Seite:Die Gartenlaube (1871) 306.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


mich über ihn beuge, fährt mir, klaps! eine verfl – verspätete Chassepotkugel in’s Bein, und so unglücklich, daß ich gleich niederstürze und besinnungslos zu Füßen meines vermeintlich todten Lieutenants liegen blieb.

Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich unter ärztlicher Pflege hier im Lazareth zu Pont à Mousson und hörte zu meiner Freude, daß auch der Herr v. Rhaden außer Lebensgefahr sich mit mir unter einem Dache befinde. Viele Zeitungen hatten bereits die Nachricht von seinem Tode gebracht.

Acht Stunden hat ihr Herr Gemahl auf dem Schlachtfelde unter Leichen und Verwundeten gelegen, und ich halte es noch heut für ein Wunder, daß die Krankenträger den schwer Getroffenen noch athmend gefunden haben.“

Hier schloß der Unterofficier seine Erzählung, die Frau Lucca in athemloser Spannung angehört hatte. Sie fürchtete für ihren Mann immer noch das Schlimmste.

(Schluß folgt.)




Unsere Batterie bei Werder’s Corps.
Erzählt von einem sächsischen Artilleristen.
(Mit Abbildung.)


Die königlich sächsische leichte Reservebatterie Nr. 2, Hauptmann Krutzsch, wurde am zweiundzwanzigsten December 1870 in Sachsen mobilisirt und verließ die Heimath am Weihnachtsabend, um sich zur Besatzung von Nanzig zu begeben. Auf der Fahrt dahin erhielt unser Batteriecommandant den Befehl, von Nanzig die Richtung nach Epinal einzuschlagen und sich dem damals hart bedrängten Werder’schen Corps zur Verstärkung anzuschließen.

Am Neunundzwanzigsten kamen wir in Epinal an. Der Etappencommandant, der königlich sächsische Oberst von Schmiden, und das damals dort garnisonirende Landwehrbataillon Nr. 103 erfreuten uns durch einen feierlichen Empfang mit Musik; aber schon bei diesem Einzuge wurde uns gesagt, daß wir wohl morgen gleich in’s Feuer kommen würden. Pferde und Mannschaft hatten schwer in der grimmigen Kälte gelitten und waren steif gefroren, dennoch war an keine längere Rast zu denken, und schon am andern Morgen ging’s in Eilmärschen über Plombières, Luxeuil und Vesoul bis Gray vorwärts. Bei Gray kam uns die badische Division auf ihrem Rückzug von Dijon entgegen, und wir kehrten mit ihr nach Vesoul zurück, wo wir feste Stellung nahmen. Das geschah am ersten Januar, und das war unsere Sylvesterfeier.

Hier standen wir bis zum Zwölften im angestrengtesten Dienst und im Verein mit dem preußischen Reservejägerregiment Nr. 1 und dem rheinländischen Landwehr-Füsilierregiment Euben, Nr. 25, jede Minute den Feind erwartend und zum Kampf bereit. – Wir Leute erfuhren, wie so oft in diesem Krieg, erst nachher, in welcher Gefahr wir und das ganze Corps, ja das liebe Vaterland selbst gestanden, und wie viel darauf ankam, daß hier Leib und Leben daran gegeben wurde, um den Plan Bourbaki’s, mit seiner Uebermacht und der Hülfe Garibaldi’s Belfort zu entsetzen, durch das Elsaß in Süddeutschland einzubrechen, die Tausende französischer Gefangenen zu befreien und unsere Heere in Frankreich ganz von Deutschland abzuschneiden, so gründlich als möglich zu vernichten.

Während dieser Zeit mußten wir mehr als einmal in der Nacht Alarm schlagen und zwar auf ganz besondre Weise. Jeder Trompeter, Signalist, Trommler, Alles war auf den Beinen, und Jeder machte nicht nur den möglichsten Lärm, sondern wechselte seinen Standort und wiederholte Strecke um Strecke weiter nach links, rechts und rückwärts, soweit nur das Terrain es erlaubte, seine Alarmzeichen, so daß durch die Nachtstille hin dem Feinde unsere Anzahl zehnmal stärker erscheinen mußte, als sie war. Und wirklich mußte diese Kriegslist gewirkt haben, denn wir blieben, obwohl von Feinden umringt, doch bis zum Zwölften unangegriffen. Nur das Landvolk führte seinen dummen Franctireurskrieg gegen die Unsern, und deshalb mußten wir noch vor unserm Abmarsch, der am Zwölften stattfand, ein Dorf in Brand schießen, weil die Bauern dort unsere braunen Husaren meuchlings angefallen hatten.

Wir hatten Ordre, über Lure und Ronchamp nach Belfort zu marschiren. An diesen Marsch wird jeder von uns denken, so lange er lebt. Wenn die Gebirge dort auch keine Alpen sind, so giebt’s doch so steile Höhen und Schluchten, daß heute sicherlich kein Mensch es glaubt, daß wir nicht blos mit Roß und Mann, sondern sogar mit unseren Kanonen darüber kamen. Kälte fünfzehn Grad, Schnee fußhoch, Glatteis unterm Schnee und Felsenwege wie die Dächer steilauf! Da galt’s, sich selbst mit aller Kraft in die Speichen legen, ziehen und schieben, bis der Athem ausging, Roß und Mann in der grimmigen Kälte in Schweiß gebadet – Schritt für Schritt vorwärts und oft genug wieder rückwärts, Hinstürzen und Aufraffen, ja, es war ein Stück Arbeit – bergauf – und wie ging’s nun gar erst bergab! Wir legten freilich Eisketten um die Räder, sonst hätte eine Rutschpartie beginnen können, bei der wir Alle in die Abgründe geschleudert worden wären; aber die Steile war so arg, daß die Pferde an den Spannketten hängend auf den Hintern rutschten, zitternd die Hufe vorstreckten und so um ihrer Last in die Tiefe hinabkamen.

Ronchamp, ein wichtiger Ort für diesen Krieg, denn hier befand sich das Laboratorium für die Munition der Belforter Belagerungsarmee, sollte es auch für uns werden, denn hier schien es am fünfzehnten Januar zu einer Schlacht zu kommen. Es war ein Sonntag, und schon früh halbacht wurde derselbe nicht etwa eingeläutet, sondern auf linkem und rechtem Flügel unserer Stellung zugleich mit Kanonendonner begrüßt. Es kam jedoch nicht zum rechten Ernst, als ob der Feind es hier nur auf einen Scheinangriff abgesehen hätte. Dennoch war der Tag heiß genug. Wir hatten mit unserer Batterie eine Brücke über den kleinen Fluß dort zu vertheidigen, die, im Fall eines nothwendigen Rückzugs unserer Seits, von uns sofort gesprengt werden sollte. Unsere Kampfgenossen, die preußischen Reservejäger von Nr. 1, hatten jedoch alle Angriffe des Feindes tapfer zurückgeschlagen.

Noch am selben Abend erhielten wir den Befehl, nach Frahier vorzurücken, mit der besondern Weisung, uns dort so viel wie möglich selbst Quartier zu suchen. Frahier liegt in einem von nahen waldigen Höhen begrenzten Thale und ist ein stattlicher Marktflecken. Vom Nachtmarsch todtmüde, sorgten wir erst für unsere Pferde, dann für uns, Alles nach Ruhe lechzend. Aber kaum waren unsere Pferde in den Ställen und wir auf der Streu, als eine furchtbare Kanonade über uns hereinbrach. Von den Höhen donnerte es Schlag auf Schlag und selbst Mitrailleusen knatterten dazwischen. Ei, wie geschwind waren wir da munter, Alle, Roß und Mann – und nun ging’s vor Allem an’s Alarmschlagen, wie’s unser General von Werder uns nun einmal beigebracht hatte. Das rasselte, trommelte, pfiff, tönte und schmetterte so nah und fern und hier und dort und überall, daß eine Armee von hunderttausend Mann keinen größeren Spectakel hätte machen können. Und es half abermals! Nachdem die Franzosen eine Masse Munition vergeblich verpufft hatten, schwieg ihr Feuer. Eine ihrer legten Granaten fuhr in einen Nußbaum, neben dem wir standen, und da rief unseres Lieutenants Frank lustiger Dienstbursche Preuße: „Dumme Kerle, jetzt Nüsse zu schütteln! Es sind ja keene druff!“ Wie spottschlecht die Granaten der Franzosen waren, hatten wir bald an ihrer geringen Wirkung erkannt. Später warf ich mit Preuße über zweihundert unexplodirte in einen Ziehbrunnen bei Frahier. Wer den Schatz einmal hebt, der kann lachen.

Aller Schlaf war uns für diese Nacht vergangen; wir bivouakirten mit großem Jubel über den glücklichen Erfolg. An Wein, Fleisch und Cigarren fehlte es uns nicht; nur Brod hatten wir schon drei Tage nicht gesehen und bekamen auch keins bis nach errungenem vollständigen Siege, das heißt nach noch acht Tagen.

Am Sechszehnten in aller Frühe eröffneten jedoch die Franzosen ihr Feuer wieder auf dem linken Flügel und zwar mit dreiundvierzig so gut gedeckten Geschützen, daß wir nur ein einziges Rohr derselben sehen konnten. Ihnen gegenüber standen nur wir mit unserer sächsischen und einer Badenser Batterie. Eine preußische Reservebatterie war hinter uns zur Deckung etwaigen Rückzugs

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 306. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_306.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)