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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Es war ein langes, schmales, düsteres Zimmer, in welchem dieser saß. Obgleich es erst gegen vier Uhr im Monat Februar war, so brannten doch schon die Lampen und warfen ihren matten Schein unter den großen Blechschirmen hervor auf die Bank an der Wand, auf welcher die sogenannten Gerichtsschöppen, lebensmüde Leipziger Schuhmacher und Schneider, saßen und schlaftrunken vor sich hinblickten. Oben am grünen Tische saß der Untersuchungsrichter und neben ihm erblickte ich noch zwei Personen. Der Aeltere, es mochte ein hoher Fünfziger sein, hatte eine Raubvogelphysiognomie und erinnerte mich an einen Bankhalter, den ich in einem Badeort gesehen hatte. In dem Knopfloche trug er ein Ordensbändchen. Der Andere war ein junger, dunkelblonder, etwa dreißigjähriger Mann von angenehmem Aeußeren.

Der Actuar lud mich ein Platz zu nehmen und eröffnete mir unter einigem verlegenen Husten und Räuspern, daß er mir zuvörderst eine Verordnung des königlichen Justizministeriums in Dresden mitzutheilen habe, wonach es den beiden anwesenden Herren, dem kaiserlich königlich österreichischen Kriegsrath und dem kaiserlich königlichen Auditeur X. X. aus Prag – die slavisch klingenden Namen blieben meinem Ohr unverständlich – gestattet sei, dem mit mir anzustellenden Verhöre beizuwohnen.

Nach dem Gerichtsbrauch war das eigentlich nicht statthaft, aber es war dies eine Gefälligkeit, die Herr von Beust, der damals schon die Seele des sächsischen Ministeriums war, dem österreichischen Gouvernement erwies, eine Gefälligkeit in einer Sache, bei der es sich, wie sich später herausstellte, um Leben und Tod eines Menschen handelte.

Ich zerbrach mir noch den Kopf, wo hinaus das Alles wohl gehe, als mich der Actuar frug, was ich mit dem Professor Arnold an jenem Morgen im Barfußgäßchen gesprochen habe, woher ich ihn kenne und ob mir nicht zwei Brüder Strachow aus Prag, Studenten der Theologie, bekannt wären. Es sind, wie gesagt, seit jener Zeit zwanzig Jahre vergangen und ich weiß heute nicht mehr, nach welchen tausend anderen Kleinigkeiten noch mich die Herren frugen, denn auch der Herr Kriegsrath betheiligte sich anfänglich an dem Inquisitorium, bis ich ihm bemerkte, daß ihm zwar gestattet sei, dem Verhör beizuwohnen, daß er aber kein Recht habe, unmittelbar Fragen an mich zu stellen. Wie ich nachher erfahr, hatte der Herr Kriegsrath sich gleiche Ungehörigkeiten bereits bei dem Verhöre des Buchhändlers herausgenommen, war aber damals schon – zur Ehre des sächsischen Richterstandes sei dies erwähnt – von dem Actuar Beyer in energischer Weise zurecht gewiesen worden. Nach fünf Viertelstunden etwa wurde ich entlassen.

Eine höchst drollige Episode hatte sich bei dem Verhör des Verlagsbuchhändlers ereignet. Der Herr Kriegsrath frug den Zeugen nämlich, ob der Professor Arnold oder die unter diesem Namen auftretende Persönlichkeit auch Hosen getragen habe, eine Frage, die der Gefragte mit ironischem Lächeln und der Bemerkung beantwortete, daß es in Leipzig keine Sansculotten gebe und hier zu Lande jeder Mann Hosen zu tragen pflege, eine Ironie, die dem Herrn Kriegsrath das Blut nach dem Kopfe trieb und ihn von seinem Sitze mit den Worten: „Was schaffen’s mit den Hosen?“ hoch aufschießen ließ. Selbst der Verhörsrichter mußte in das Lächeln des Zeugen einstimmen. Die Frage war indessen nicht so lächerlich, wie sie für den ersten Augenblick erschien, wie denn überhaupt die ganze Geschichte nicht lächerlich, sondern sehr tragisch war. Arnold war ein czechischer Parteiführer und die Czechen trugen nicht die langen weiten deutschen Beinkleider, sondern eng anliegende lederne Hosen in kleinen ungarischen Stiefeln. Ueber Arnold und sein Schicksal habe ich etwas ganz Bestimmtes nie erfahren können. Er war kurz nach jener Unterredung, die ich mit ihm gehabt, in Leipzig auf österreichische Requisition verhaftet und nach Prag ausgeliefert worden, wo er lange Zeit in Untersuchungshaft saß und auch mit Bakunin confrontirt wurde. Später erzählte man sich in Leipzig, daß Arnold zum Tode verurtheilt und gehängt worden sei. Ob das Urtheil wirklich vollzogen wurde, ob man ihn nach Kufstein, nach dem Spielberg oder Munkacs geschickt hat, ich habe, wie gesagt, nie wieder etwas über ihn erfahren können. Wahrscheinlich ist, daß er gehängt wurde. Es wurde zu jener Zeit im österreichischen Kaiserstaat so viel erschossen und gehängt, daß es dabei auf Einen mehr oder weniger nicht ankam.

Einer mehr oder weniger! Der Todte von Queretaro, der jetzt in der Gruft bei den Capuzinern in Wien liegt, war auch nur Einer, und welche Thränen sind um ihn, der auch als Hochverräther von der mexicanischen Republik verurtheilt standrechtlich hingerichtet wurde, in Oesterreich geweint worden!

Ich habe, als ich die blutige Nachricht aus Mexico gelesen, oft an den armen Professor Arnold aus Prag gedacht, an ihn und an die ungarischen Generale, die man am 6. October 1849 in Arad aufhängte und wie die Hunde einscharrte.

Nicht wahr, das ist ein trauriges Ende der Sommergeschichte aus dem Jahre 1849? Und ich möchte nicht gern mit einem düsteren Eindruck schließen. Vielleicht gelingt es der zweiten Sommergeschichte, die allerdings zehn Jahre früher spielt, die trübe Stimmung zu verscheuchen, welche der Gedanke an die Galgen in Oesterreich hervorgerufen hat. Ich erzähle deshalb schnell noch die zweite Geschichte, die ich nennen will


2. Die Armee im Ballsaal.

Es war im Sommer von 1839. Fürst Metternich und der Bundestag regierten in Deutschland und Fürst Heinrich der Zweiundsiebenzigste herrschte über Lobenstein-Ebersdorf und in Gemeinschaft mit seinem Vetter Heinrich dem Zweiundsechszigsten über Gera. Das Jahrzehnt von 1830 bis 1840 war eine merkwürdige Zeit, die für unser heutiges Geschlecht kaum verständlich ist, obwohl sie noch nicht lange hinter uns liegt. Selbst Denen von uns, deren erste Jugend noch in jene Zeit fällt, die wir sie noch mit erlebt haben, erscheint sie heute schon mit dem bläulichen Nebelduft der Sage überhaucht, und man muß sich erst wieder in sie hineinleben, wie der Geschichtsforscher in längst entschwundene Perioden der Weltgeschichte, um sie sich wieder gegenständlich und klar zu machen. Zum Verständniß des Nachstehenden ist daher eine kurze Charakteristik dieser Zeit nöthig.

Der Donner der Pariser Julirevolution hatte seinen Wiederhall in Deutschland gefunden. Kassel, Hannover, Göttingen, Braunschweig, Leipzig, Dresden und eine Anzahl Hauptstädte der kleinen thüringischen Staaten hatten ihre „große Woche“ gehabt. Das Hambacher Fest und der Ueberfall der Frankfurter Hauptwache, dieser romantische Einfall einer Anzahl Burschenschafter und anderer patriotischer Hitzköpfe, der mit der Gefangennahme des nichtsnutzigen Bundestags und der Proclamirung des deutschen Kaiserreichs enden sollte, waren die letzten heftigen Zuckungen des unterdrückten, nach Freiheit und nationaler Einheit lechzenden Volksgeistes gewesen. Es war sehr still in Deutschland geworden, zumal im Norden und in den mittleren Theilen unseres Vaterlandes. Die Karlsbader Beschlüsse, der kaiserlich königliche Haus- und Staatskanzler und die bundestäglichen Polizeileute in Frankfurt am Main sorgten dafür, daß diese Stille und Ruhe nicht gestört wurden. Die Redekämpfe in den süddeutschen Kammern waren immer unbedeutender geworden und die sächsische Zweite Kammer mit ihrer auserwählten Schaar von Vorkämpfern der Freiheit hatte noch nicht die Bedeutung, welche sie im Anfange der vierziger Jahre gewann; in Preußen herrschte jene dumpfe Ruhe, welche die letzten Regierungsjahre Friedrich Wilhelm des Dritten charakterisirt. Der erste deutsche Staat hatte damals seinen Beruf noch nicht erkannt, an die Spitze der Nation zu treten, und ließ sich noch zum Schmerz aller wahren Freunde des Vaterlandes in das Schlepptau Metternich-Habsburgischer Hauspolitik nehmen. Die Presse war über innere deutsche Angelegenheiten entweder stumm wie ein Trappist und zitterte vor dem Rothstift des Censors, oder war verfolgt wie ein Thier des Waldes, auf dessen Fersen die Jäger sind. Höchstens daß sich im Mantel der Anonymität ein fliegendes Blatt oder aus der Schweiz ein Heftchen des „Tribun“ von Karl Heinzen mit einer scharfen Kritik unserer öffentlichen Zustände hervorwagte, um verstohlen bei den Gleichgesinnten von Hand zu Hand zu gehen.

Das war die goldene Zeit der Sängerinnen, Schauspieler, Ballettänzerinnen und Virtuosen. Es gehörte diese politische Grabesstille dazu, um das Publicum durch spaltenlange Feuilletons, über einen neuen Tenor, eine junge Primadonna oder eine reizende Ballerina zu fesseln. Ich glaube, daß viele Berühmtheiten jener Zeit spurlos vorübergegangen wären, wenn sie nicht eben in einer Periode aufgetreten wären, in welcher man sogar Herrn von Dingelstedt, „den politischen Nachtwächter mit den langen Fortschrittsbeinen“, für einen gefährlichen Demagogen hielt. Abgesehen von den Katzbalgereien unten im südwestlichsten Winkel unseres Erdtheils zwischen Carlisten und Christinos war es in den Jahren nach der Julirevolution nicht nur in Deutschland,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 349. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_349.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)