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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


hier sei; in dem Augenblicke hörte ich einen Schrei des Entsetzens von meinem Reisegefährten.

„Was meinen Sie,“ fragte er mit dem Thermometer in der Hand, „wie viel Grade wir hier haben?“

„Nun,“ antwortete ich, „gewiß nicht viel über Null.“

„Schauen Sie selbst.“

Ich warf einen Blick auf die Scala, und siehe da! – viereinhalb Grad unter Null. So, dachte ich mir, eine hübsche Zimmertemperatur! das wird gut gehen! dem muß vorgebeugt werden! Ich packte daher alle meine Kleidungsstücke aus meinem Reisesacke, zog Alles an, hüllte mich dicht in den schweren wollenen Shawl, that mir warme Handschuhe an, und vergrub mich so in das Heu. Die Letzten, die sich zur Ruhe begaben, waren die wackeren Führer, die selbst gewaltig froren, aber aus Schonung für uns das meiste Heu und die wollenen Decken uns überließen. Nun war Alles still – finstere Nacht umgab uns.

Die Natur machte ihre Rechte geltend, erschöpft von den Anstrengungen verfiel ich bald in einen schweren Schlaf; doch dürfte derselbe kaum eine halbe Stunde gedauert haben, denn plötzlich kam es mir vor, als wenn die Erde mit einem furchtbaren Donnergetöse sich öffnen wolle; – ein Stoß – und ich war erwacht, – erwacht zur traurigen Wirklichkeit! Denn draußen wüthete und raste ein Orcan, wie er in den Aequinoctialzeiten auf dem Weltmeere nicht ärger rasen konnte – ein wahrer Teifun[1][WS 1] des Hochgebirges. Es klirrte, rasselte, stöhnte und dröhnte, als wenn das ganze Grundgestelle des Glockners bersten wollte. Dazu flog, vom Winde gepeitscht, der feinkörnige Schnee durch die Spalten des Daches und verursachte im Laufe der Zeit eine ganz artige Nässe, dazu vier Grad Kälte und die Aussicht, noch sechs Stunden in einem solch qualvollen Zustande verharren zu müssen!

Mit Gigantenarmen, durch Nichts gehindert, faßte in furchtbaren Stößen der Sturmwind unsere gebrechliche Behausung und rüttelte an den Dachplatten, daß mir ganz angst und bange wurde; denn, dachte ich mir, entweder deckt er die Hütte ab, und was dann anfangen in dieser Nacht des Entsetzens, oder die centnerschweren Dachplatten, von dem gewaltigen Sturme aus ihrer Lage gebracht, stürzen auf uns nieder und zermalmen uns wie Haselnüsse. Selbst die Führer, die abgehärteten und daran gewöhnten Männer, bewegten sich unruhig auf ihrem Lager, ja ich vernahm sogar die stillen Gebete eines neben mir Liegenden. Nachträglich erklärte mir der Hauptführer, daß er unter den verschiedensten Witterungsverhältnissen den Glockner bestiegen, einen solchen Sturm aber noch nie erlebt habe.

Unerträglich langsam schlichen die bangen Stunden vorüber; als endlich einer der Führer verkündete, es sei halbvier Uhr, sprang ich mit einem „Gott Lob und Dank“ von meinem kalten Pfühle auf und eilte, Feuer zu machen. Die einzelnen Windstöße, wenn auch noch immer heftig genug, kamen nur nach einzelnen Intervallen mehr, und in mir dämmerte die Hoffnung, es könnte vielleicht das Wetter doch noch zum Besseren umschlagen. Ich öffnete behutsam die Thür und schaute hinaus: ein kalter, schauriger Morgen hatte sich aufgethan; der Himmel war zwar rein, insbesondere gegen Süden, allein unbarmherzig fegte der Wind um die Fels- und Firnecken, und öde lag die Hochgebirgswelt in frischem Winterkleide. Ich huschte allsogleich wieder in die Hütte. Zuerst wurde ein kräftiger Kaffee gekocht und inzwischen ein Führer nach dem andern hinausgeschickt, um das Wetter zu beobachten und seine Ansicht dann vorzubringen. Alle aber kamen, nach gethanem Ausblicke, darin überein, daß es zwar möglich sei, die Spitze zu erreichen, daß es aber wegen des in der Höhe wahrscheinlich noch ärger wüthenden Sturmes ein Stück Herculesarbeit sei, und es gerathener sein dürfte, entweder einen Tag noch zuzuwarten oder den Rückzug anzutreten. Da mir aber keine dieser Ansichten zusagte, auch die Möglichkeit des Hinaufkommens nicht in Abrede gestellt wurde, so befahl ich aufzubrechen und wenigstens den Versuch zu machen.

Eilends wurde der Kaffee getrunken, die Mundvorräthe und der Wein verpackt, die Stricke, Fußeisen und Beile untersucht und wohl versorgt, und hinaus zog die sieben Mann starke Karawane, dem Sturme trotzend, das Wagniß zu bestehen. Ein eiskalter Windstoß empfing uns schon auf der ersten Höhe hinter der Hütte, doch tröstete uns einigermaßen der südliche Himmel. Wir stiegen zuerst nordöstlich über einen schwach geneigten Chloritschiefergrath hinauf und kamen nach und nach dem Ködnitzgletscher und damit auch dem Glockner näher; neuer Muth beseelte uns, als über uns die zweigespaltene Spitze, rings von furchtbaren Eis- und Felsenwänden umgeben, gewaltig und übermächtig in den blauen Himmel ragte.

Hinauf! Hinauf! war das Losungswort, trotz des noch immer wüthenden Sturmes und des auf der Adlersruhe hoch aufwirbelnden Schnees. Wir waren nunmehr an der Stelle angelangt, wo sich die beiden Wege, der neue und der alte, trennen. Der erstere führt, wie schon oben erwähnt, direct über die Felswände zur Spitze, war aber heute wegen des angewehten Schnees und der damit verbundenen Unsicherheit des Trittes ungangbar; der letztere führt quer über den Ködnitzgletscher zur Adlersruhe und dann über Eiswände und die sogenannte Scharte zur Spitze. Dieser Weg wurde auch eingeschlagen. Dort, wo der Ködnitzgletscher beginnt, machten wir Halt, theils um Etwas zu genießen, theils um uns an das Seil zu binden. Ich nahm etwas Fleisch und Brod zu mir und wollte auch einen Schluck Wein aus meiner Feldflasche thun, doch kam ich mit den erstarrten Händen schlecht zurecht, und aus Versehen entschlüpfte mir der oben an der Flasche abzuschraubende Becher und rollte die geneigte Eisfläche hinab gerade gegen eine gähnende Kluft; ich hatte kaum einen kleinen Aufschrei gethan, als der Führer Tommele, trotz des ängstlichen Abmahnens seitens der anderen Führer, dem Becher nachrutschte und ihn am Rande der Kluft erwischte; noch einen Fuß weiter, und Mann und Becher hätten ein gemeinsames Grab gefunden.

Ruhig, als ob er den Becher von einer Wiese aufgehoben hätte, überreichte er mir denselben. Nun kam der zweite Schreck. Als ich nämlich den Inhalt der Feldflasche kennen lernen wollte, fand sich nichts, als ein halbgefrorener, schneeartiger Wein vor, der um keinen Preis aus der Flasche herauswollte. Das war unangenehm, doch da half kein weiteres Versuchen; ich barg die Flasche zwischen Rock und Weste, um sie etwas zu erwärmen und dann wenigstens später einen Labetrunk zu haben, und band mich resignirt an das Seil. Drei Führer gingen voraus, dann kam ich, hernach ein Führer, mein Reisegefährte und schließlich noch ein Führer.

(Schluß folgt.)




Vom Haarschwund.


So lange der Mensch noch Haare genug auf dem Kopfe hat und Haare lassen kann, denkt er nicht an seine spätere Kahlköpfigkeit und kümmert sich um die Pflege des Haares fast gar nicht. Dies rächt sich aber; denn weit früher, als es das Alter mit sich bringt, ergrauen seine Haare und fallen aus, der Kahlkopf aber fällt in die Hände des Perrückenmachers oder der Charlatane mit Haarwuchs befördernden Pomaden. Um dem zu entgehen, ist es unerläßlich, daß man sich über die Natur der Haare unterrichten läßt, und dies soll hiermit geschehen.

Die einzelnen Kopfhaare sprossen nicht ist stetig gleicher Entfernung voneinander aus der Haut hervor, es stehen vielmehr je zwei oder drei ziemlich nahe zusammen und diese sind durch einen verhältnißmäßig breiten freien Raum von ihren Nachbarn geschieden. Diese Vertheilung des Haares beruht auf einer bestimmten architektonischen Anordnung im Gefüge der Haut, sie findet sich bei allen Constitutionen und wird durch die Altersverhältnisse nicht geändert.

Den Raum, welchen die zu einer solchen Gruppe vereinigten Haare einnehmen, nebst dem zu ihnen gehörigen Theil des freien Zwischenterrains nenne ich einen Haarkreis.

Die einzelnen Haare eines Haarkreises befinden sich nach ihrer anatomischen Anordnung und nach ihrer physiologischen Ernährung in einer gewissen Abhängigkeit voneinander; allein diese bezieht sich nur auf einzelne Seiten ihres Daseins, in vielen Beziehungen ist die Selbstständigkeit eines Jeden vollständig. Jedes Haar hat eine sehr zierlich construirte Bildungs- und Wohnstätte, die sich durch die ganze Dicke der Haut bis tief in die saftige Fettpolsterlage des Unterhautgewebes erstreckt und zum Theil aus dieser seine

  1. Teifun: der gefürchtetste Sturm in den chinesischen Gewässern (Cyklon).

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: (Cyllon)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 283. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_283.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)