Seite:Die Gartenlaube (1871) 348.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Zwei Sommergeschichten.
Von Karl Wartenburg.
1. Die Oesterreicher in Leipzig.


War das ein heißer Sommer, der von 1849! Es war gut, daß der Professor Albrecht in Leipzig, Einer der Göttinger Sieben, seine Vorlesung über deutsches Staatsrecht in dem schattigen Auditorium des Kirchenflügels des Augusteums in den kühlen Vormittagsstunden hielt, wer hätte sonst im Sommer 1849 ein Colleg über deutsches Staatsrecht hören sollen? In Dresden, in der Pfalz und in Baden war soeben das neueste deutsche Staatsrecht, die deutsche Reichsverfassung, durch das Kanonenrecht antiquirt worden und in dem deutschen Kaiserstaat, wie sich die österreichisch-habsburgische Monarchie unbefugter Weise so gern nannte, regierte seit dem October 1848 das Standrecht. Fürst Windischgrätz, Haynau, der Feldzeugmeister von Welden, Gouverneur von Wien, übten eine sehr summarische Justiz aus, bei welcher der Strick und Pulver und Blei die Hauptrolle spielten.

Eine derartige Rechtspflege ist nicht nach Jedermanns Geschmack, und besonders die österreichischen Demokraten hatten alle Ursache, sich vor der geringsten Berührung mit dieser Corporaljustiz in Acht zu nehmen. So reizend die schöne blaue Donau und die Prager Moldau auch sind, an den flachen Ufern der Pleiße und Elster in Leipzig ließ sich wenigstens sicherer leben. Wie Coblenz in der großen Revolution von 1789 der Zufluchtsort der französischen Adligen und Königlichen, so war Leipzig 1848 und 1849 die gastliche Herberge der österreichischen Demokratie geworden.

Wiener Studenten, ehemalige akademische Legionäre, Nationalgarden-Officiere, ausgetretene kaiserliche Officiere, demokratische Zeitungsschreiber, Parteiführer aller slavischen Nationalitäten der habsburgischen Monarchie fand man zu jener Zeit in den Leipziger Restaurationen und Kaffeehäusern, wo man sie, wenn nicht an ihrer mehr oder minder eigenthümlichen Tracht, an ihrer Aussprache erkannte.

Besondere Gastfreundschaft fanden diese Flüchtlinge aus Oesterreich bei dem freisinnigen Theile der Studentenschaft und bei vielen Leipziger Buchhändlern, die den literarisch Gebildeten unter jenen auch Erwerbsquellen verschafften. Es lag unendlich viel deutsche Gutmüthigkeit und Unbefangenheit in dieser Gastfreundschaft. Man frug Niemanden nach seinem Glaubensbekenntniß, es genügte, daß er politischer Flüchtling war; und ob Deutscher, Pole oder Czeche – das war ganz gleichgültig. Die Jugend schwärmte damals wenigstens noch für den Völkerfrühling und die allgemeine Verbrüderung aller Nationen, von der im Februar 1848 Alphons von Lamartine vom Pariser Stadthause aus phantasirt hatte. So frug man damals in Leipzig auch nicht, ob der Flüchtling aus Oesterreich ein guter Deutscher oder ein fanatischer Böhme war, der von der Wiederaufrichtung des Reichs der Wenzelskrone und von den Siegen der Hussiten, der Prokope und des Ziska träumte. Man hielt Jeden, der das Vaterland hatte verlassen müssen, für einen Freund der Freiheit, Jeden, der zum Schießen commandirte gegen das Volk, für einen Verräther und Todfeind. So erinnere ich mich noch lebhaft der Empörung, die damals unter uns achtzehn- bis zwanzigjährigen jungen Köpfen eine Adresse hervorrief, die, wenn ich nicht ganz irre, von einem Leipziger Professor ausgegangen und an den Fürsten Windischgrätz gerichtet war. Es war eine Dankadresse für Niederwerfung des Czechen-Aufstandes in den Pfingsttagen von 1848. Die Adresse lag in den besuchtesten Kaffeehäusern aus, aber obgleich damals ein wirkliches Adressenfieber herrschte, so glaube ich nicht, daß diese von der studentischen Jugend Leipzigs zwanzig Unterschriften erhalten hat. Und doch würden die Czechen nicht viel Federlesens mit den Deutschen Böhmens gemacht haben, wenn sie damals gesiegt hätten.

Indessen solche Betrachtungen hegte man zu jener Zeit nicht und am allerwenigsten dachte ich an diesen czechischen Deutschenhaß, als mich eines Tages, eben, als ich aus einem Colleg des Professors Albrecht über deutsches Staatsrecht kam, ein Bekannter, ein flüchtiger Wiener Student der Medicin, ehemaliger Legionär, der nach der Octoberrevolution sich nach Leipzig gerettet hatte, im Barfußgäßchen mit einem Professor Arnold aus Prag bekannt machte. Wie es bei so manchen Ereignissen im Leben der Fall ist, daß man sich der Hauptsache nicht erinnert, wohl aber der Nebenumstände, so geht es mir auch mit dieser Begegnung und mit meiner ganzen sonstigen Bekanntschaft mit dem czechischen Prager Professor. Ich weiß nur noch, daß es ein heißer Sommervormittag war und daß ich dann mit ein paar Commilitonen in die damals sehr bekannte Zill’sche Restauration zum Tunnel ging, in deren Nähe wir standen. Wir plauderten dabei über Allerlei, amüsirten uns köstlich über einen Schauspieler, den die Märzrevolution aus dem Engagement gebracht und zum wüthendsten Demokratenfresser gemacht hatte, und gingen dann auseinander. Doch weiß ich heute weder mehr, worüber wir geplaudert, noch wie der Professor Arnold aussah, auch nicht, wann und wo ich ihn wiedersah. Dunkel ist mir, als ob ich ihn einmal Nachmittags im Rosenthal bei Bonorand getroffen, aber es ist dies nur eine unbestimmte Erinnerung.

Die Ereignisse jenes denkwürdigen Sommers, in welchem Rom fiel und Görgey bei Vilagos capitulirte, Radetzky Carl Albert die Lombardei wieder nahm, Manin aber seinen Heldenkampf in Venedig kämpfte, drängten sich so, daß man in der That nicht Zeit hatte, solche vorübergehende Bekanntschaften festzuhalten; und ich hatte damals auch nicht die geringste Ahnung, daß diese zufällige flüchtige Begegnung im Barfußgäßchen Gegenstand einer kriegsgerichtlichen Untersuchung werden würde.

Monate waren seit jenem Morgen, an dem ich den Professor Arnold im Barfußgäßchen gesehen, vergangen, als ich eines Tages eine Ladung erhielt, vor dem Leipziger Criminalamt zu erscheinen. Dies überraschte mich nicht, da ich, wie so viele meiner Commilitonen, auch in eine politische Untersuchung verwickelt war. Man war damals an die Gänge in das Verhörszimmer auf dem Criminalamt gewöhnt, wie an das Gehen zum Mittagstisch bei dem Restaurateur. Es war die Zeit der Maiprocesse in Sachsen und jener Reactionsperiode, die sich mit unauslöschlichen Zügen in die Tafeln der Geschichte und in das Gedächtniß des deutschen Volkes eingrub, und die so viel zu der Umwälzung beigetragen hat, die sich vom italienischen Kriege 1859 an bis 1866 in Deutschland vollzogen. Doch ich will hier nicht politische Betrachtungen anstellen, sondern nur eine Erinnerung aus jener Zeit wiedergeben.

Man mußte gewöhnlich etwas warten auf dem Criminalamte, bevor man zum Verhör kam, die Herren Assessoren und Actuare hatten vollauf mit der Masse von Hochverräthern zu thun, von denen viele noch die buntfarbige Studentenmütze trugen. Der Aufenthalt in dem Vorzimmer des Criminalamts war nicht angenehm, aber interessant. Das Gebäude, in welchem sich der Sitz der Untersuchungsbehörde befand, war das sogenannte Stockhaus auf dem Naschmarkte, in dessen oberen Räumen die Untersuchungsgefangenen verwahrt wurden. Vor dem Hause und auf der ersten Treppe stand ein Schütze mit gezogenem Hirschfänger Schildwache, während in dem Vorzimmer einige Criminaldiener die Controle führten. Man konnte damals darauf rechnen, in diesem Vorgemach, das düster und schmutzig war, und in dem es beständig nach der Latrine roch, stets eine Anzahl Studenten, Buchhändler, Schriftsteller und auch Männer anderer Berufsclassen zu finden, die in politische Untersuchungen verflochten waren.

An jenem Tage bemerkte ich dort einen jungen Leipziger Verlagsbuchhändler, der damals durch einige demokratische Zeitschriften, deren verantwortlicher Herausgeber er war, rasch zu einer Anzahl Preßprocessen gelangte, die ihn auch später in’s Gefängniß brachten. Ich war einmal auf seinem Comptoir gewesen, um ihm einen Beitrag zu einer Sammlung für die Flüchtlinge in der Schweiz, die er veranstaltet, einzuhändigen.

Von diesem kurzen Besuche datirte sich unsere Bekanntschaft.

Ich frug ihn, was ihn hierher geführt. Er zuckte die Achseln.

„Ich soll als Zeuge vernommen werden – worüber, weiß ich nicht, ich habe durchaus keine Vermuthung. Und Sie?“

Die Reihe des Achselzuckens war an mir. In dem Augenblick trat ein Diener heran und rief den Buchhändler zu seiner Vernehmung durch den Actuar Beyer ab. Das Verhör, welches er zu bestehen hatte, dauerte ziemlich lange. Als er herauskam, blieb mir nur soviel Zeit, um einen flüchtigen Gruß mit ihm zu wechseln, dann mußte ich dem Diener folgen, der mich zu demselben Untersuchungsrichter führte.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 348. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_348.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)