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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


der bis zur Erschöpfung arbeitete. Auf ihm lag in der That eine ungeheure Last und, um sich aufrecht zu erhalten, brauchte er mehr stimulirende Mittel, als für seine Gesundheit gut war. Da er nie Zeit und daher wenig Geduld hatte und nebenbei ein wenig stotterte, so wurde ich durch seine Erklärungen über die Mysterien der Siebendreißiger und Fünfzwanziger nicht viel weiser und beantwortete häufig die Briefe, die er mir vorlegte, ohne eigentlich recht zu verstehen, was ich geschrieben hatte. Das war mir äußerst unbehaglich und nach vierzehn Tagen fragte ich meinen Chef, ob er denn wirklich mit meinen Leistungen zufrieden sei. Zu meinem Erstaunen sagte er, daß es ganz gut gehe, und ich nahm die Stelle definitiv an.

Das Leben in diesem Bureau war mir neu und interessant, denn die verschiedensten Fragen wurden abgehandelt und den ganzen Tag kamen Leute, denen der Chef Auskunft geben mußte, was immer mit Höflichkeit und Geduld geschah. Ueberhaupt herrschte in dem Bureau unter allen Clerks ein sehr angenehmes Verhältniß. Man war immer guter Laune und es ward sehr viel gearbeitet.

Die ungeheuern Summen, die hier beständig gehandhabt wurden, erregten die Phantasie. Eine Million war mir bald gar nichts mehr, denn ich hatte manchmal, wenn Coupons fällig waren, eine Anweisung für ein paar Millionen Gold in einen Brief einzuschließen, den ich mit derselben Gleichgültigkeit in den Briefkasten unseres Bureaus warf, als ob er einen Thaterschein enthalten hätte.

Wir mußten um neun Uhr in unserm Bureau sein und bis vier Uhr bleiben. Um halb Vier packten die Clerks die Banknoten, mit denen sie beschäftigt waren, zusammen und legten die Pakete auf meinen Tisch, weil dieser dem Geldschrank zunächst war, in welchen sie der Chef später einschloß. Ein solches Päckchen Siebendreißiger, welches man ohne besondere Schwierigkeit hätte in die Tasche stecken können, enthielt allein neun Millionen in Fünftausend-Dollarnoten. Das Päckchen war einst verschwunden und fand sich endlich hinter mir auf dem Fensterbrett, wo es ein Clerk zufällig mit einem Rock zugedeckt hatte.

Die Briefe, die ich zu schreiben hatte, waren oft sehr interessant und ich erinnere mich eines, der mit einem mysteriösen Vorfall zusammenhing, der nie aufgeklärt wurde. – Die nach Californien zu sendenden Gelder gingen zu Schiff nach Aspinwall und wurden von da über die Landenge von Panama spedirt. Jede solche Sendung wurde in eine eiserne Geldkiste gepackt und zwei Clerks anvertraut, die sie nach Californien begleiten mußten. Diese Clerks hatten die Instruction, die Kiste in ihrer Cabine zu behalten, und einer von ihnen sollte stets dabei bleiben. Uebernahm jedoch der Schiffscapitäin die Verwahrung der Kiste, so war das gestattet. Eine solche Sendung mit etwa einer Million in Tresorscheinen und noch mehr in Siebendreißigern war unter der Aufsicht von zwei Clerks abgeschickt worden. Nach einiger Zeit erhielten wir von einem derselben einen Brief, datirt von „Riff Roncador“, welcher uns mittheilte, daß das Schiff auf dieses im mexicanischen Meerbusen gelegene Riff gelaufen sei, und daß man die Geldkiste mit anderen Dingen, um das Schiff zu erleichtern, über Bord geworfen habe. Sein Camerad sei nach New-Orleans abgereist, allein er habe es vorgezogen, auf dem Riff zu bleiben, um zu sehen, ob die Kiste nicht aus dem Grunde heraufgeholt werden könne. Instructionen des Ministers gemäß antwortete ich dem treuen Beamten in der allerschmeichelhaftesten Weise und zugleich wurden von mehreren der nächsten Häfen Schiffe nach dem Riff beordert, um die Geldkiste womöglich herauszuholen. Nach etwa sechs oder acht Wochen wurde dieselbe auch wirklich wieder an das Tageslicht befördert; allein sie war offen und – leer? Nicht ganz.

Die Seegötter, die diesen Schatz hoben, wußten, daß alle Siebendreißiger Noten nebst ihren Käufern in unsern Büchern notirt waren und daß es gefährlich war, sie umzusetzen; sie begnügten sich daher vernünftiger Weise mit den Greenbacks, die wie unsere Tresorscheine au porteur zahlbar sind. Von der Million hat sich meines Wissens keine Spur wiedergefunden und man fand nicht für gut, die Geschichte an die große Glocke zu hängen. Menschenleben waren bei der Affaire nicht zu Grunde gegangen. Das wahrscheinlich gut versicherte Schiff lief mit außerordentlicher nautischer Geschicklichkeit auf den Felsen und es war Zeit genug zur Rettung der Mannschaft. – Die Siebendreißiger, die in ihren versiegelten Couverten sechs bis acht Wochen auf dem Meeresgrund gelegen hatten, kamen wieder in unserem Bureau an. Das Seewasser hatte nicht einmal die Adressen unleserlich gemacht; allein die grüne Farbe der Noten war denn doch schwarz geworden und sie mußten durch neu gedruckte ersetzt werden.

Die Correspondenz in einem Fach, welches ich nur unvollkommen verstand, wurde mir indessen mit der Zeit unangenehm und ich war froh, als sie mir ein Freund abnahm, der mehrere Jahre im Bureau gearbeitet hatte, und ich eine andere Beschäftigung erhielt.

Die Regierung kaufte oder verkaufte gegen andere Papiere die Zins-auf-Zins-Noten (compound interests) und eben so Siebendreißiger, d. h. Noten, welche sieben Dollars dreißig Cents für hundert Dollars Zinsen trugen. Alle Morgen erhielt ich nun die von den verschiedenen Unterschatzmeistern ankommenden versiegelten Pakete mit der Aufgabe, sie zu öffnen, die Rechnungen zu prüfen und zugleich das Geld nicht nur zu zählen, sondern auch dabei nachgemachte oder verfälschte Noten zu entdecken. Nachgemachte Siebendreißiger existirten damals nicht, allein verfälschte in Menge. Gestohlene Noten konnten nicht leicht verkauft werden, da ihre Nummern sogleich bekannt gemacht wurden, deshalb veränderten die Diebe irgend eine Zahl in der Nummer, was oft mit großer Geschicklichkeit geschah und bei dem beschmutzten Zustand der Noten nicht leicht zu entdecken war. Es gab keine kleineren als Fünfzig-Dollar-Noten, und da stets ziemlich viel Eintausend-Dollar-Noten mitkamen, so brachte ich es schon fertig die tägliche Sendung zu revidiren. Ich zählte und prüfte zugleich, wenn ich in Zug war, tausend Noten in fünf Minuten; allein es war eine sehr anstrengende Arbeit, welche die Nerven angriff, da man so schnell und scharf jede Note zu betrachten hatte. Ueberdies warteten Dutzende von Clerks auf das Fortschreiten meiner Arbeit, weil sie erst anfangen konnten, wenn ich fertig war, und ich beeilte dieselbe so viel als nur möglich.

Ich war oft todtmüde, wenn ich mein „correct, O. v. C.“ unter die verschiedenen Rechnungen geschrieben hatte und die Noten in das Zimmer bringen ließ, wo sie ungültig gemacht, das heißt mit einer Maschine in eigenthümlicher Weise durchbohrt wurden. War dies geschehen, dann kamen sie in die Hände der Damen und der Clerks, welche die Nummern in die Bücher zu tragen hatten.

In Deutschland hat man die eigenthümlichsten Ansichten in Bezug auf die Ehrlichkeit von Amerikanern und ist geneigt, jedem Amerikaner sehr laxe Begriffe in Bezug auf Mein und Dein zuzuschreiben. Es ist allerdings wahr, daß dort mancherlei Betrügereien vorkommen und daß Beamte sich häufig kein Gewissen daraus machen, „Onkel Sam“ zu übervortheilen. Es giebt indessen auch genug unredliche Beamte in Deutschland und es würde wahrscheinlich noch mehr als in Amerika geben, wenn die Sorglosigkeit ebenso groß wäre. Ich will hier indessen nur von meinen Erfahrungen in der Treasury reden und muß sagen, daß es mich höchlich in Erstaunen gesetzt hat, so selten von Veruntreuungen zu hören, da die Sorglosigkeit so groß war und die Versuchung dadurch bedeutend verstärkt wurde. Um eine Million von einem Platz zum andern zu schaffen, würde man bei uns womöglich eine Compagnie Soldaten zur Escortirung aufbieten: in Washington denkt man nicht einmal an solche Vorsicht.

Mein Chef legte eines Tages ein großes Bündel auf meinen Tisch und sagte: „Bitte, sehen Sie doch einmal, was in dem Bündel ist, welches sich wer weiß wie lange in dem Schrank herumtreibt.“ – Es waren etwas über eine Million Banknoten – Siebendreißiger, alle in Blanco, also au porteur – die größtentheils nicht einmal zerschnitten, sondern noch in ganzen Bogen waren. Aus zufälligen Anzeichen erkannte ich, daß sie von dem großen Banquier Jay Cook kamen, dessen Geschäft der Treasury gerade gegenüber liegt. Ich rief also einen Pagen und befahl ihm, das Bündel hinüberzutragen, damit die Noten dort mit dem Stempel der Firma versehen würden. Der Knabe nahm das ungezählte Paket auf die Schulter, trug es hinüber und ich erhielt es in derselben Weise zurück, ohne daß Jemand das Geringste dabei dachte.

Diebstähle kamen wirklich ganz außerordentlich wenige vor und erzeugten stets eine sehr bedeutende Aufregung und Entrüstung. Im Bureau der Anlehen, wo die Versuchung in der That erst recht groß war, kamen, so lange ich denken kann, nur zwei

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 379. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_379.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)