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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

drüben herüber“ geflogen gekommen, die aber alle hoch über den Köpfen weggegangen waren. Jetzt, wo das Häuflein stehen blieb, schienen die Franzosen einen festeren Zielpunkt gewonnen zu haben, denn die Kugeln kamen zahlreicher und dichter, und eines der Ulanenfähnlein wurde sogar von der Lanze weggeputzt. Die Pferde der Reiter fingen an unruhig zu werden.

„Was geht denn vor?“ fragte die Lucca.

Der Wachtmeister sprengte heran, grüßte militärisch und rapportirte:

„Frau Baronin, wenn ich mit meinen Ulanen noch ein Viertelstündchen hier halte, bringe ich keinen Mann gesund nach Hause. Alles können die Franzosen ruhig mit ansehen, nur kein Ulanenfähnchen, wo sich ein solches zeigt, entwickeln sie eine riesenhafte Munitionsverschwendung.“

Hier bäumte sich sein Fuchs, denn eine Kugel war ihm dicht beim Ohr vorbeigepfiffen.

„Um Gotteswillen!“ rief die Sängerin[WS 1] erschrocken, „nur kein Menschenleben meinetwegen in Gefahr bringen. Machen Sie Kehrt, meine Herren, und reiten Sie im Galopp nach Haus. Ich lasse mich beim Herrn Rittmeister schönstens bedanken.“

Sie hatte nicht nöthig ihr Commando zu wiederholen. Die Ulanen, die vom Rittmeister Befehl erhalten hatten, der Dame in Allem zu gehorchen, stoben davon wie Windsbräute und waren bald Aller Blicken entschwunden. Nach ihrer Entfernung hörte auch bald das Schießen auf.

Frau Lucca flanirte nun, sich nach rechts und links umschauend, furchtlos weiter und gelangte bald zu einer der äußersten Feldwachen. Hier sah sie einen vereinsamten, von Kugeln zerrissenen Baumstumpf, den sie, etwas ermüdet, als Fauteuil benutzte. Von hier aus konnte sie durch ihr Glas wirklich das Blitzen der französischen Bajonnete in nicht allzugroßer Entfernung sehen. Das Terrain zwischen den deutschen und französischen Vorposten war vollständig rasirt.

Ein hier stationirter Achtundvierziger, echtes Berliner Vollblut, hatte schon mehrere Minuten in großer Verwunderung die Einsame betrachtet, ohne sich „einen Vers“ auf ihre Erscheinung machen zu können. Jetzt verließ er den ihn schützenden Erdwall und trat der nur mit dem Fernglas Bewaffneten näher.

„Madamchen,“ begann er seine Anrede, „wat wollen Sie denn hier?“

„Ich möcht’ das Kriegshandwerk einmal in der Nähe kennen lernen,“ antwortete sie ohne die geringste Verlegenheit.

„Hm,“ brummte der Soldat und sprach dann weiter: „Betrachten Sie ’mal den Boomstamm, auf dem Sie sitzen.“

„Hab’ ich bereits gethan, ehe ich mich setzte.“

„Wovon denken Sie, daß der so zerrissen ist?“

„Ich denk’ mir, das wird von den feindlichen Kugeln sein,“ gab sie ganz unbefangen zur Antwort.

„Und Sie haben sich dennoch darauf gesetzt?“

„Wenn ein Sopha zur Hand gewesen, hätte ich es vorgezogen.“

Das imponirte dem Achtundvierziger.

„Wenn Sie so couragirt sind,“ sagte er in kräftigstem Soldatentone, „denn sollen Sie ooch Pflaumen haben!“

Bei diesen Worten griff er in seinen frisch gewaschenen Brodbeutel und holte eine Hand voll der schönsten gelben Pflaumen daraus hervor, die er der Sängerin in den Schooß schüttete.

„Dank’ schön!“ sagte lachend die Beschenkte und wollte eben eine der Pflaumen versuchen, als der Soldat schrie:

„Bombe! – Bücken!“

Statt sich aber zu bücken, blickte die Gewarnte in die Luft und fragte neugierig: „Wo denn?“

In dem Augenblick crepirte eine Granate vielleicht hundert Schritte vor ihrem Sitze.

„Jetzt würde ich Ihnen aber doch rathen,“ sagte der Soldat in nachdrücklichem Tone, „sich schleunigst von hier fortzumachen; die Franzosen scheinen mit Ihnen Fühlung zu suchen, wahrscheinlich um Revanche zu nehmen für die von unseren Husaren molestirten Honneurdamen des Herzogs von Magenta.“

Während er dies sprach, zog er sich schleunigst wieder hinter seinen Erdwall zurück und auf seine eindringliche Bitte folgte ihm Frau Lucca, wenn auch zögernd, dorthin. Sie wartete eine Viertelstunde, es erfolgte aber kein Schuß weiter.

„Die Parlewus haben sich, wie es scheint, wieder beruhigt,“ sagte der Soldat; „Sie würden aber doch gut thun, Madamchen, die Zeit der Beruhigung wahrzunehmen und sich rückwärts zu concentriren, denn in die Bouquets, die uns die von da drüben schicken, sind keene Kaffeenelken und keene Theerosen.“

„Ich habe auch genug vom Kriegshandwerk kennen gelernt und will zurück nach dem Dorfe,“ erwiderte die Sängerin; „aber eine Bitte müssen Sie mir noch zuvor erfüllen.“

„Und worin besteht diese Bitte?“

„Ich möcht’ ein paar Splitter von der Granate haben, die in meiner Nähe geplatzt ist, um sie als Andenken an diese Stunde mit nach Hause zu nehmen.“

„Granatsplitter? Die sollen Sie haben!“ sagte der Achtundvierziger und wirklich brachte er nach kaum zehn Minuten einige vorsichtig zusammengesuchte Granatsplitter, die er der harrenden Dame in einer Bonbondüte mit ritterlichem Anstande präsentirte und die Frau Lucca auch dem Schreiber dieser Zeilen mit triumphirender Miene zeigte.

Auf ihrem Rückzuge nach Pont à Mousson hörte sie einen Soldaten halblaut sagen: „Die ist kugelfest! das ist ’ne Hexe!“

Ihr inzwischen erwachter Gemahl hatte sie mit fieberhafter Angst erwartet.

„Bist Du schon munter, Männchen?“ fragte sie ihn bei ihrem Eintritt mit kindlicher Unbefangenheit.

„Aber Pauline,“ begann der Kranke seinen Sermon; sie unterbrach ihn jedoch schnell:

„Lieber Adolph, Deine Zunge lallt noch immer, Du sollst sie ja schonen, hat der Doctor g’sagt, nicht wahr, Herr Doctor?“

„Ja, ja,“ erwiderte dieser lächelnd. „Bedenken Sie aber, Madame, welcher Jubel in Paris ausbrechen würde, wenn eine Depesche erschiene, des Inhalts: Die deutschen Barbaren haben keine Lucca und die Berliner emballeurs de meubles keine ‚Pauline‘ mehr; wir haben sie ihnen aus Rache todtgeschossen!“ –

„Ja, Linchen,“ setzte von Rhaden hinzu –

Sie fiel ihm wieder rasch in’s Wort: „Du wirst Zahnschmerzen bekommen, Adolph, schone Dich! – Die Jungfer soll gleich den Kaffee bringen. Editha, den Mokka!“ rief sie hinaus und der Kranke machte keine Versuche weiter seine Epistel fortzusetzen, umsomehr als er im Voraus wußte, doch nur in den Wind zu reden, denn was „Paulinchen“ sich einmal vorgenommen hat, das setzt sie durch, und wenn Kopf und Kragen dabei auf dem Spiele ständen.

Einige Tage nach der Schlacht von Sedan finden wir den Lieutenant von Rhaden wohl eingehüllt und sorgfältig verbunden nebst seiner Frau und deren Kammerjungfer auf der Rückreise nach Berlin begriffen. Das comprimirte Gemüse war glücklich in Pont à Mousson verbraucht und die Kiste, welche es enthalten, zu Asche verbrannt.

Ein Berliner Banquier, der Frau Lucca in Neundorf bei Mannheim fragte, was sie in so gefahrvoller Zeit hierher geführt, erhielt von ihr zur Antwort:

„Ich hab’ mir mein’n Alten selber vom Kriegsschauplatze g’holt, um ihn z’ Haus als barmherzige Schwester schneller g’sund machen zu helfen.“ – –

Vier Monate nach der hier mitgetheilten Begebenheit war Frau Lucca die glückliche Mutter eines lieblichen Töchterleins, das nach den wenn auch nur passiv mit durchlebten Kriegsabenteuern wohl etwas von dem Charakter einer Kriegsgöttin mit auf die Welt gebracht haben wird.

A. Hopf.




Des Wehrmanns Heimkehr.
1. Mich grüßt mein Kind.

Mich grüßt mein Kind! Gott segne Dich!
Zwei Engelsäuglein grüßen mich!
Es streckt die Aermchen nach mir aus –
Gottlob, ein Engel weiht mein Haus!

O Wiedersehens Freudenstrahl!
Und seh’ Dich doch zum ersten Mal!
Derweil ich stand im schlimmen Feld
Des Kriegs, da kamst Du auf die Welt. –

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: „Sangerin“
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 319. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_319.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)