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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Kinder der ersten Siegesstadt dieses Kriegs. – In Pfalzburg besorgte Forstmeister Schirmer von Zabern ein Neujahrsfest für die armen Kinder, bei welchem Kleidungsstücke und baar Geld zur Vertheilung kamen. Auf den Wunsch des Maires hatte man es auch da vermieden „eine Festlichkeit zu veranstalten, welche ohne Zweifel das Gefühl der Bevölkerung verletzt haben würde.“ Aus demselben Grunde zog man auch in Zabern eine Geschenkvertheilung in der Kinderschule dem noch zu ostensiblen deutschen Christfest vor. – Dagegen strahlte die deutsche Weihnachtstanne in voller Pracht in der Festung Marsal. Dort hatte der Commandant, Artilleriehauptmann Metz, im Verein mit dem Maire und der Oberin der barmherzigen Schwestern vom Orden St. Charles, die Sache in die Hand genommen und schreibt uns darüber: „Mit Freuden unterzog ich mich dem Auftrage, den armen Kindern Marsals einen freudigen Abend zu bereiten, welcher Auftrag so recht von dem gutherzigen deutschen Sinne zeugt, der in unseren Kleinen genährt wird und so zum herzlichen Ausdrucke kam … Am Abend des ersten Januar wurden die Kleinen im Saale des ‚Kinderasyls‘ versammelt; ich hatte einen prächtigen Christbaum in den Festungsanlagen fällen lassen, und es war derselbe getreu unserer heimathlichen Sitte behängt und geziert worden, – wohl der erste, der seinen Glanz hier auf französischem, nun bald deutschem Boden ausstrahlte. Viele der Eltern und wir Officiere der Garnison wohnten dieser für uns so wohlthätigen nachträglichen Weihnachtsfeier bei; wir sahen nur glückliche, freudige Kindergesichter und aufrichtigen Dank in den Mienen der Eltern. Wohl manches Jahr werden die Kleinen Marsals sich dieses Abends gern erinnern.“

Ebenso erfreulich lauten die Nachrichten aus Diedenhofen. Wenn auch der dort fungirende Vicar, ein Deutscher, Das, was er über die Sitte und Bedeutung des Christbaums in Deutschland erzählte, den Kindern in französischer Sprache vortragen mußte, weil diese, seit Jahren als Unterrichtssprache eingeführt, ihnen allein verständlich ist – so schließt der Unterpräfect seinen deutschen Bericht doch mit den Worten: „Der deutsche Weihnachtsbaum und die schöne Sitte der Christbescheerung an arme Kinder wird sich in diesem, Deutschland zwar entfremdeten, aber fortan angehörigen Lande nach diesem Vorgänge hoffentlich wieder einbürgern. Auch übernahm ich es gern, den Dank der beschenkten Kinder an die kleinen Cameraden in Deutschland zu vermitteln, mit denen sie, so Gott will, auch ferner gute Cameradschaft halten werden.“

Endlich waren auch für die kleinen armen Deutschen und Franzosen in Metz hundert Thaler von uns abgeschickt, die, nach den schriftlichen Versicherungen des Herrn General-Gouverneurs von Lothringen (General der Infanterie, Herrn von Bonin) und des Herrn Präfecten von Deutsch-Lothringen (Grafen Henckel-Donnersmarck), im Sinne der Geschenkgeber verwendet worden sind.

Mit diesem Erfolge ihrer Liebessorge für Elsaß-Lothringen müssen unsere Kinder sich zufrieden stellen, und sie können es: für die Kürze der Zeit ist das Mögliche gethan worden. –

Dasselbe gilt für, die Bescheerungen der Wehrmannskinder in Deutschland. Größere Sendungen von Geld und Bescheerungskisten kamen nach Kehl, Oberwiesenthal im Erzgebirge, dem preußischen Schmiedefeld auf dem Thüringerwald, Marienwerder in Preußen und an die sächsischen Dörfer, welche die Mannschaften zu den 106., 107. und 108. Regimentern lieferten, die vor Paris in den Decembergefechten so furchtbar gelitten hatten. Nicht weniger bedeutend waren die Gaben an Geld und Bescheerungsgegenständen, welche vereinzelt mehreren hundert besonders bedürftigen Frauen oder Waisen von Landwehrmännern zugetheilt wurden. Der Gartensalon des Gartenlaube-Hauses war bis zum Weihnachtsfest ein kleiner Bazar, in welchem tagtäglich Kistchen und Päckchen gepackt, und nach allen Himmelsrichtungen versendet wurden.

Im Ganzen waren eingegangen einundsiebenzig Sendungen von Kisten, Säcken und Packeten an Bescheerungsgaben und dreihunderteinundvierzig Geldsendungen im Gesammtbetrag von 2044 Thlr. 8 Ngr. 3 Pf. – und dies Alles der Erfolg der „großen Bitte“ in wenigen Wochen.[1] Freut Euch, Ihr Kinder, Ihr habt Eure Sache brav gemacht! –

In Deutschland dürfen wir die Sorge für den Christbaum der Armen in diesem Sieges- und Friedensjahre den Erwachsenen allein überlassen; dagegen sollten die deutschen Kinder ihre Versöhnungsarbeit im neuen Reichslande jenseits des alten deutschen Rheines nicht nach dem ersten Versuche schon aufgeben. Denkt an den Fehdehandschuh, Ihr deutschen Kinder, den Euch jene erzürnte „Straßburgerin“ hingeworfen. Wir heben ihn auf und halten fest zusammen, denn es muß sich ja endlich doch einmal entscheiden, was stärker ist und was in Elsaß-Lothringen siegen wird, die deutsche Liebe oder der französische Haß.


Der See von Oeningen.

Wer schon Gelegenheit hatte, ein größeres Naturaliencabinet nicht blos flüchtig durchzusehen, erinnert sich vielleicht noch an jene gelblichweißen Kalksteintäfelchen, welche sehr deutliche und bis zu der feinsten Nervation wohlerhaltene Abdrücke von Baumblättern der mannigfaltigsten Formen zeigen, oder auf denen versteinerte Käferchen, Fliegen oder Ameisen, zuweilen auch wunderschön erhaltene Fischchen zu sehen sind. Alle diese feinen Versteinerungen stammen aus den berühmten Steinbrüchen von Oeningen. Es ist bis jetzt kein zweiter Fundort bekannt, der sich in Bezug auf Reichhaltigkeit und gute Erhaltung der versteinerten Formen mit Oeningen messen könnte, und deshalb fehlen diese Versteinerungen in einer größeren Naturaliensammlung gewiß selten.

Schon lange bevor man den wahren wissenschaftlichen Werth der Versteinerungen würdigen konnte, wurden auch die Oeninger Funde als Raritäten aufgehoben. Es werden besonders die Mönche des ehemaligen Augustinerklosters zu Oeningen als Sammler bezeichnet, und ein Züricher Gelehrter, Namens Scheuchzer, der zu Anfang des vorigen Jahrhunderts lebte, beschrieb mehrere Oeninger Funde auf eine recht ergötzliche Art. Derlei Sachen hielt man damals für treffliche Belege zur mosaischen Schöpfungsgeschichte; Scheuchzer glaubte sogar das Skelet eines bei der Sündfluth ertrunkenen Menschen aufgefunden zu haben und wurde dadurch auf’s Höchste begeistert, und dieser Begeisterung verdanken die Gläubigen eine recht erbauliche poetische Production. Scheuchzer redet den versteinerten Menschen mit folgenden Worten an:

„Betrübtes Beingerüst von einem alten Sünder,
Erweiche Sinn und Herz der neuen Bosheit Kinder!“

In späterer Zeit stellte es sich freilich heraus, daß Scheuchzer sich geirrt habe. Der berühmte Anatom Cuvier wies nämlich auf das Allerbestimmteste nach, daß der angebliche vorsündfluthliche Mensch eigentlich gar kein Mensch, sondern blos ein riesiger Salamander sei, der einst im Oeninger See gelebt hatte. Aehnliche Riesensalamander finden sich jetzt noch in den Gewässern von Japan und eines Theils von Amerika.

Oeningen liegt im südlichen Baden, in der Nähe des Bodensees, da wo der Zeller- oder Untersee allmählich in den Rhein sich verschmälert. Die Steinbrüche sind etwa eine halbe Stunde von Oeningen entfernt, der eine liegt etwa fünfhundertfünfzig Fuß, der andere siebenhundert Fuß über dem Spiegel des Bodensees. Die Brüche liefern Kalkstein und zum Theil dünnschiefrige Kalkmergel.

Die Versteinerungenkunde (Paläontologie) ist eine noch sehr junge, aber doch schon gut ausgebildete Wissenschaft; noch nicht gar lange hat man den wahren wissenschaftlichen Werth der Versteinerungen erkannt. Auch die Oeninger Fossilreste konnten

  1. Weil es bei dem jetzt schon von mehrerlei unumgänglichen Quittirungen in Anspruch genommenen Raum der „Gartenlaube“ wirklich nicht möglich war, über alle Gaben vollständige Quittung in derselben abdrucken zu lassen, eine Empfangsbescheinigung aber für sehr viele der Geber und Gabenbesorger ein geschäftliches Erforderniß ist, so haben wir eine solche vollständige Quittung besonders drucken lassen und senden dieselbe den uns bekannten Adressen unter Kreuzband zu. Die nicht wenigen anonymen Einsender, welche sich dennoch von dem richtigen Empfang ihrer Gaben überzeugen wollen, bitten wir, in frankirten Briefen ihre Adresse uns anzugeben.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 333. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_333.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)