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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Von der Wiege des preußischen Liberalismus.
Von Rudolf Gottschall.
III.


Die „Albertina“, der Stammsitz der Königsberger Gelehrsamkeit, machte damals in ihren Hörsälen einen hülfeflehenden Eindruck; ihre gebrechlichen Fronten spiegelten sich in den Pregelarmen, welche hier den Kneiphof umströmten. Der an merkwürdigen Alterthümern reiche Dom überragte die alma mater, und eine Stoa Kantiana, in welcher Lehrende und Lernende lustwandelten, die aber trotz ihres stolzen Namens nichts war als ein offener Gang mit einem Regendach ohne jede bauliche und bildliche Zierde, schloß sich an die Außenmauer der Kirche mit dem hochragenden Thurm, der prächtigen Orgel und den Gräbern der Hochmeister des deutschen Ordens an.

Das ganze Gebäude hatte etwas Düsteres; die Wissenschaft mußte hier einen Faustischen Zug haben; man wurde an Staub und Moder, an Thiergeripp und Todtenbein erinnert. Doch schon damals winkte den vier Facultäten eine schönere Zukunft. Der Grundstein des neuen Universitätsgebäudes wurde im Jahre 1844 von dem König Friedrich Wilhelm dem Vierten gelegt, mit einer schwunghaften, lichtfreundlichen Rede, wie es sonst nicht in der Art des geistreichen Fürsten lag, der aber hier ausdrücklich dem „Nachtgevögel“ den Krieg erklärte. Leider! wollte das der Erde anvertraute Saatkorn lange Jahre nicht keimen und in die Höhe wachsen; ein kleines Gitter bezeichnete, ähnlich wie das Gitter des Berliner Schillerdenkmals, die der Zukunft der Musen geweihte Stätte auf dem Königsplatz, und erst 1862 erstand das neue, lichte Universitätsgebäude mit seinen Büsten und Inschriften und einer Aula, welche jetzt erst durch den geistreichen Künstler Rosenfelder und andere Mitglieder der Königsberger Kunstakademie mit allegorischen und historischen Gemälden ausgeschmückt wird, in schwungvoller und bedeutsamer Weise. Der liebenswürdige Director der Academie ist übrigens ebensogroß als Künstler, wie klein als Mensch in seiner äußeren Erscheinung, und zeigt dabei eine große Vorliebe für Bilder von gewaltigen Dimensionen. Schon damals, bald nach Gründung der Akademie, welche an den baltischen Gestaden und in der Stadt der reinen Vernunft den Sinn für Formen und Farben wecken sollte, malte Rosenfelder an einem riesigen Bilde „die Gefangennahme des Landgrafen Philipp auf der Moritzburg“, und wir sahen oft mit Andacht den genialen kleinen Künstler in seinem Atelier an seinen großen Figuren in die Höhe klettern. Auch war es damals gefährlich, ihm auf der Straße zu begegnen, wenn man im Gesicht irgend einen herausfordernden Zug, eine kühngeschwungene Nase, ein Paar feurige Augen oder sonstige Naturspiele aufzuweisen hatte; denn der Maler befand sich gerade auf der Studienjagd und wußte sich bald, durch List, Gewalt oder bittweise, jener bevorzugten Menschenexemplare zu bemächtigen, sie in sein Atelier zu locken und schonungslos als Studienköpfe an die Wand zu heften. Und in der Regel hatte man dabei nicht einmal den Genuß, sein eigenes Selbst im Bilde zu bewundern. Der dunkellockige Studentenkopf hatte sich in einen kahlköpfigen Spanier verwandelt; nur Nase und Augen erinnerten an das Original, man war geplündert, aber nicht abconterfeit worden.

Während unsere alte Albertina gleichsam unter den Fittichen der Kirche ruhte, steht die neue Universität in der Nähe des Theaters, dessen Seitenfront mit derjenigen einer großen Wirthschaftsscheune eine unleugbare Aehnlichkeit hat. Doch wird sich auch der Tempel der heitern Musen nächstens verschönern, um gegen die benachbarte lichte Halle der Wissenschaften nicht allzu traurig abzustechen.

Wir hatten uns indeß damals an die altersgrauen Räume und die oft kleinen und winkligen Auditorien der Königsberg’schen Musenherberge gewöhnt; ja die Studentenschaft hielt oft ihre Versammlungen in den größeren Hörsälen. Meinen Rastenburger Landsleuten, den Masuren, war ich früh untreu geworden; der Kneipcomment der Landsmannschaften mit den Päpsten, Cardinälen und sonstigen Trinkkunststücken ging über meine Leistungsfähigkeit hinaus. Ich hatte mich der allgemeinen Studentenverbindung angeschlossen, welche in allerlei Kränzchen, Gothen, Teutonen, Hochheimer, Borussen zerfiel, aber doch als ein Ganzes mit burschenschaftlicher Richtung den Lithauern und Masuren gegenüberstand. Der politische Geist jener Epoche erregte natürlich auch die Studentenschaft und führte zu Debatten und Demonstrationen der verschiedensten Art.

Als ich immatriculirt wurde, hatten zwei Hauptredner der Studentenschaft gerade die Universität verlassen, man sprach noch viel von ihnen; ihr Angedenken war noch frisch bei der Menge. Es waren entschiedene Gegner, der eine der Vertreter des nüchternen Verstandes, der andere derjenige eines oft exaltirten Enthusiasmus; jener ein kleines, altkluges, rechthaberisches Männchen, dessen unfehlbare Logik mit ihrer schneidenden Messerschärfe indeß nie Eindruck zu machen verfehlte; dieser eine athletische Natur, leiblich und geistig muskelstark, voll genialer Lebensäußerungen; jener ein Gegner jeder Romantik, dieser ganz Sturm und Drang. Der erste ging später unter die Literarhistoriker, mit einer kleinen kritischen Guillotine, mit welcher er besonders die Poeten heimsuchte, und machte eine Zeitlang seinen Namen zum Schrecken für alle bilderreichen Lyriker. Man schwor auf seine Autorität, und keine mildthätige Seele hob den Dichter auf, den er fallen ließ; wer kennt nicht Julian Schmidt, „den Auszug aller tödtlich feinen Kräfte“ in der Kritik, das Orakel der ewig Nüchternen, den Geist, der stets negirt oder vielmehr jetzt stets „compilirt“?

Sein Gegenpol aber war Albert Dulk, der Dichter des von feurigem Emancipationsdrang beseelten Schauspiels „Orla“, welchem er neuerdings ein interessantes Drama: „Jesus der Christ“ folgen ließ, eine jener Originalnaturen, welche sich mit dem Herkommen überwerfen und phantasievoll und willensstark nur dem eigenen Gesetze folgen. Diesen Kraftmenschen konnte man sich denken mit der Keule des Hercules gewaffnet, während sein Gegner ihm mit dem Lineal des Magisters gegenüberstand. Dulk war ein gewaltiger Turner und Schwimmer – in dem ostpreußischen Modebad Crantz sah man, wenn der Sturm die Wogen hoch aufthürmte, um dieser nüchternen und schläfrigen Sommerstation der Königsberger Beaumonde einen poetischen Reiz zu verleihen, wenn alle Badeplätze abgesperrt waren, einen einzigen kühnen Schwimmer in freier See mit den schaumspritzenden Wellen ringen; es war Albert Dulk, der später der Schwimmkunst des britischen Lords ein Paroli bog, indem er über die ganze Breite des Bodensees in dreistündiger Tour schwamm.

Doch auch andere tüchtige Kräfte, die sich später auszeichnen sollten, belebten damals die Studentenversammlungen der „Albertina“. Der berühmte Chemiker Kirchhoff, welcher die Sterne zwang, ihm die Geheimnisse ihrer Stoffe zu offenbaren, und dessen Name mit der neuen Wissenschaft der „Spectralanalyse“ unlösbar verknüpft ist; der treffliche Pädagog, Shakespeare-Erläuterer und Literarhistoriker Kreyssig, der in seinen neuern Schriften fast zu sehr dem Realismus huldigt, schon damals von lehrhaften Neigungen und bei allen Debatten lebhaft betheiligt; der Geheime Legationsrath v. Keudell, die rechte Hand Bismarck’s, ein stilgewandter Diplomat und dabei eine feine, künstlerisch gebildete Natur, ein musikalisches Talent; der Breslauer Oberbürgermeister Hobrecht, der tüchtige Wiener Publicist Walter Rogge – sie alle, wenn sie auf ihre Jugend zurückblicken, müssen der altersgrauen „Albertina“ gedenken und der Zeit, in welcher der silberne Albertus ihre Studentenmütze schmückte, in welcher die Versammlungen mit ihren Debatten und Parteiungen ein Vorbild des späteren politischen Lebens boten.

Bald traten auch Ereignisse ein, welche die Studentenschaft mit den damaligen Vorkämpfern der Opposition in nähere Berührung brachten. Georg Herwegh, der Dichter der „Lieder eines Lebendigen“, kam auf seinem Triumphzuge auch nach Königsberg; vorausgegangen war seine Audienz bei dem König von Preußen.

Selten hat ein Dichter bei der studirenden Jugend so große Sympathien gewonnen, wie damals Herwegh. Es schien überhaupt für die Poesie eine schönere Zeit anzubrechen, wo sie nicht blos in den Damenalbums der Toilettentische eine Stätte fand, sondern auch die Männer begeisterte.

Ein großer Theil der Studentenschaft betheiligte sich bei den Huldigungen, welche man für den fahrenden Sänger vorbereite. Georg Herwegh kam und wurde festlich begrüßt. Seine Persönlichkeit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 314. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_314.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)