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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


murmelte Atkins mit unterdrücktem Zorn. „Was der Bücherwurm für einen militärischen Anstand hat, als hätte er sein Lebelang den Degen an der Seite getragen, und von der Schwindsucht ist auch nichts mehr an ihm zu sehen! Aber jetzt sagen Sie mir um Gotteswillen, Henry, warum leugneten Sie, daß –“

„Schweigen Sie!“ unterbrach ihn Henry leise und hastig. „Kein Wort zu ihm von der Gegenwart Miß Forest’s, nicht eine Sylbe! Ich bin im Moment wieder zurück!“

Er verschwand gleichfalls im Hause, Atkins blickte ihm kopfschüttelnd nach.

Jetzt wurde auch Henry noch unbegreiflich.

Fernow war inzwischen zurückgekommen. „Ihr junger Landsmann hat uns verlassen?“ fragte er nach einem flüchtigen Umblick.

„Er wollte sogleich zurückkehren,“ sagte Atkins rasch, und in der That trat Henry auch schon wieder aus der Thür. Er führte Jane am Arm und sprach zu ihr, so eifrig und angelegentlich, daß sie die Gestalt des jungen Officiers, der ihr den Rücken zukehrte, nicht eher beachtete, als bis sie dicht neben ihm stand. Da wandte Fernow sich um.

Einen Moment lang standen sich die Beiden gegenüber in stummer athemloser Ueberraschung. Dann aber überfluthete es plötzlich das Antlitz Walther’s wie heller Sonnenschein, die blauen Augen leuchteten auf in ihrem ganzen schwärmerischen Feuer, ein Strahl leidenschaftlichen, grenzenlosen Glückes brach daraus hervor, das ganze Wesen des Mannes schien zu erglühen in dieser einen stürmischen Empfindung – der Moment des Wiedersehens verrieth Alles.

Aber anders spiegelte er sich in Jane’s Zügen. Sie schwankte zurück, entsetzt und todtenbleich, und wäre in die Kniee gesunken, hätte Henry sie nicht gestützt. Sein Arm hielt den ihrigen mit eisernem Griffe gefaßt, er preßte diesen Arm gegen seine Brust, so fest und gewaltsam, als müsse er zerbrechen, sie fühlte es nicht. Sein Auge haftete durchbohrend auf den Beiden, auch nicht das Zucken einer Wimper war ihm entgangen, und eisig und unheimlich legte sich ein furchtbarer Ausdruck auf seine Züge. Es bedurfte keines Wortes, keiner Erklärung mehr – er wußte genug.

Fernow faßte sich zuerst, er hatte nur auf Jane gesehen, nicht auf Alison, nicht dessen so meisterhaft ausgeführtes Manoeuvre bemerkt, er sah nur sie allein.

„Miß Forest! Ich ahnte nicht, daß ich auch Ihnen hier begegnen würde!“

Henry fühlte es an der Hand, die auf seinem Arme lag, wie bei dem ersten Ton dieser Stimme ein Beben ihren ganzen Körper durchrieselte, er ließ langsam den Arm fallen und diese Bewegung gab ihr die Besinnung zurück.

„Mr. Fernow – in der That – wir glaubten Ihr Regiment bereits auf dem Wege nach Paris.“

Der Ton klang so herb und kalt, wie einst, und ihr Blick vermied den seinigen; Jane wußte es, wenn sie jetzt diesen Augen begegnete, so war Alles verloren.

Der Sonnenschein in Walther’s Zügen verschwand, seine Augen verschleierten sich, und die alte Düsterheit tauchte wieder darin empor. „Wir sind zurückbeordert worden, die Bergpässe zu schützen!“ Sein Blick suchte immer nach den ihrigen, und noch immer vergebens.

„Also von Ihnen ging die Zurückweisung aus, die wir erfuhren? Es mag wohl Ihre Pflicht sein, Mr. Fernow, wir fügen uns.“ Und mit dem letzten Aufwande von Kraft, die ihr noch übrig blieb, wandte Jane sich weg von ihm und zog sich hinter Atkins zurück.

Fernow’s Lippen zuckten. Das war wieder die kalte unnahbare Miß Forest, und jener Moment des Abschiedes, der im Wachen und Traum nicht aus seiner Seele wich, den er in all den Stürmen und Gefahren mit sich herumgetragen, er war vergessen, losgelöst aus ihrem Gedächtnis, sie schrak ja zurück bei seinem Anblick, wie vor etwas Feindseligem, Gehaßtem. Der Abend auf dem Ruinenberge stand wieder vor ihm und wie damals siegte der Stolz über die Bitterkeit, er wandte sich seitwärts.

„Friedrich!“

„Herr Lieutenant!“

„Du führst die Dame und die beiden Herren nach dem Schlosse zu dem Herrn Doctor, Mr. Atkins wird ihm das Nöthige mittheilen und ich lasse ihn bitten, das Weitere bei dem Herrn Major zu veranlassen. Sie kennen ja Doctor Behrend, Mr. Atkins, von B. her, ich muß Sie vorläufig seiner Fürsorge anvertrauen, mich hält meine Pflicht noch hier im Dorfe fest, ich bitte, mich damit zu entschuldigen.“

Die Hand an den Helm legend, verabschiedete er sich mit einem Gruße, der allen Dreien galt, und schritt dann rasch an dem Hause vorüber nach der Wiese hin, wo die ersten Posten standen.

Es war ein unendliches Wonnegefühl, mit dem Friedrich sich an die Spitze der „amerikanischen Sippschaft“ stellte, um sie nach dem Schlosse zu transportiren. Er hatte von der englisch geführten Unterredung natürlich nichts verstanden und war daher felsenfest überzeugt, daß die Gehaßten, die sein Lieutenant ihm übergeben, allermindestens Spione oder Verräther seien, von deren sicherer Bewachung das Heil des ganzen Regiments abhinge. Im Vollgefühl dieser ihm anvertrauten Mission schritt er in strammster militärischer Haltung mit erhobenem Haupte dahin, bereit, bei dem allergeringsten Fluchtversuche von seiner Waffe Gebrauch zu machen.

Zum Glück jedoch unternahmen die Amerikaner nichts dergleichen. Das jüngere Paar ging schweigend voran, ohne auch nur ein Wort miteinander zu wechseln, nur Mr. Atkins sah die ihm beigegebene Escorte von der Seite an und sagte sarkastisch:

„Sieh da, Mr. Friedrich! Wir sind also jetzt auf Gnade und Ungnade in Ihren Händen.“

Friedrich sah mit ungeheurem Selbstbewußtsein auf ihn herab, jetzt freilich war er Herr und Meister, aber es stimmte ihn doch etwas milder, daß der hochmüthige Amerikaner seine Lage so völlig begriff.

„Mein Lieutenant hat es befohlen!“ entgegnete er nachdrücklich, „und wenn mein Lieutenant dabei ist, geschieht Ihnen nichts Unrechtes!“

„Sie nehmen mir eine Last vom Herzen!“ spottete Atkins. „Ich bin Ihnen unendlich dankbar für die Beruhigung, daß wir weder in den Keller geworfen, noch in Ketten geschlossen werden, aber mein bester Mr. Friedrich, diese Metamorphose ‚Ihres Lieutenants‘ grenzt wirklich nahezu an’s Fabelhafte. Der Herr Professor sind ja ein Kriegsheld geworden vom Scheitel bis zur Sohle. Seine Hochgelahrtheit verstehen sich jetzt, wie es scheint, ganz trefflich auf’s Commandiren und haben in den sechs Wochen bereits gelernt, mit ‚Posten‘ und ‚Ordres‘ und ‚Cameraden‘ um sich zu werfen, als wären sie im Felde groß geworden statt hinter dem Büchertisch. Wo haben Hochdieselben denn ihre ehemalige Schüchternheit und Zerstreutheit gelassen?“

„In B.,“ sagte Friedrich trocken, „bei den Büchern!“

Atkins sah ihn förmlich bestürzt ob dieser Antwort an. „Jetzt wird sogar dieser Bursche intelligent!“ murmelte er mit unterdrücktem Zorn. „Das fehlte wirklich allein noch!“

Die gerühmte Intelligenz sollte jedoch bald genug eine harte Probe bestehen. Zehn Minuten später erschien Friedrich auf der Terrasse, wo mit Ausnahme des Majors, der augenblicklich im Schlosse war, noch die übrigen Officiere bei einander saßen, und marschirte sofort auf den Arzt los.

„Von Herrn Lieutenant Fernow! Er schickt dem Herrn Doctor hier drei Spione und läßt den Herrn Doctor bitten, das Weitere bei dem Herrn Major zu veranlassen.“

„Bist Du toll?“ rief der Arzt laut auflachend. „Was soll ich mit den Spionen? Sind sie verwundet?“

„Nein, sie sind alle Drei ganz heil und gesund.“

„Friedrich, das ist gewiß wieder eine von Ihren Dummheiten,“ sagte der Hauptmann, bedächtig sein Glas ausschlürfend. „Zum Herrn Major, wird der Lieutenant gesagt haben.“

„Zum Herrn Doctor soll ich sie bringen!“ beharrte Friedrich, „weil er sie von B. her kennt. Die Nichte des Herrn Doctor Stephan, die amerikanische Miß, ist auch darunter.“

„Miß Forest!“ rief der Arzt aufspringend. „Himmel und Erde, hat dieser Walther ein grenzenloses Glück! jetzt führt ihm der Zufall die Kriegsbeute entgegen, und er kümmert sich gar nicht darum, schickt sie uns per Escorte hier herauf – das konnte auf der ganzen Welt auch nur Walther Fernow fertig bekommen!“

„Miß Forest? Wer ist Miß Forest? So reden Sie doch, Doctor!“ klang es jetzt neugierig von allen Seiten.

„Halten Sie mich nicht auf, meine Herren!“ rief der Doctor eifrig. „Ich muß da, wie es scheint, einen tollen Irrthum aufklären.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 343. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_343.jpg&oldid=- (Version vom 1.10.2017)