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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


„Die Erlaubniß zum Besuch der Vorposten kann Ihnen nur der Ulanen-Rittmeister St…, der hier das Etappen-Commando führt, ertheilen.“

„Ist das der Geheime Commerzienrath St…, dem die großen Eisen- und Kohlenwerke bei Saarbrücken gehören?“

„Derselbe.“

„Das ist ja ein doppelter Millionär!“

„Im Frieden, ganz recht; im Kriege ist er einfacher Ulanen-Rittmeister und gegenwärtig zugleich Etappen-Commandant.“

„Wo ist sein Quartier?“ fragte sie dringend weiter.

„In dem Hause auf dem Hügel hat er sein Hauptquartier aufgeschlagen.“

„Herr Doctor, tragen Sie freundlichst Sorgfalt für meinen Mann; bevor er aufwacht, habe ich mir von unseren Vorposten aus die Franzosen-Käppis besehen. Meine Kammerjungfer mag hier bleiben, die hat ein furchtsames Gemüth. Also dort auf dem Hügel ist das Quartier des Herrn Rittmeisters? Den bitte ich, daß er mir einen Passirschein und vielleicht auch Bedeckung mitgiebt.“

„Ich bezweifle,“ fiel der Doctor ein.

„Ach, ich werd’ ihn schon herumkriegen. Auf Wiedersehen, Doctorchen! Sagen Sie nichts meinem Mann, damit er sich nicht ängstigt. Zum Kaffee bin ich wieder zurück, die Kammerjungfer soll ihn fertig halten. Sie werden mir dann auf eine Tasse Gesellschaft leisten. Addio, Signore Dottore!“

Und mit der Behendigkeit eines flüchtigen Rehes eilte sie hinaus, dem vorher erwähnten Quartier des Rittmeisters zu. Der Arzt sah ihr kopfschüttelnd nach, und sprach lächelnd vor sich hin: „Ein wahrhaft kindliches Gemüth, aber zugleich ein kleiner Trotzkopf.“

Der Rittmeister hatte eben von einer Ulanen-Patrouille den Rapport entgegengenommen, dem gemäß eine Schlacht rings um Sedan in Vorbereitung war. Ein Adjutant hatte ihm den Befehl überbracht, die Höhen bei Pont à Mousson durch Vorposten scharf beobachten zu lassen, und das Sammeln der versprengten Franzosen an diesem Puncte so viel als möglich zu hindern.

Da trat eine Ordonnanz ein und meldete: „Herr Rittmeister, eine Dame aus Berlin wünscht Sie zu sprechen.“

„Damenbesuch?“ fragte der Rittmeister verwundert, „in dieser verpulverten Gegend? Hat die Dame nicht ihren Namen genannt?“

„Frau v. Rhaden, auch bekannt, wie sie sagt, unter dem einfacheren Namen ‚Pauline‘.“

„Die Lucca!“ rief der Rittmeister, schnell aufspringend, um die Thür selbst zu öffnen.

„Madame,“ begrüßte er die Eintretende, „ich bin erstaunt und zugleich erfreut, Sie in meinem Hauptquartier empfangen zu dürfen. Gemeldet wurde mir schon vor mehreren Tagen, daß Sie von Berlin gekommen seien in der löblichen Absicht, Ihren schwerverwundeten Herrn Gemahl nach Hause zu holen; leider hatte ich noch nicht Zeit, Ihnen meine Aufwartung zu machen.“ Mit diesen Worten präsentirte der Rittmeister einen Stuhl.

„Wenn der Berg nicht zu mir kommt, geh’ ich zu dem Berge, hat Muhamed g’sagt, und so mache ich’s auch einmal türkisch,“ erwiderte heiter die Sängerin, dabei sich setzend.

„Vor allen Dingen, wie befindet sich Ihr Herr Gemahl?“

„Dank der gütigen Nachfrage, er bessert sich mit jedem Tage; doch ist er noch nicht so weit hergestellt, daß er die Reise nach Haus ertragen könnt’, das wird aber nach dem Ausspruch des Arztes in wenigen Tagen der Fall sein, und dann fahr’ ich mit ihm ab.“

„Madame – doch zuvor erlaube ich mir die Frage, wie darf ich Sie nach Ihrer Vermählung tituliren? Frau v. Rhaden? Frau Lieutenant? Frau Baronin oder gnädige Frau?“

„Nennen Sie mich,“ erwiderte sie mit komischer Grandezza, „einfach und kurzweg ‚gnädige Frau‘. Das klingt gut und ’s liegt auch was drin. Auf dem Theaterzettel bleibt’s bei der Frau Lucca.“

„Wie Sie befehlen, meine Gnädige! Was machen denn die lieben Berliner?“

„Die trinken Kaffee, dinnen, soupiren und schlafen vor den Litfaß-Säulen, um die Secunde nicht zu versäumen, wo eine neue Siegesdepesche angeschlagen wird. Um Sie aber nicht lange aufzuhalten, Herr Rittmeister, erfahren Sie gleich, daß ich mit einer Bitte zu Ihnen komme.“

„Wenn die Erfüllung derselben in meiner Macht steht, so ist sie gewährt. Darf ich also fragen?“

„Ich möcht’ nur die Vorposten ein Bischen besuchen und mir von da die Franzosen grad’über betrachten.“

Der Rittmeister glaubte nicht recht gehört zu haben.

„Zu den Vorposten wollen Sie?“ fragte er mit gespannter Miene.

„Ja blos auf so lang’, wie mein Mann der nöthigen Ruh’ genießt.“

„Gnädige Frau, das kann Ihr Ernst nicht sein. Das Kriegstheater ist wesentlich verschieden von einem Operntheater.“

„Weiß ich wohl! Auf dem Kriegstheater singen die Chassepotkugeln den Sopran, die Mitrailleusen gurgeln Bariton, und die Bomben brummen den Baß dazu. So ein Concert möcht’ ich gern einmal hören, Beethoven’sche Symphonien kann ich halt z’ Haus alle Tage haben.“

„Und wenn eine Kugel Sie träfe?“

„Ei, das thut sie nicht, dazu sind die französischen Kugeln zu galant. Bitt’ schön, Herr Rittmeister, geben S’ mir einen Passirschein und ’n paar Ulanen mit. Wollt’ ich den Kriegsschauplatz verlassen, ohne des Feind’s ansichtig geworden zu sein, da wär’ ich, wie Einer, der in Rom gewesen ist und den Papst nicht gesehen hat. – Bitte, bitte! Ich hab’ nicht lange Zeit, um vier Uhr werde ich zum Kaffee erwartet, und dann wird auch mein Mann nach mir fragen.“

„Gnädige Frau, so leid es mir thut, diese Bitte kann ich nicht erfüllen. Nimmermehr werde ich die Verantwortung für einen so gefährlichen Schritt Ihrerseits übernehmen.“

„Wenn’s weiter nix ist! – Ich werd’s Ihnen schriftlich geben, daß ich jede Verantwortung auf mein eigenes Haupt nehme.“

Und ohne weiter zu fragen, ergriff sie ein auf dem Tische liegendes Blatt Papier und schrieb, wie sie verheißen, dann reichte sie die Schrift dem Rittmeister mit den Worten:

„Hier haben S’ einen Ablaßzettel, und wenn Ihnen das noch nicht genügt, so ist hier auch mein Paß, worin der Herr Minister alle Behörden ersucht, meinen Wünschen möglichst nachzukommen.“

„Auch ich werde diesem Ersuchen gern Folge leisten, im Uebrigen weiche ich mehr der Gewalt –“

„Der Gewalt?“

„Ihrer Liebenswürdigkeit.“

„Bitte, hat nichts zu sagen. Ziehen wir denn auf Feldwache!“

Nachdem der Rittmeister der Sängerin einen Passirschein durch die Vorposten überreicht, beorderte er einen Wachtmeister mit zehn Ulanen als Bedeckung für die Primadonna, worauf sich die Karawane in Bewegung setzte, den Höhen zu, wo die Vorposten standen.

Es war am dreißigsten August, die Sonne sandte der Erde ihre feurigsten Strahlen; Frau Lucca, den En-tout-cas in der rechten, den Krimstecher in der linken Hand, schritt rüstig voran, vor sich hin die Arie aus „Figaro’s Hochzeit“ trällernd:

„Dort vergiß leises Flehn, süßes Wimmern,
Da wo Lanzen und Schwerter dir schimmern.“

Die Ulanen trabten munter hinterdrein, und so gelangte der Zug nach ohngefähr einer halben Stunde, durch Gräben und Hecken zur ersten Vorpostenlinie, wo die Feldwachen sich wie Maulwürfe in die Erde eingegraben hatten, um gegen die feindlichen Kugeln einigermaßen geschützt zu sein.

In der ersten Erdhöhle, in deren Nähe der „Vergnügungszug“ Halt machte, waren Sachsen postirt. Einer derselben betrachtete die feine Dame, die nach seiner Meinung ihren Sonnenschirm für einen Kugelfang halten mußte, mit großer Neugierde, dann brach er in die dithyrambischen Worte aus:

„Gott Strambach! Wenn die Weibsen in Breißen so couragirt sein, da ist’s kee Wunder nich, wenn die Franzosen von den Männern dieser Amazonen immerfurt Keile besähn.“

Die Sängerin antwortete im reinsten Wienerisch:

„Ihr habt’s nit recht g’troffen, Held aus Berne, i bin ka Preußin nit, i bin halt a g’borne Oest’reicherin, aus Neigung allerdings auch Preußin, Alles in Allem aber eine echte und rechte Deutsche.“

Schon auf dem Wege hierher waren einzelne Kugeln „von

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 318. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_318.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)