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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


klang unruhig und gepreßt. „Wozu diese seltsamen Fragen? Kannten Sie meinen Pflegevater, standen Sie in irgend einer Beziehung zu ihm?“

Er war ihr näher getreten bei den letzten Worten, und stand jetzt dicht neben ihr; Jane schien die Frage nicht gehört zu haben, sie gab keine Antwort darauf.

„Johanna!“

Sie bebte leise zusammen. Dieser Name! erst ein einziges Mal hatte sie ihn von seinen Lippen vernommen, in der Abschiedsstunde, und er klang wie eine Melodie aus der fernen, süßen Kinderzeit. Die Mutter hatte sie einst so genannt, nur kurze Zeit lang, dann war auch der deutsche Name seines Kindes dem starren Willen des Vaters zum Opfer gefallen, er ward in das englische Jane umgestaltet, nie hatte sie ihn seitdem wieder gehört und jetzt klang er ihr aus diesem Munde, mit so weichem flehenden Tone – all ihre Kraft brach zusammen vor diesem einen Laut.

Langsam hob sie den Blick zu ihm empor, er begegnete seinen Augen und ruhte einige Secunden lang darin. Diese blauen Augen, die mit schwermüthiger Zärtlichkeit auf ihrem Antlitz hafteten, sie übten selbst jetzt noch ihre geheimnißvolle Macht, eine Macht, die das stolze willensstarke Weib im Moment der Entscheidung, wo es nur Handeln und Entschließen galt, losriß von allem Wollen und Entschließen, losriß von dem heißen zuckenden Weh in ihrem Innern, von all den Kämpfen und Qualen der letzten Stunden, und sie mit träumerischer unwiderstehlicher Gewalt hinüberzog in den Traum, den er selbst träumte in dieser Minute. Sie saß wieder am Rande der Fliederhecke, aus deren Knospen das erste Grün hervorbrach, und er stand an ihrer Seite. Um sie her braute der Nebel und wob seine grauen Schleier um Bäume und Gebüsche, leise rieselte der erste Frühlingsregen nieder auf die duftende Erde, leise zog durch die Luft ein seltsames Hallen und Flüstern, und fern und geheimnißvoll tönte das Wallen und Rauschen des Rheines zu ihnen herüber – fernhin versanken Gegenwart und Wirklichst, nichts regte sich mehr, als das dumpfe unerklärliche Weh, das sie damals zuerst empfunden – sie war willenlos im Banne dieser Augen.

Die Beiden zuckten plötzlich auf, gleichzeitig emporgeschreckt durch irgend ein unbekanntes Etwas. Das Traumbild zerfloß mit seinem Nebelgeriesel und seinem Frühlingsrauschen, sie waren wieder in dem hohen düsteren Steingemach, das Feuer knisterte und prasselte, draußen rauschte der Herbstwind in den Bäumen, vielleicht war er es, der einen Zweig gegen das Fenster geschlagen, der sie aus ihrem Erinnerungstraum wachrief. Jane blickte zuerst dorthin und Walther’s Auge folgte der Richtung.

„Wir werden beobachtet!“ sagte sie leise.

„Schwerlich! Indeß, ich werde nachsehen.“

Er schritt zum Fenster, öffnete es vollends und beugte sich weit hinaus in die Dunkelheit. Jane hatte sich erhoben, sie stützte sich schwer auf die wappengeschmückte Lehne des Armstuhls. Jetzt galt es das Schwerste! Er mußte erfahren, was für sie nicht länger zweifelhaft war.

„Ich will sehen, ob er es zu tragen vermag. Vielleicht sprach nur die Stimme der Natur in dieser Zärtlichkeit, vielleicht,“ ihr Herz zog sich krampfhaft zusammen, „lächelt er bei der Entdeckung. Nun denn, kann er es tragen, ich werde meine Schwäche nicht verrathen und sollte ich sterben an dem ersten Kuß des Bruders!“

Walther hatte das Fenster geschlossen und kehrte zu ihr zurück. „Es ist nichts!“ sagte er ruhig. „Wer sollte auch ein Interesse daran haben, uns zu beobachten?“

Jane wußte bereits, welchen Weg sie einzuschlagen habe; sie ging ihn festen Schrittes.

„Wer? Mr. Alison!“

Walther trat zurück und blickte sie starr an. „Mr. Alison? Ihr Begleiter?“

„Ja.“

Die dunkle Gluth stieg wieder jäh und flammend in seinem Antlitz auf und färbte Stirn und Schläfe.

„Also ist er Ihnen nicht fremd, dieser Mann? Ich ahnte es im ersten Augenblick, als ich ihn sah. Johanna,“ seine Stimme bebte in fieberhafter Erregung, „in welcher Beziehung steht dieser Alison zu Ihnen? Welches Recht hat er auf Sie?“

„Ich bin seine Braut!“

Die Gluth wich aus seinem Gesichte so schnell, wie sie gekommen war, um einer tiefen Blässe Platz zu machen.

„Seine Braut!“ wiederholte er tonlos. „Sie lieben ihn also?“

„Nein!“

„Und gaben ihm dennoch Ihr Wort, Ihre Zukunft?“

Es lag eine bittere Anklage in dem Vorwurfe; Jane’s Blick sank davor zu Boden. „Ich that es!“ erwiderte sie leise.

„Dann wollte Gott, wir hätten uns nie gesehen!“ sagte Walther dumpf.

Jane schwieg einige Secunden lang. „Warum?“ fragte sie endlich fast unhörbar.

Er trat ihr ganz nahe und auch seine Stimme sank jetzt herab zu einem leisen, aber leidenschaftlichen Flüstern.

„Du fragst noch? Soll ich es Dir auch in Worten sagen, was Du längst erriethest, errathen mußtest, oder – bin ich es nur allein, der elend wird durch Dein Geständniß?“

Langsam wendete Jane ihm das Antlitz wieder zu; ihre Stimme klang unnatürlich ruhig, aber ihr Auge haftete jetzt auf seinen Zügen mit einem unablässigen angstvollen Forschen, als solle jede Faser seines Innern ihr Rede stehen.

„Wir brauchen deshalb noch nicht elend zu werden, wir dürfen es nicht werden. Das Schicksal hat uns einmal zusammengeführt, grausam vielleicht, aber wenn es uns auch das Höchste versagt, auf Trennung lautet sein Spruch nicht! Vielleicht,“ ihr Blick senkte sich tief und tiefer in den seinigen, „vielleicht kann ich meinen künftigen Gatten zu einem längeren Aufenthalte am Rhein bestimmen. Ich weiß jetzt, es bedarf nur eines einzigen Wortes aus meinem Munde, und er kommt Ihnen als Freund entgegen. Sie dürfen diese Hand nicht zurückstoßen, Walther; Sie werden Ihre Empfindungen beherrschen lernen, werden es lernen, auch mir dann zu nahen, als Freund, als – Bruder –“

„Johanna!“ unterbrach er sie mit einem wilden, leidenschaftlichen Aufschrei. Sie schwieg, aber ihr Auge ließ nicht ab von seinen Zügen; es hatte jetzt denselben Ausdruck wie bei der ersten Nachricht in N., als erwarte sie in der nächsten Minute die Entscheidung über Leben und Tod.

„Und das sagst Du mir?“ brach er jetzt mit schmerzlicher Bitterkeit aus. „Das muß ich von Deinen Lippen hören? Willst Du den Schwärmer, den Träumer in mir verspotten, oder träumst Du selbst von einem idealen Freundschaftsbunde, wo die Liebe zum Frevel wird? Täusche Dich nicht! Zwischen Geistern mag ein solcher Weg möglich sein, zwischen Herzen nicht; da entstammt er nur der Kälte oder dem Verbrechen. Ich habe auch einst an solchen krankhaften Träumen gehangen in der Einsamkeit meines Studirzimmers, abgeschlossen von der Welt; da kam die Liebe zu Dir und riß mich hinaus in’s Leben, in die volle heiße Wirklichkeit, und das Leben und die Wirklichkeit verlangen jetzt ihre Rechte. Ich muß Dich besitzen oder Dich verlieren auf ewig! Es giebt kein Drittes zwischen uns!“

Das war der volle glühende Ton der Leidenschaft; sie wehte stürmisch hervor aus seinen Worten, aus seinem ganzen Wesen, und vor ihr sank die letzte Stütze, an die sich Jane noch geklammert, aber sie stand plötzlich aufrecht ohne Halt. Mitten durch die Gewißheit eines grenzenlosen Unglücks brach in diesem Moment ein Gefühl, das mächtiger war als selbst die Verzweiflung. Seine Worte waren nur das Echo ihrer eigenen Seele; sie wurde geliebt, wie sie selbst liebte.

Sie athmete tief auf. „Du hast Recht, Walther! Es ist Frevel, ich sehe es jetzt auch! Zwischen uns Beiden giebt es hinfort nur noch Ein Gebot – Trennung!“

Er zuckte zusammen bei dem Worte. „Und das vermagst Du so gefaßt auzusprechen? Und darin, meinst Du, soll auch ich mich fügen, ohne zuvor das Aeußerste versucht zu haben? Johanna, noch bindet Dich kein heiliger Schwur, ein Versprechen kann gelöst, ein Wort zurückgegeben werden – sind Deine Gelübde unwiderruflich?“

„Sie sind es!“

„Bedenke,“ seine Stimme bebte in stürmischem Flehen, „es gilt mein ganzes Lebensglück, es gilt das Deine! Du rettest uns beide mit einem einzigen Entschluß. Kannst Du die Bande nicht zerreißen, die Dich an diesen Alison knüpfen?“

Hier wurde mit heftigem Geräusch die Thür aufgerissen und Friedrich’s mächtige Stimme schallte herein.

„Herr Lieutenant! Der Herr Major lassen bitten, augenblicklich bei ihm zu erscheinen!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 359. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_359.jpg&oldid=- (Version vom 1.10.2017)