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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


de Savigny in Nizza gewesen in Begleitung ihrer Mutter und Schwester. Sie hatte dort einen jungen deutschen Musiker kennen gelernt, schön und talentvoll, doch den Todeskeim mit sich tragend. Auch Angeline war talentvoll und der Musik mit Leidenschaft ergeben; kein Wunder, daß sich die Seelen der beiden von der Natur so verschwenderisch begabten Wesen bald gefunden hatten. Die Musik war es, die aus dem Gefühl der Freundschaft eine reine und glühende Liebe entwickelte, einen Bund der Herzen bewirkte, den der Tod leider nur zu bald trennen sollte.

Als die Familie de Savigny von Nizza nach ihrer Villa in Vitry zurückkehrte, ging der Bräutigam Angelinens mit, und es folgte sehr eine schöne Zeit für die beiden Liebenden, die nur ihrem Glücke, ihrer Liebe und der Musik lebten, ohne an etwas Anderes zu denken. Der Verlobte Angelinens fühlte sich so wohl und gesund wie nie zuvor und lebte an der Seite seiner schönen Braut einen ununterbrochenen Tag des Glückes, stolze und ehrgeize Pläne für die Zukunft machend. Allein das Auge der Mutter sah scharf; sie ahnte, daß diese scheinbare Gesundheit des jungen Musikers nur das letzte Aufflackern des Lebens war, das im Begriff stand für diese Welt zu verlöschen. Den Muth, diese Befürchtungen ihrer Tochter mitzutheilen und sie dadurch so jäh aus ihrem schönen Glückestaumel zu erwecken, hatte sie freilich nicht; oft aber, wenn die beiden Liebenden vereint an dem Clavier saßen – demselben, das jetzt in meinem Zimmer stand – um die schwermüthigen deutschen Melodien, und besonders dies eine Lied: „Es ist bestimmt in Gottes Rath, daß man vom Liebsten, was man hat, muß scheiden,“ miteinander zu singen, konnte sich Madame de Savigny der Thränen und des Gedankens, wie sehr gerade dies Lied auf die Beiden passe, nicht erwehren. „Es ist bestimmt in Gottes Rath,“ das sang der jetzt Verklärte noch eine Stunde vor seinem Tode, mit einen Ausdruck, der für Alle, die es hörten, unvergeßlich war; er sang sich sein Schwanenlied! Vor einem Jahre war er gestorben, und noch konnte sich die Familie nicht von ihrem Schmerz erholen, jeder leise Anstoß ließ ihn auf’s Neue mit aller Macht hervorbrechen.

Die Familie in dem Landhause in Vitry war mir bald sehr lieb geworden, diese Zuneigung war gegenseitig, und noch jetzt denke ich oft an jene Tage zurück, und sollte mich mein Geschick wieder einmal nach Frankreich führen, aber hoffentlich dann nicht als Feind, so bin ich gewiß, freundlich und liebevoll von der Familie de Savigny aufgenommen zu werden. Ich ging später jeden Tag auf den Kirchhof von Vitry, um das Grab des deutschen Landsmannes, der in Frankreich so viel Liebe erfahren hatte, zu besuchen; es war ein einfacher, mit üppigem Moos bewachsener Hügel mit der lebensgroßen Marmorstatue des Entschlafenen, von Cypressen umgeben.

Als ich von Vitry fortging, war ich ungefähr vier Wochen lang immer auf dem Marsche; diese Zeit war zwar höchst anstrengend, aber auch wiederum sehr interessant. Ein jeder Tag brachte uns neue Gegenden, neue Menschen. Ueberall sahen wir am Wege die Einwohner stehen mit der unvermeidlichen Zipfelmütze und den schwarzen Holzpantoffeln; Einzelne betrachteten uns mit unverkennbarer Neugierde, Andere dagegen sahen wir auch mit einem beinahe Furcht erregenden Ausdruck Geberden machen, die unmöglich falsch zu verstehen waren; aber bei diesen Geberden blieb es auch; nur eine gewisse Bewegung unsererseits mit dem Gewehr, und die ganze prahlerische Masse, die in der dortigen Gegend die grande nation vertrat, war zerstoben.

Daß in jedem Theil Frankreichs viel mehr Wohlhabenheit, als irgendwo in Deutschland herrscht, ist bereits eine bekannte Sache; der unaufmerksamste Beobachter würde diese Bemerkung, ganz abgesehen von allem Andern, schon bei den Dörfern machen, denen wir hier durchgängig den Namen Städte beilegen würden. Besonders aufgefallen sind mir auch die selten schönen und großen Kirchen, und zwar ist kein Dorf ohne solche. Schöner als bei uns in Städten von vielleicht hunderttausend und mehr Einwohnern, sind auch in dem armseligsten französischen Dorfe die Glocken. Es war stets ein erhebender Augenblick, wenn wir auf dem Marsche waren, und wenn dann plötzlich mit dem Untergange der Sonne oder zur Vesperzeit alle die vielen Glocken aus den verschiedenen, im Ganzen sehr nahe zusammenliegenden Ortschaften in einem harmonischen Ganzen zusammenklangen. Diese verschiedenen Töne, kräftig und milde, worein dann wieder das tiefe Summen einer besonders großen Glocke hallte, vereinten sich stets zu der schönsten Musik. Ferner ist an jeder Kirche eine Thurmuhr, deren richtige Zeitangabe nichts zu wünschen übrig läßt; auch haben diese als sehr angenehme Beigabe ein hübsches Glockenspiel; meistentheils sind die Melodien aus den bekanntesten Opern genommen, und es kommt wohl vor, daß man mitten im Schlafe in tiefer Nacht „Wir winden dir den Jungfernkranz“ oder dergleichen in nächster Nähe herunterdudeln hört und dadurch an den heimischen Leiernkasten erinnert wird.

Eine Zeit lang horcht man und lauscht man; dann aber – man lernt im Kriege den Segen des Schlummers gewaltig schätzen – dreht man sich wieder auf die andere Seite, schläft ein, und es ist kein Wunder, wenn liebe Träume aus der Heimat einkehren und für kurze Zeit die holdeste Täuschung hervorrufen. – Lassen Sie mich heute hier abbrechen. Noch mancherlei Erlebtes, Gesehenes und Gedachtes ruht in meinem Notizbuch wohlverwahrt, und wenn die vorstehenden Aufzeichnungen den Beifall Ihrer Leser gefunden haben, so will ich gern noch Weiteres aus „meinem Feldzugsleben“ folgen lassen.

v. N… nn.




Blätter und Blüthen.


Der unverwüstliche Capitain. Am 10. März dieses Jahres fand sich in New-York in der Wohnung des Generals J. Watts de Preyster eine kleine, aber ausgewählte Gesellschaft hervorragender Militärs und Schriftsteller zusammen, um den Geburtstag eines Mannes zu feiern, dessen Leben an Ereignissen und Wechselfällen so reich ist, daß selbst die Phantasiegestalten eines Victor Hugo oder Alexander Dumas dem gegenüber verblassen müssen. Der Name dieses Mannes ist Capitain Lahrbush, und wer an jenem Tage zufällig in den Kreis der beim General Preyster versammelten Gäste eingetreten wäre und die launige Rede jenes rüstigen Greises mit angehört hätte, in welcher derselbe am Schlusse die Hoffnung ausspricht, nach zehn Jahren dieselbe Gesellschaft an demselben Platze wieder zu treffen, der hätte wohl kaum geglaubt, daß seit dem Tage, an welchem der Sprecher in England das Licht der Welt erblickte, volle hundertfünf Jahre verstrichen seien. Um dem Leser in engem Rahmen ein Bild der bewegten Vergangenheit dieses seltenen Geburtstagskindes zu geben, wird es das Beste sein, wenn wir die bei dieser Gelegenheit gehaltene Rede des Gastgebers dem Wesentlichen nach wieder geben. Dieselbe lautet ungefähr folgendermaßen:

„Verehrte Freunde! Wir sind so oft an dieser Stelle zusammengekommen, um den Geburtstag des verehrungswürdigen Helden dieses Festes zu feiern, daß es unnöthig ist, alle die wunderbaren Einzelnheiten seiner Carrière zu wiederholen. Ich will mich daher heute hauptsächlich auf die Perioden seines Lebens beschränken, welche in genauerer Beziehung zu jenen zwei großen Mächten stehen, die in den letzten sieben Monaten so ausschließlich die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben.

Capitain Lahrbush wurde 1766 geboren, in jenem für Preußen dadurch so wichtigen Jahre, daß während desselben die ersten Schritte zur Einverleibung jenes Theiles des Königreichs Polen, welches Ostpreußen und Schlesien von einander schied, gethan wurden. Zu jener Zeit saß auf dem Throne Frankreichs Louis der Fünfzehnte, ein schwächlicher und ausschweifender Fürst, der nicht im Stande war, Friedrich dem Großen die Wagschale zu halten, obgleich der Letztere erklärte, daß, wäre er König von Frankreich, kein Schuß in Europa ohne seine Erlaubniß abgefeuert werden sollte. Seit dem Geburtstage des Gastes, zu dessen Ehre wir hier versammelt sind, haben fünf Monarchen in Preußen geherrscht, und die Regierung Frankreichs hat dreizehn Mal gewechselt. Der erste Feldzug, den der Capitain mitmachte, war gegen die mächtige französische Republik gerichtet, welche derselbe allenthalben triumphiren sah, und seine zweite Feuerprobe hatte er in Irland zu bestehen, wo die Franzosen fortwährend bemüht waren, das Feuer der Revolution zu schüren, bis die Vernichtung der vereinigten französischen und spanischen Flotte die Gefahr einer Invasion endgültig beseitigte.

Das erste große Schlachtfeld, auf welchem er stand, war bei Jena, wo er am 14. October 1806 Zeuge des Zusammenbruchs jener militärischen Organisation war, welche bis dahin für unwiderstehlich gehalten worden war. Er befand sich damals in der Suite des britischen Gesandten, des bekannten Lord Castlereagh, welcher dem Könige und dessen Gemahlin Louise, der liebenswürdigsten der Frauen und der unglücklichsten der Königinnen, auf das Schlachtfeld gefolgt war. Während des folgenden Jahres wurde derselbe bekannt mit einer Reihe von berühmten Männern, Kaisern, Königen, Erzherzögen, Prinzen und, was damals von größerem Gewicht war, französischen Marschällen, deren Namen noch jetzt die Welt mit Bewunderung erfüllen. In Coburg lernte er Blücher kennen, der damals so arm an Glücksgütern war, daß er kaum die Mittel zum Leben hatte, aber trotzdem niemals daran zweifelte, daß Preußens Schwert bestimmt sei, volle Rache an Frankreich zu nehmen. Er stand an den Ufern des Niemen und war Augenzeuge jener denkwürdigen Zusammenkunft Napoleon’s mit Alexander, welche dem Friedensschluß von Tilsit vorausging. Damals

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 339. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_339.jpg&oldid=- (Version vom 1.10.2017)