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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


sondern auch im übrigen Europa still. In Paris hielt man zwar Kammerreden, in der Rue Transnonain wurden auch eines Tages von einer Handvoll schwärmerischer Idealpolitiker, welche in der Republik Frankreichs Heil und in Louis Philipp nichts als einen pfiffigen Börsenmäkler und Geldmacher erblickten, Barricaden gebaut und Flintenschüsse mit den Truppen gewechselt; aber schließlich waren doch diese Reden der Herren Deputirten weiter nichts als Zungenraketen, oratorische Feuerwerke, die einen Augenblick prasselnd aufstiegen, um in der nächsten Minute spurlos zu verpuffen, und das Häuflein Republikaner in der Straße Transnonain wurde durch Kartätschen für immer still gemacht. Herr A. Thiers verdiente sich gegen sie seine ersten Sporen. …

Es war im Sommer 1839, im Monat Juni, zur Zeit der thüringischen großen und kleinen Vogelschießen. Diese kleinen Vogelschießen, bei welchen man mit einem eisernen Stoßvogel einen hölzernen Adler abschießt, sind heute noch bei den meisten geselligen Vereinen im Thüringerlande die beliebtesten Sommervergnügen. So hielt auch eine Gesellschaft in Gera, die den idyllischen Namen „Eintracht und Frohsinn“ führte, ihr Vogelschießen in einem öffentlichen Vergnügungsgarten ab und hatte dazu Fürst Heinrich den Zweiundsiebzigsten mit höherer Dienerschaft, wie die Einladung lautete, eingeladen. Serenissimus hatte geruht, dieselbe huldvoll anzunehmen. Es war ein prächtiger Juni-Sonntag, Bier und Speisen vortrefflich und die Stimmung der Gäste die rosenfarbenste, als Se. Durchlaucht mit seiner Suite erschien. Heinrich der Zweiundsiebzigste war ein schöner Mann in seinen jüngeren Jahren und konnte sehr liebenswürdig sein. Er war unverheirathet, ein Freund des schönen Geschlechts und lebenslustig. Nachdem er sich eine Weile unter seinen getreuen Unterthanen vergnügt hatte, entfernte er sich, nur von seinem Adjutanten, einem Grafen Beust begleitet, die Mehrzahl seiner Diener, Reitknechte und Jäger zurücklassend. Kaum war der Fürst fort, als sich diese unter die Ballgäste mischten und zu tanzen begannen. Die sonst so loyalen Bürger fühlten sich darüber empört. Ihre Frauen und Töchter mit Bedienten tanzen zu sehen, das machte ihr Blut heiß. Die Vorsteher der Gesellschaft erklärten den Unverschämten, daß sie wohl Se. Durchlaucht mit höherer Dienerschaft, nicht aber seine Reitknechte und Kutscher eingeladen hätten. Die Bedienten Serenissimi empfahlen sich mit Ingrimm und Rachegelüsten im Herzen und berichteten die Sache dem Adjutanten Grafen Beust, der jedenfalls den Vorfall dem Fürsten in den schwärzesten Farben als eine Art Hochverrath oder zum Mindesten Majestätsbeleidigung dargestellt haben muß. Heinrich der Zweiundsiebzigste war außer sich und schrieb sofort eine Cabinetsordre an den Kanzler. Am andern Morgen wurde der Vorstand der Gesellschaft auf das Landrathsamt beschieden und ihm hier auf allerhöchsten Befehl Sr. Durchlaucht die Abhaltung des Balles, der am Abend stattfinden sollte, untersagt.

Dieser Cabinetsbefehl Serenissimi flog auf den schnellen Fittigen des Gerüchts in Kurzem durch die gute Stadt Gera. Schon in den ersten Nachmittagsstunden war der Garten, in welchem die Gesellschaft ihr Vogelschießen abhielt, überfüllt – man ahnte irgend etwas Besonderes. Der Tag war noch reizender, als der vorhergehende. Ein wolkenloser Himmel, eine glänzende Sonne, blühende Büsche und Sträucher, Musik und gutes Bier versetzten das zahlreiche Publicum in eine heitere Stimmung und ließen es die Ungnade Seiner Durchlaucht, die wie eine drohende Wetterwolke über dem Feste hing, allmählich vergessen. Es wurde Abend, es dunkelte bereits, man fing an, sich auf die Illumination im Garten vorzubereiten, und auf dem Orchester im Ballsaal stimmten die Musikanten schon ihre Instrumente – denn wer dachte noch an das Verbot? Da schallten vom Eingang des Gartens her plötzlich die Tritte einer heranmarschirenden Colonne. Bajonnete blitzten, Commandoworte wurden hörbar und auf einmal schimmerten die weißen Uniformen – das fürstlich reußische Bundescontingent war damals ähnlich wie das österreichische Militär gekleidet – durch die Räume. „Halt!“ „Gewehr bei Fuß!“ Darauf wurden die Gewehre in Pyramiden zusammengestellt und die militärische Macht Sr. Durchlaucht machte es sich in einer großen schattigen Laube, die vor dem Balllocal befindlich und gewissermaßen das Entrée zu demselben bildete, bequem. Der Commandant erklärte aber dem Gesellschaftsvorstand kurzweg, daß er hier sei, um die Abhaltung des Balles zu verhindern. Die Araber haben ein Sprüchwort: „Man kann keine Säbelklingen essen“. Aehnliches dachten wahrscheinlich auch die Geraer Bürger, stumm fügten sie sich der Gewalt der Bajonnete, das Tanzen unterblieb, die Streitmacht Sr. Durchlaucht aber bivouakirte die Sommernacht in der Laube, bewirthet von dem harmlosesten Gesellschaftspublicum mit Bier, Grog und Bratwürsten. Das ist die Geschichte von der Armee im Balllocal. Neun Jahre später brach die Märzrevolution von 1848 aus, die auch Heinrich’s des Zweiundsiebzigsten Thronentsagung herbeiführte. …

Es sind kaum dreißig Jahre seit jener Zeit verflossen, in welcher ein fürstlicher Machtspruch hinreichte, in der willkürlichsten Weise ein unschuldiges Vergnügen friedlicher Bürger zu verbieten. Doch die Zustände, welche solche Vorkommnisse in Deutschland möglich machten, sind für immer beseitigt. Mit dem alten Bundestag, der seine letzten Tage, würdig seiner Vergangenheit, auf der Flucht in einem Augsburger Gasthof beschloß, fiel auch die letzte Stütze der kleinfürstlichen Allmacht. Die meisten davon hatte freilich in der Mehrzahl der deutschen Staaten die Bewegung von 1848 zerbrochen.

Zustände und Vorkommnisse, wie die in den „Oesterreichern in Leipzig“ und in der „Armee im Balllocal“ geschilderten, sind heute unmöglich – vorbei für immer, und darum – Hurrah Germania!




Die neue Künstler-Herberge in Berlin.
Von Rudolf Löwenstein.


Was giebt es Schöneres als ein eigenes Heim? Wer sehnte sich nicht, aus der Knechtschaft und Zinsbarkeit des Miethsstandes erlöst zu werden und eine Stätte zu finden, da er Herr sein dürfe? Was ist der Miether, trotz seiner Freizügigkeit, Anderes als der Miethling des Haustyrannen, den Launen, Schrullen und der Hausordnung des Gestrengen unterthan? Wie glücklich, wer nach Irrfahrten und Umzügen eines unwirthlichen, der vierteljährlichen Kündigung ausgesetzten Lebens in den wirthlichen Hafen des Grundbesitzes einlaufen kann!

Auch der „Verein Berliner Künstler“ hat nach dem Ziele bürgerlicher Seßhaftigkeit gestrebt; aber – „es irrt der Mensch, so lang er strebt“. Was den Künstlern von München, Düsseldorf und Karlsruhe schon seit Jahren vergönnt ist, das blieb den Künstlern der kaiserlich königlichen Residenzstadt Berlin versagt – ein eigenes Heim. In Spree-Athen, der Stadt der Musentempel, Paläste und Casernen, ist kein Raum für ein Künstlerhaus. Die Künstler bilden hier eine zwar nicht gerade verachtete, aber eine „etwas schief von Oben angesehene“ Kaste, die bis in die neueste Zeit schwere Kämpfe zu bestehen hatte gegen die oberste Kaste der – Cultusdiener. Die Akademie, die Hochschule der Kunst, ist seit Schadow’s Tode, also seit einundzwanzig Jahren, verurtheilt, eine Körperschaft zu sein ohne Haupt, und die Glieder dieser Körperschaft leiden unter dem Drucke adelheidnischer Verordnungen von 1790 und 1871. Herr von Mühler liegt in offener Fehde mit den Akademikern, denen er die Anmaßung, das Unbeschreibliche, ewig Weibliche in natürlicher Wahrheitsschöne darstellen zu wollen, auf’s Strengste verwiesen hat. Die Göttinnen, als da sind Frau Venus, Hebe und Galathea, die Nymphen, Bacchantinnen, Grazien etc., sind verbannt aus den akademischen Hallen, wo sie die schaulustige Menge zu sündhaften Gedanken verführt, und die Musen sollen flüchten in ein härenes Büßerhemdchen. Kein Wunder, daß auch den Söhnen der Musen nicht verstattet ward, sich häuslich einzurichten, und daß Excellenz Fiscus alle Gesuche um Ueberlassung eines Bauplatzes zu einem Künstlerhause bisher abgewiesen hat.

Der „Verein Berliner Künstler“ mußte fürlieb nehmen mit den bescheidenen Räumen, welche ihm einmal in jeder Woche vom Tempelpächter der „Urania“ hergeliehen wurden. Er wanderte später zur Straße der Mohren in das Englische Haus, und die Götter mögen wissen, wie lange und wohin er noch ruhelos gewandert

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 350. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_350.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)