den zwölftausendundacht Fuß hohen Großglockner an der Grenze Tirols und Kärnthens, durch Erbauung einer Hütte knapp am Gletscher (der sogenannten Stüdelhütte) leichter zugänglich zu machen.

Eben dem König der deutschen Alpen galt es, als ich im August des Jahres 186* von Pinzgau über den Kaisertauern in das kleine Dorf Kals im abgelegensten östlichen Winkel Tirols eilte. Meine Hoffnungen auf gutes Unterkommen waren durchaus nicht sanguinisch, doch wurden sie durch die außerordentlich freundliche und verhältnißmäßig gute Bedienung im Glocknerwirthshause (Unterer Wirth) wahrhaft übertroffen. Leider Gott zeigte der Himmel draußen ein bitterböses Gesicht, und es hatte durchaus keinen Anschein, als wenn der Regen in Bälde aufhören dürfte. Der Abend verging, wie er unter solchen Umständen eben vergehen kann. Die verschiedensten Pläne, hundert Vermuthungen über das morgige Wetter und mancherlei Besprechungen mit den unterdessen herbeigekommenen Führern bildeten den Hauptgegenstand der Unterhaltung.

Mit sehr geringen Hoffnungen legte ich mich zu Bette. Der Morgen zeigte sich neblig und trübe, doch blies ein frischer steter Wind von den Tauern herab, – ein Zeichen, daß das Wetter zum Besseren sich wenden dürfte; und wirklich, um elf Uhr Vormittags begann es in den oberen Regionen lebendig zu werden. Nord- und Südwind kämpften einen verzweifelten Kampf, doch gewann der erstere die Oberhand, freier und freier wurden die Berge, immer lichter die Höhen und immer größer die blauen Lücken im Wolkenmeere. Es war zwölfeinhalb Uhr und nun die höchste Zeit zu einem Entschlusse zu kommen. Die Führer zeigten sich etwas schwankend und wollten zum Unternehmen nicht recht einrathen. Ich jedoch und ein eben anwesender Fremder, der die Partie auf den Glockner gleichfalls mitmachen wollte, schnitten alle Einwendungen kurz ab, und geboten Aufbruch mit der Erklärung, daß wir wenigstens den Versuch machen wollten. Die Führer wurden angewiesen, sich zu rüsten und ihre Vorbereitungen zu treffen, während die freundliche Glocknerwirthin die Verproviantirung übernahm. Um einhalbdrei Uhr war alles fertig, und bei herrlichem Sonnenscheine brach unsere Karawane fröhlich und jubelnd von Kals auf. Dieselbe bestand aus mir, dem Fremden und fünf Führern.

An der Grenze dreier Länder, Salzburg, Tirol und Kärnthen, erhebt sich aus gewaltigen Eis- und Firnmeeren stolz und kühn die Pyramide des Großglockners zwölftausendundacht Fuß; von ihm entspringen gegen Süden die drei Thäler: das Teischnitz-, Ködnitz- und Leiterthal, wovon die zwei ersten zur Drau-, das letztere zum Möllgebiete gehören.

Früher war der Ausgangspunkt für alle Glocknerbesteigungen das kleine Dörfchen Heiligenblut im Möllthale. Seitdem aber auf Tirolerseite die Stüdelhütte erbaut, und ein neuer viel kürzerer Weg über die südlichen Felswände des Glockners, der sogenannte Peggerweg (nach Herrn Ingenieur Pegger so benannt, der auf diesem Wege zum ersten Male die Spitze erstieg) hergestellt wurde, hat sich das früher kaum gekannte Dörfchen Kals, nordöstlich von Lienz im Pusterthale, zum Stationsplatze emporgeschwungen. Wir stiegen nun von Kals aus den anfangs etwas steilen Weg durch das Ködnitzthal hinan. Ueppige Wälder zieren die abschüssigen Halden des Thales und tief unten tost der Bach im steinigen Bette.

Nach zwei Stunden betraten wir eine herrliche Wiesenmatte, auf der die früher zum Uebernachten bestimmte, nun verlassene Jürgenhütte, sechstausendzweihundertfünfzehn Fuß hoch, liegt. Im Hintergrunde erhob sich von schweren Nebelmassen umzogen das eisumlagerte Gestelle des Glockners. Ein kalter, feuchter Wind blies von seinen Höhen herab und verkündete nichts Gutes; auch die Nachbarberge hatten sich mit Schneewolken umzogen. Ein banges Gefühl beschlich mich, es lastete auf mir, und tausend Stimmen tönten von Fels und Riff, die flüsternd wie zur Umkehr mahnten. Und nicht umsonst! denn wir waren keine zweihundert Schritte weiter gestiegen, als plötzlich in seinem Grimme das gewaltige Haupt des Glockners löwenähnlich seine schneeigen Mähnen schüttelte, und sausend und brausend der Sturm auf uns niederfuhr, Massen feinkörnigen Schnees vor sich peitschend. In einem Nu waren wir in die flatternde Bergfee gehüllt, und vermochten nur mit großer Anstrengung die Jürgenhütte zu erreichen, worin wir theilweise Schutz gegen das fürchterliche Unwetter fanden. Doch bald legte sich die tobende Windsbraut, und als ich in das Freie trat, lächelte mir vom Glockner herab schon wieder ein wenig blauer Himmel. Ich rief die Führer heraus und mahnte zum schnellen Aufbruch.

Verdoppelten Schrittes ging es nun über steinige Wiesen und Geröllhalden hinauf, theilweise schon im Schnee watend. Hoch oben und noch ziemlich weit entfernt erblickte man die öden Gehänge der Vanitscharte, auf der die Stüdelhütte steht, das Ziel unserer heutigen Wanderung. Rechts und links lagerten sich wieder neue Wolkenmassen auf den Schultern der Berge, und aus der Ferne tönte unheimlich, fast gespensterhaft das Heulen des Windes, wie er um Fels und Ecke strich. Die Führer mahnten zur Eile, obgleich sie selbst unter ihrer Last den steilen Pfad hinaufkeuchten. Wir leisteten Unglaubliches in dem Sturmschritt, den wir nun einschlugen, und legten in kürzester Zeit einen Weg zurück, zu dem wir sonst noch einmal so lange gebraucht hätten. Doch bald versagten die Kräfte, man mußte sich verschnaufen, obgleich es klar war, daß dem Unwetter nicht mehr zu entrinnen war. Mit fast fanatischer Wuth raste der Schneesturm nun neuerdings gegen uns, mit übermenschlicher Anstrengung überwand ich die gewaltige Schwäche, die lähmend meine Glieder erfaßt hatte, und wollte mich matt und erschöpft zu einer etwas überhängenden Felsplatte hinschleppen, als der vorausgeeilte Führer mir zurief: „Da ist die Hütte!“ Ich raffte mich auf, eilte ihm nach, und um siebeneinhalb Uhr Abends stand ich bei der nun doppelt ersehnten Hütte, fast neuntausend Fuß über dem Meeresspiegel. Schnell war der angewehte Schnee beseitigt und die Thür geöffnet. Müde und fast ohne Athem warf ich mich in meinen Plaid gehüllt auf die Bank. Die Führer hatten rasch ein lustiges Feuer angemacht, und in der behaglichen Wärme und nach einem tüchtigen Schlucke Wein fühlte ich mich bald wieder besser. Nun ging es an das Besehen der Hütte und ihres Inventars.

Die Stüdelhütte ist in der Einsattlung des vom Glockner südwestlich zur Vanitscharte führenden Kammes aus Steinen erbaut und mit schweren Schieferplatten gedeckt. Das Innere ist in zwei Räume abgetheilt, von denen der eine als Speise-, der andere als Schlafsalon dient. Erwägt man die Höhe, in der diese Hütte liegt, die Schwierigkeiten des Transportes von Gegenständen, Utensilien und Eßwaaren, sowie die Kleinheit des Raumes selbst, so muß man erstaunen, mit welch praktischem Sinne und mit welcher Sorgfalt dieses Asyl ausgestattet ist. Da findet man einen von vier Steinplatten eingerahmten Herd, schön getrocknetes Holz, mehrere Pfannen, Tisch und Bänke, verschiedene Kochgeräthe, Kaffeeschalen, Teller, Bestecke, Servietten, Butter, Schmalz, Salz, Speck, Kopfkissen, Decken, Lichter, einen Thermometer, Fremdenbuch, ja sogar eine Petroleumlampe – und das alles in einer Höhe von neuntausend Fuß über dem Meeresspiegel, in der Region des ewigen Schnees und Eises, meilenweit entfernt von allen bewohnten Stätten.

Als wir so um das Feuer herumsaßen, und uns eben anschickten unser Souper zu bereiten, hörten wir plötzlich draußen Hallohrufe! Wir sprangen auf, öffneten die Thür und erblickten mitten im Schneegestöber die drei anderen Führer, die etwas später von Kals aufgebrochen und nun durch das Teischnitzthal heraufgekommen waren. In Doublirschritten gewaltig gegen den rasenden Sturm ankämpfend, mit Lasten von Schnee bedeckt, eilten sie in die gastliche Hütte. Nun war die Gesellschaft vollzählig, und nachdem ich, der Fremde und die Führer uns an den mitgebrachten Vorräthen und am Weine gelabt hatten, wurden die Führer nacheinander hinausgeschickt, um das Wetter zu recognosciren. Immer aber kam die gleiche Meldung: Wetter, das heißt Himmel gegen Süden klar, gegen Norden dicht umwölkt, fürchterlicher, fast unerträglicher Sturm und Schneegestöber. Es war zehn Uhr Nachts geworden, und mein Vertrauen und Muth nicht sonderlich gehoben. Nun ging es in den Schlafraum! Eine lange, etwas schmale Holzstätte, mit fußhohem gefrornem Heu bedeckt, bildete das gemeinsame Bett; gottlob daß Decken und Kissen da waren! Dennoch wollte es mich bedünken, daß es ein wenig allzu kühl

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 282. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_282.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)