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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


„Ganzes Bataillon zum Holzen!“ commandirte der Hauptmann, und in wenigen Minuten lagen die zusammengebrochenen Beine einer alten Gartenbank der „Kaffeeköchin für Deutschlands Größe“ zu Füßen.

„Da ist Holz vom Fichtenstamme!“ declamirte Lieutenant v. K.

Editha brachte einen Dreifuß und einen blankpolirten Messingkessel mit Wasser gefüllt, der Fähndrich steckte eine Handvoll Liebesbriefe unter die alten Bankbeine und lustig züngelten die Flammen um den von der Lucca, ihrer Kammerjungfer und den Officieren erwartungsvoll umstandenen Kaffeekessel.

„Es zischt! – Es braust! – Es siedet! – Hurrah, es kocht!“ riefen die Officiere, einer hinter dem anderen.

Da ein Kaffeetrichter nicht zur Hand war, so schüttete Frau Lucca den Inhalt ihrer Blechbüchse in das siedende Wasser und bald war die Luft weithin erfüllt vom Arom des duftigen Mokka.

„Jetzt Tassen, Tassen, meine Herren!“ rief die gütige Fee aus Mekka.

Der Wärter besaß nur zwei derartige Luxusartikel, die von den Officieren für die Damen bestimmt wurden; im Uebrigen wurden Gläser, Töpfe, ein Trinkhorn, eine sogenannte Wasserfüllkelle, lederne Trinkbecher und ähnliche zur Aufnahme von Flüssigkeiten geeignete Geschirre herbeigeholt und von Frau Lucca vermittelst eines Punschlöffels gastlich gefüllt.

Der Kaffee war noch sehr heiß, die Behälter desselben wurden zu einiger Abkühlung erst auf den Rasen gestellt. Da erschien plötzlich wie Zieten aus dem Busch, mit langgezogenem Pfiff, der Sanitätszug.

Ein Major, der den Zug begleitete, sprang aus dem Wagen und näherte sich, der Witterung folgend, der noch immer aus der Mokkafluth schöpfenden Hebe, mit der Bitte, den Verwundeten, die seit acht Stunden jedes Labsals entbehrt hatten, etwas Kaffee verabreichen zu wollen.

„Meine Herren Officiere,“ mit diesen Worten wandte sich die Kochkünstlerin an ihre Reisegefährten, „geben Sie gefälligst alle den Kaffee wieder her!“

„Wir werden ihn, mit Ihrer Erlaubniß, selbst zu den Kranken tragen,“ sagte v. P. und in der nächsten Secunde liefen die Officiere den Wagen zu, jeder einen Verwundeten wählend, um ihn durch Mokka zu erquicken.

„Ich danke Ihnen, Madame, im Namen meiner Kranken!“ sagte der Major. „Ihnen persönlich empfehle ich einen Schwerverwundeten in dem Waggon Nr. 245. Es ist ein einjährig Freiwilliger, der einzige Sohn sehr vermögender Eltern, im Civilstand Referendar und verlobt mit einer jungen und sehr reichen Banquierstochter. Dieser ist vor allen Anderen einer Stärkung bedürftig.“

Frau Lucca eilte mit ihrer Tasse dem bezeichneten Coupé zu. Da lag in einer Hängematte ein schöner junger Mann mit bleichen Zügen, bis unter’s Kinn in eine Decke gehüllt.

„Ich bringe Ihnen etwas Kaffee, mein Herr,“ redete ihn die Lucca mit ihrer sonoren Stimme an. Der Kranke richtete die Blicke starr auf sie, ohne zu antworten oder sich zu bewegen.

„Darf ich Sie aufrichten?“ fragte sie weiter und schob ihre kleine Hand unter sein lockiges Haupt.

„Nein, nein! Wo ist mein Diener?“ rief in fliegender Angst der Kranke.

„Es ist kein Diener hier, lieber Herr; vergönnen Sie mir doch, als barmherzige Schwester bei Ihnen den Opferdienst zu thun; ich will mich darin üben,“ bat die Lucca mit ihrem bezaubernden Lächeln.

Der Kranke schüttelte heftig den Kopf und sah sich wieder ängstlich um, als suche er Jemand.

„Sie sind,“ begann Frau Lucca wieder, „wie mir der Herr Major mittheilt, schwer verwundet, aber auch glücklicher Bräutigam. Hoffentlich ist die Zeit nicht fern, wo Sie, geheilt, Ihre holde Braut mit liebenden Armen wieder umschließen werden.“

Hier stürzte ein Thränenstrom aus den Augen des Verwundeten, und er schrie mit convulsivischem Schluchzen: „Ich habe ja keine Arme mehr!“

Frau Lucca wurde durch diese Worte bis in’s tiefste Herz erschüttert, auch ihren Augen entstürzte eine Thränenfluth, und sie mußte sich anhalten, um nicht umzusinken.

„Armer, armer Herr!“ schluchzte sie. „Sie bringen dem Vaterlande das schwerste Opfer!“ Tiefes Mitgefühl gewann ihr das Herz des Unglücklichen und er duldete nun, daß sie ihm den Kopf erhob, um seinem schmachtenden Munde etwas Kaffee einzuflößen.

Dem Unglücklichen waren, wie die Sängerin vom Major nachher erfuhr, beide Arme durch eine Granate bis an die Achseln vom Körper gerissen.

Nachdem der Oberst seine neuen Befehle, die uns unbekannt geblieben sind, von dem Führer des Sanitätszuges empfangen hatte, setzte sich der Train mit der Lucca und der jovialen Officiergesellschaft wieder in Bewegung. Auf der Tour vom Wärterhause bis Frankfurt und von da bis Saarbrücken ist der Primadonna Besonderes, oder besser, für die Nachwelt Aufbewahrungswürdiges nicht passirt.

Ihre Erzählung von dem jugendlichen Helden ohne Arme, dessen ganze sich so rosig gestaltende Zukunft durch eine Granate vernichtet worden, hatte die Gesellschaft sichtlich ernst gestimmt und die lebenslustigen Officiere zum Nachdenken über ihr eigenes nahe bevorstehendes Schicksal geneigt gemacht, so daß auf der Weiterfahrt nur wenig Worte gewechselt wurden.

Bei der Ankunft in Saarbrücken war es bereits tief Abend. Frau Lucca und ihre Kammerjungfer stiegen aus, die Officiere verabschiedeten sich höflich von den Damen, wünschten der Frau „Cameradin“ v. Rhaden Glück zur baldigen Auffindung ihres Gemahls und suchten dann eiligst die ihnen angewiesenen Quartiere auf.

Frau Lucca fragte einen Schaffner, wo man in Saarbrücken am besten logiren könne.

„Logiren?“ wiederholte der Schaffner, die Fragende mit erstaunten Blicken musternd. „Von Logements ist in Saarbrücken keine Rede; Alles mit Soldaten belegt.“

„Und ich bin so ermüdet!“ seufzte die arme Frau. „Wissen Sie uns nicht ein Unterkommen für die Nacht aufzufinden? Wenn es noch so beschränkt wäre, ich würde Sie königlich dafür belohnen.“

Der Schaffner rückte die Mütze und besann sich einige Minuten dann sagte er: „Ich war eben bei meinem Vetter in der Schäferhütte.“

„Lassen Sie uns zu ihm eilen,“ drängte die Lucca.

„Nee, da liegen zwölf Mann und ’n Gefreiter, auch die Kirche ist angefüllt mit französischen Gefangenen. Das einzige Local, was merkwürdiger Weise noch nicht belegt ist –“ er stockte.

„Nun, welches Local ist noch frei?“

„Das Spritzenhaus, mit Respect zu sagen, da könnte ich Ihnen ein schönes Lager bereiten aus reinlichem Stroh oder duftigem Heu, wenn Ihnen das Local nicht gar zu despectirlich wäre.“

„Warum despectirlich?“

„Weil wir in Friedenszeiten die Spitzbuben da drin einsperren.“

„Lieber Freund, das würde mich weniger tangiren; aber liegen auf blankem Stroh, ohne Decken?“

„O nein,“ fiel hier der Schaffner ein; „an weichen wollenen Decken, ganz neuen sogar, ist kein Mangel, die bekomme ich von den Herren Officieren schon geliehen, wenn ich sage, daß ich sie den Damen bringen will.“

„Hier haben Sie einen Louisd’or, lieber Freund! Eilen Sie, daß uns nicht auch noch dieses letzte Asyl für Obdachlose durch militärische Requisition verloren geht.“

„Ah! Madame sind nobel. Bitte mir zu folgen,“ sagte der Schaffner, schnell voranschreitend. Die Damen wollten folgen.

„He! Sie da! Frölens!“ rief ihnen ein Gepäckträger nach. „Hier steht noch eine Kiste und ein Koffer. Gehören die Sachen Ihnen?“

„Schaffen Sie das Gepäck nach dem Spritzenhause!“ befahl Editha und folgte mit ihrer Gebieterin dem improvisirten Herbergsvater.

„In’s Spritzenhaus?“ brummte der Gepäckträger. „Es ist doch nicht etwa unrechtes Gut? Der Koffer ist nur leicht – aber die Kiste, der Tausend, die hat Gewicht!“ Darnach that er, wie ihm befohlen.

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 290. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_290.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)