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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

armen Knaben im Elsaß: „Ich werde den Weihnachtsabend dafür, auch ohne Christbaum, doppelt vergnügt sein.“ Die Mädchen der Selectaclasse in Oelsnitz schrieben selbst ein liebevolles Briefchen an ihre „lieben Brüder und Schwestern in Straßburg“. Toni, Therese und Marie Gerhard schicken aus ihren Sparbüchsen zehn Gulden für die armen Kinder, weil sie selbst sich so sehr auf das Christfest freuen. Und die Mutter schreibt unter das Briefchen: „Möge Gott meinen Kindern auch im Auslande ein warmes deutsches Herz erhalten!“ – Aus Südrußland schickt ein deutscher Knabe zehn Rubel und schreibt dazu: „Ich möchte auch so gern in Deutschland sein, wo die meisten Leute denken und sprechen wie Sie, werther Herr Doctor, und wo es so schön, schön sein soll! Aber meine Mutter will mich noch nicht fort lassen, weil ich erst zehn Jahre alt bin, und doch möchte ich lieber in einer deutschen Schule lernen, als im hiesigen Gymnasium, wo meine Mitschüler mich auslachen, wenn ich von den deutschen großen Siegen spreche. Aber mögen sie lachen, ich lerne das schöne Lied von Emil Rittershaus und sage auch: Glückselig, glückselig, ein Deutscher zu sein!“ – Mit Bleistift, wie sich das Händchen in der Elementarclasse übt, von Hans und Grete aus Dorneichenberg: „Fir die armen Kinder zu Weinachten aus unserer Sparbikse.“ Der kleine Hugo Lenck in Passau schickt von „ihrer acht“ Geschwistern acht Thaler und schreibt: „Sie können sich denken, daß, wo drei Buben und fünf Dirndl, die alle Gottlob kerngesund sind und die viel Hunger und Durst haben und obendrein eine Masse Kleider herunterreißen, das sehr viel sein will.“ Die Kinder haben sich ihre Geburtstagsthaler auf ein Jahr voraus geben lassen, daher die Summe. „War das nicht schlau?“ Freilich, liebster braver Hugo!

Wir müssen, um Wiederholungen zu vermeiden, auf unsere oben angegebenen früheren Bescheerungsnotizen hinweisen, namentlich hinsichtlich der wahrhaft großartigen Gaben einzelner bedeutender Spiel-, Porcellan- und Glaswaarenfabriken und Handelsgeschäfte in Nürnberg, Memmingen, Sonneberg, Görlitz, Scheibe bei Alsbach in Thüringen, Olbernhau, Neustadt bei Koburg, Pösneck, Köthen etc. etc. Leider ist der Gedanke der eifrigsten werkthätigen Teilnehmerin an dem Unternehmen, der Frau Louise Schünemann in Magdeburg, daß „ein großer, großer Extrazug voll Bescheerungsgaben“ nach den neuen Reichsprovinzen abgehen sollte, diesmal nicht ausführbar gewesen; ihre zweihundertsechszig herrlichen Puppen sind aber unter die kleinen Mädel von Straßburg und Kehl brüderlich getheilt worden. Die Schulmänner haben größtentheils die patriotische Bedeutung der Kinderthat, zu welcher Hofmann’s „große Bitte“ anregte, besonders hoch gehalten; ein deutscher Pfarrer – und zwar ein Siebenbürger – nennt sie „den herrlichsten Commentar zu Marc. 9, 37“, und Lehrer Lesensky in Schwerin sagt: „Deutsches Vaterlandsgefühl in den Herzen auch der deutschen Mädchen zu beleben und zu pflegen, nicht blos durch das belehrende Wort und die Erzählung der vaterländischen Geschichte, einer Geschichte ohne Gleichen, sondern auch durch Gelegenheitsuchen und -Geben, sich – ob auch nur in kindlicher Weise und Kraft – thätig in des Vaterlandes Dienst freiwillig zu stellen: das war und ist mein Hochziel, wie ich den Beruf eines deutschen Lehrers verstehe.“ – Viele Kinder hatten bei dem Vorlesen der „Bitte“ geweint, schreibt der Siebenbürger, und Pfarrer Eckstein in Tiefenort schreibt: „Kaum hatten die kleinen Mädchen Hofmann’s Aufruf gelesen, als sie mir auch schon alle ihre Sparbüchsen brachten, damit ich den Inhalt für die deutschen Waisen und die armen Kinder in Elsaß und Lothringen verwenden solle.“ Ein vierjähriges deutsches Mädchen zu Charkow in Rußland sandte auch sein Ersparniß. Und obwohl ausdrücklich nur die Schulkinder dieses Fest im alten und wieder neugewonnenen Deutschland bereiten sollten, so kam doch auch ein „Hemdeläuterchen“, das güte Jörgel aus Breslau, herbei und brachte seinen Thaler, den es gerade in den Händchen halten konnte. Aus Labiau rufen die Kinder den kleinen Elsaß-Lothringern zu:

„Und wenn es wieder Weihnacht ist,
– O wär’ es doch kein Traum! –
Dann ist vorbei der Väter Zwist,
Wir tanzen um den Baum –

Um einen Christbaum, hell und groß,
Für Jedes gleich geschmückt,
Aus einer großen Mutter Schooß
Beschenkt, und gleich beglückt!“

Wie leid thut es Einem, daß man nicht alle diese lieben, kleinen herzigen Briefchen abdrucken lassen kann! Und ob sie sich in dem Ausdruck ihrer Theilnahme namentlich für die neuen deutschen Spielgenossen in Elsaß und Lothringen auch natürlich alle wiederholen, so ist’s doch eine Lust, jedem einzelnen Kinde dabei in die schön erregte Seele zu blicken. Solche Kinder versprechen unserem Vaterlande eine herrliche Zukunft!

Was wird jetzt, wo die erste bitterste Erregung über das Schicksal Straßburgs durch die Belagerung doch wohl im Hinblick auf die so grauenvoll zu Tage getretenen französischen Zustände sich besänftigen konnte, was wird jetzt jene „Straßburgerin“ zu den Liebesäußerungen unserer Kinder sagen? Damals, am vierten December, schrieb sie „Herrn Dr. Hofmann“ als elsässische Antwort auf seine „große Bitte an die deutschen Kinder“ u. A.:

„Ich bitte, verschonen Sie unsere armen Kleinen mit Ihren Liebesgaben, bleiben Sie ihnen ferne mit dieser Brüderschaft; sie glauben Ihnen auf Ihr Wort, daß die deutschen Kinder gut und glücklich sind, und sehen vielleicht einst, wenn sie das Mannesalter erreichen, ob diese deutschen Kinder ihren Vätern in instruirter Barbarei gleichkommen. Unterdessen haben Sie kein Recht, die friedliche Weihnachtstanne bei uns aufzupflanzen; sie wäre zu sehr mit Blut getränkt; aber eine Saat haben Sie ausgestreut, die Wurzel faßt und täglich mehr verspricht. Wir wissen nun, was es heißt ‚Hassen‘, und wir können unsern Kindern nicht verwehren, es von uns zu lernen. …“

Das Gefühl, das den ganzen Brief dictirte, gewinnt uns trotz alledem Achtung ab: es ist die deutsche Treue, die durch Deutschlands Schuld sich nach Frankreich verirrt hat und nun dort ihr Vaterland vertheidigt und beweint. Ebendeshalb haben wir den Handschuh aufgehoben, den diese Straßburgerin uns hinwarf, und unbeirrt von Grollen und Schmollen, auf das wir gefaßt sein mußten, das einmal Begonnene durchgeführt.

Nach Straßburg schickten wir zweitausend Franken und drei große Kisten Bescheerungswaaren, darunter die eine der Frau Louise Schünemann in Magdeburg und die andere aus Memmingen; die dritte war mit den von deutschen Kindern ganz besonders für ihre lieben neuen Straßburger Cameraden bestimmten Gaben angefüllt. Zuschriften von dort hatten uns zwar belehrt, daß unsere feindselige „Straßburgerin“ mit ihrem „Haß“ gegen alles Deutsche nicht allein stand: man schrieb uns sogar: „Von ‚deutschem Weihnachtsbaum‘ oder ähnlichen Anspielungen auf künftige Volksgemeinschaft darf jedoch dabei leider noch nicht die Rede sein.“ Das war zu Anfang December. Paris hielt sich damals noch und hinter Belfort sammelte sich ein mächtiges Heer, auf das alle Französischgesinnten im Elsaß ihre Hoffnung setzten. Diejenigen, welche ihre deutschen Sympathien zu offen gezeigt, geriethen zeitweise in mißliche Lage. Dies Alles darf Man nicht vergessen, wenn man nicht ungerecht über obige Bedenklichkeiten urtheilen will.

Trotz alledem wird der deutsche Geist, der in dem Kinderfest der Weihnacht selbst liegt, schließlich über alle politische Rücksichten und Aengstlichkeiten siegen. Die Freude der Kinder hat jetzt schon vermocht, was wir ihr zu getraut, sie hat Versöhnung gepredigt – und das war für diesmal genug. In Straßburg konnten dreitausend Kinder sich der deutschen Liebesgaben erfreuen und Kinder und Eltern werden gewiß gern an diesen ersten deutschen Friedensgruß zurückdenken. – Nach dem vom Kriege ebenfalls hart mitgenommenen Fröschweiler schickten wir hundert Thaler und eine große Kiste Christgeschenke, und eine Bescheerungskiste mit einer Beilage von zweihundert Franken baar kam nach Schlettstadt. – Für eine Anzahl elsässischer und lothringischer Orte hatte der wackere Pfälzer Buchhändler und opferfreudige Vaterlandsfreund Ed. Witter in Neustadt an der Haardt die Besorgung unserer Gaben übernommen, und die uns zugegangenen Berichte von dort bezeugten, daß dies meist mit Glück geschehen war. In Lützelstein besorgte der protestantische Pfarrer für einundzwanzig Kinder seiner Gemeinde eine Anzahl Blousen, Hemden, Schürzen, Hosen etc., und bei der Bescheerung betonte er namentlich das Zusammengehören der Elsässer mit den Deutschen und die Liebe und das zarte Gefühl der deutschen Kinder, deren Liebeswerk in der That viel dazu beigetragen habe, die Wunden des Krieges, im Lande zu heilen. – In Weißenburg verbanden die deutschen Beamten ihre Sammlung mit unserer Kindergabe und veranstalteten eine Christbescheerung für die hundertvierzig ärmsten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 332. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_332.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)