Seite:Die Gartenlaube (1871) 362.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Schon blitzt der Schalk aus den Augen der Zecher –
Sieh da, umflossen vom sonnigen Licht,
Hebt der Prälat den getriebenen Becher,
Klopft sich auf’s rundliche Bäuchlein und spricht:

„Pfingsten, das liebliche Fest, ist gekommen,
Aber, ehrwürdige Väter im Herrn,
Schwer ist das geistliche Herz mir beklommen,
Ach, denn die Tage des Glückes sind fern.

Mitten in Aufruhr und tosender Brandung
Schwanket St. Petri geheiligtes Schiff
Und statt der Rettung, der glücklichen Landung,
Dräuen vernichtend nur Felsen und Riff.

Keck, auch ihr Letztes der Kirche zu rauben,
Naht der Empörer. Den Bann ihm auf’s Haupt!
Warum auch will er das Neue nicht glauben,
Da er bisher doch das Alte geglaubt?

Doch nichts vom Streit mehr! Beim vollen Pokale
Bin ich den Geist mir zu loben geneigt,
Der aus der lichten, krystallenen Schale
Duftenden Kräutern und Blüthen entsteigt.

Pfingsten! Die Botschaft ist richtig erklungen:
Zückt ob dem Haupt euch nicht da schon und dort
Feurig ein Flämmchen? Von feurigen Zungen
Hört’ ich im Flug manch’ verwegenes Wort.

Und seht, dort naht schon aus dämmriger Halle
Wieder der Bruder, die Bowle im Eis –
Sie ist unfehlbar –: in jeglichem Falle
Macht sie die Köpfe und Herzen euch heiß.

Sie ist unfehlbar! Ihr habt es vernommen!
Wer widerspricht – meinen Bann ihm auf’s Haupt!
Pfingsten, das liebliche Fest ist gekommen:
Hebt denn die Becher und trinket und glaubt!“

Hermann Oelschläger.


Die Napoleoniden und die Frauenwelt.
Nr. 2. Das zweite Kaiserreich.

Auch in der Geschichte des zweiten Kaiserreichs nehmen die Frauen eine bedeutende Stellung ein, obgleich ein wesentlicher Unterschied zwischen ihnen und den Damen des ersten Kaiserreichs sich nicht verkennen läßt. Während der Onkel trotz seiner bekannten Galanterie dem weiblichen Geschlecht keinen directen Einfluß auf seine Politik und seine Handlungsweise gestattete, spielten die Frauen in der Umgebung des Neffen eine mehr thätige Rolle, indem sie nicht nur in sein eigenes Leben, sondern auch in die Geschicke des Landes und zwar nicht zum Vortheile desselben tief eingriffen.

Schon seine Mutter, die schöne und geistvolle Hortense von Beauharnais, wirkte entschieden auf die Entwickelung und geistige Richtung ihres jüngeren Sohnes ein. Von ihr erbte der Prinz jene weibliche Kunst, seine innersten Gedanken zu verbergen, die intriguante Feinheit, welche die reizende Frau mit einer hinreißenden Liebenswürdigkeit zu verbinden wußte, die Kunst, sich ergebene Freunde und Anhänger zu erwerben, den phantastischen Ehrgeiz, den fatalistischen Glauben an seinen Stern, vor Allem aber die Liebe und Begeisterung für den großen Kaiser.

Da Hortense getrennt von ihrem Gatten lebte, so leitete sie fast ausschließlich die Erziehung ihres Sohnes. Sie gab ihm nicht nur die besten Lehrer, sondern ertheilte ihm selbst Unterricht im Zeichnen, Tanzen und anderen schönen Künsten. Jeden Sonnabend mußte er Alles, was er in der vorhergehenden Woche gelernt, vor ihr wiederholen. Die Abende waren dem Lesen von Reisebeschreibungen und geschichtlichen Werken gewidmet, wobei sie als die lebendige Chronik ihrer Zeit und besonders des ersten Kaiserreichs es nicht an interessanten Bemerkungen, lebendigen Illustrationen und Lehren fehlen ließ.

Täglich hörte der empfängliche Knabe aus dem Munde seiner Mutter die Erzählungen von den Thaten und Siegen seines Oheims. Er war Zeuge ihres Schmerzes über den Sturz des großen Kaisers, ihrer Klagen über dessen Feinde, über die schmachvolle Behandlung, die ihr selbst zu Theil geworden. Manches scharfe und bittere Wort über die Treulosigkeit der Mächtigen, über die Feigheit der Großen, über den Verrath und Abfall der alten Günstlinge, über die Gemeinheit der Menschen prägte sich der Seele des Kindes ein und legte den ersten Keim zu seiner späteren Denk- und Handlungsweise.

Auf dem Schlosse zu Arenenberg, wo sich um die verbannte Hortense die Napoleon’schen Freunde versammelten, wurden in Gegenwart des jungen Prinzen die politischen Ereignisse und vor Allen die Lage Frankreichs besprochen, Hoffnungen genährt, Pläne geschmiedet, Intriguen eingefädelt und die weitreichendsten Verbindungen angeknüpft. Mit der größten Spannung verfolgte man die Vorgänge in Paris, die Thorheiten und Fehler der Bourbonen, den herausfordernden Uebermuth der legitimistischen Führer, den steigenden Einfluß der Jesuitenpartei, den Unwillen der beleidigten Bourgeoisie, die Angriffe der liberalen Presse und den dadurch entflammten Haß des französischen Volkes gegen eine Regierung, die nichts gelernt und nichts vergessen hatte.

Doch die Jahre vergingen. Louis Napoleon ging nach den bekannten Ereignissen in Italien nach England, von wo aus er sich um die Hand der damals siebzehnjährigen Königin Maria da Gloria von Portugal bewarb. Die Verbindung kam nicht zu Stande und Louis Napoleon zog es vor, wie der Fuchs in der Fabel, auf die sauren Trauben des portugiesischen Thrones in einem damals an die Franzosen adressirten offenen Briefe zu verzichten.

Weit ernster war wohl seine Neigung für die ebenfalls erst siebzehnjährige Mathilde, die Tochter seines Onkels König Jerôme von Westphalen, die er wirklich geliebt zu haben scheint. Die junge Prinzessin war in jener Zeit eine reizende Erscheinung, klein, aber zierlich gewachsen, eine Elfengestalt mit rosigem Gesicht, von üppigen, blonden Flechten umgeben. Ihre Züge trugen den classischen Stempel des Napoleon’schen Typus, aber gewissermaßen in’s Deutsche übersetzt und durch weibliche Anmuth verklärt. Außerdem besaß sie die wundervollsten großen, feurigen Augen voll Geist und Seele, einen reizenden Mund und die blühendsten Farben, das Erbtheil ihrer deutschen Mutter.

Hortense, welche ihre Nichte wie eine Tochter liebte, war mit dieser Wahl vollkommen einverstanden, um so mehr, da sie ihren Sohn dadurch vor einer politischen Unbesonnenheit zu schützen hoffte. Auch ihr Freund, der ehrwürdige Bischof Heinrich von Wessenberg, redete in demselben Sinne einer solchen Verbindung das Wort, die in einem förmlichen Familienrathe gebilligt und beschlossen wurde. Die bevorstehende Verlobung des in jeder Beziehung passenden Paars wurde jedoch durch das bekannte Straßburger Attentat gestört. In Folge dieses bekannten Ereignisses, das mit der Gefangennehmung des Prinzen endete, sah sich derselbe gezwungen, auf die Hand seiner schönen Cousine zu verzichten und als Verbannter nach Amerika zu gehen. Mathilde heirathete später den durch seine großen Reichthümer bekannten russischen Fürsten Demidoff, von dem sie sich jedoch bald wieder scheiden ließ.

Auf hohem Meere, am Bord der „Andromeda“, auf der er seine unfreiwillige Reise machte, erinnerte sich Louis mit Wehmuth jener schönen Stunden, da er mit seiner reizenden Cousine an den Ufern des Bodensees Arm in Arm in süßem, traulichem Gespräche wanderte. In einer gewissen sentimentalen Stimmung schrieb er in sein altes Tagebuch: „Als ich vor einigen Monaten Mathilde nach Hause brachte, betraten wir gemeinschaftlich den Park und sahen dort einen soeben vom Sturm zerbrochenen Baum, bei dessen Anblick ich zu mir selber sagte, daß unsere Heirathspläne in gleicher Weise durch das Geschick vernichtet werden würden. Was damals mein Geist nur dunkel ahnte, ist seitdem zur Wahrheit geworden. Habe ich denn während dieses Jahres die ganze Fülle des Glückes erschöpft, das mir in dieser Welt beschieden? –“

Wenn auch diese idyllische Liebe zu seiner Cousine nur eine vorübergehende Episode in dem Lebensromane Louis Napoleon’s bildete, so blieben doch Beide auch ferner durch eine innige Freundschaft verbunden. Gleich nach seiner Wahl zum Präsidenten der Republik berief er Mathilde in das Elysée und übertrug ihr die Honneurs seines Hauses, dem sie bis zu seiner Verheirathung

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1871, Seite 362. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_362.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)