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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Opernprobe hatte eben wieder ihr Ende erreicht. Die schwer geplagten Sänger und Musiker verließen tief aufathmend das Theater; ihnen folgte, seine Braut – die talentvolle erste tragische Liebhaberin – Fräulein Planer, am Arme, der Componist.

Director Bethmann hatte seinen Capellmeister kaum wahrgenommen, als er ihm auch schon zurief: „Nun, wie steht’s? Wird Ihre Oper nun wirklich herauskommen? Kann ich die Zettel zu übermorgen drucken lassen?“

„Ich hoffe es!“ entgegnete lächelnd der Capellmeister, dessen unter dem rechten Arme zerrissener Rock die Lebhaftigkeit dokumentirte, mit welcher der junge Mann den Tactstock gehandhabt.

„Sie hoffen nur?“ fragte Bethmann entsetzt.

„Die Solisten sind fest, und was den Chor und das Orchester anbelangt, so hoffe ich Alles von der heutigen Nachtprobe.“

„Nachtprobe?“ schrie der Director auf. „Nachtprobe? Mensch! wo denken Sie hin! Glauben Sie, daß diese Leute, denen ich leider bereits die dritte Gage schuldig bleiben mußte, sich auch noch eine Nachtprobe werden gefallen lassen? Mit den Choristen ließe sich vielleicht reden, aber die Musikanten! diese Musikanten! diese gebornen Insurgenten! Geben Sie Acht, die Musikanten werden nicht kommen!“

Lachend erwiderte der Componist: „Sorgen Sie sich nicht, sie werden kommen! Chor und Orchester, Alle werden kommen! Ich habe ihnen ein Abendessen und einen kühlen Trunk versprochen, sobald sie die Aufführung meiner Oper für übermorgen ermöglichen! Das hat gewirkt!“

„Wollen’s hoffen,“ entgegnete Direktor Bethmann. „Schon in Ihrem Interesse will ich wünschen, daß Alles gut abgeht, denn Sie wissen, daß die erste Vorstellung Ihrer Oper zugleich Ihr Benefiz ist.“

„Mit nichten!“ fiel der Capellmeister ein. „Sie bedürfen eine gute Einnahme nöthiger als ich. Behalten Sie die erste Vorstellung, ich begnüge mich mit der zweiten!“

„Sie sind außerordentlich großmüthig!“ meinte der Director.

„Vielleicht auch nicht!“ rief lachend der Componist. „Der große Erfolg der ersten Aufführung, der wohl kaum zu bezweifeln ist, wird der zweiten Vorstellung ein noch volleres Haus verschaffen!“

„Wollen’s hoffen!“ meinte Bethmann, sich verabschiedend und sich der Theaterconditorei zuwendend.

Der jugendliche Tonsetzer und Capellmeister verließ, dem alten Director einen Blick des Mitleids nachwerfend, die schöne Braut am Arme, den Platz.




Zwei Tage darnach las man an den Straßenecken Magdeburgs auf den Theaterzetteln:

Die Novize von Palermo.
Große Oper in drei Aufzügen
von
Richard Wagner.

Das Haus war am Abend dieser ersten Aufführung ganz außerordentlich gefüllt, – die Spannung groß, am meisten erregt jedenfalls der Componist selbst. –

Man muß das Ereigniß der ersten Darstellung einer selbstgeschriebenen Arbeit erlebt haben, um das Gefühl schildern zu können, welches den Componisten oder Dichter in einem solchen Falle erfaßt. Giebt es auch Verfasser dramatischer Arbeiten, die in solchen Momenten eine eiserne Ruhe zur Schau tragen, so ist doch Zehn gegen Eins zu wetten, daß diese Ruhe eben nur affectirt und Schein ist. Im Innern kocht’s, der Herzschlag stockt, der Puls steigt von sechszig auf hundertzwanzig Schläge. Diese Aufregung steigert sich beim Aufziehen der Gardine und der ersten nun folgenden Scenen.

Der Husten eines Schusterjungen auf der Gallerie erzeugt dem Dichter Fieber, und das heftige Niesen einer alten Dame im Parquet bringt ihn zur Verzweiflung. Der gemüthliche Theatermeister bemerkt vielleicht die Angst des hinter den Coulissen auf- und abstolpernden Dichters, und hält es der Situation angemessen, ein paar beruhigende Worte vom Stapel laufen zu lassen. Freundlich lächelnd sagt er wohl:

„Na, was wollen der Herr Doctor mehr?“ – (jeder dramatische Schriftsteller ist Doctor) „die Leute lachen ja, daß sie sich den Bauch halten möchten!“

Ein Glück, wenn dann das fragliche Stück wenigstens kein Trauerspiel ist!

Gefällt der erste Act, hört man am Schluß desselben Applaus oder auch gar Hervorruf, so ist damit das Schicksal der Komödie oder Oper durchaus noch nicht entschieden. Der Beifall muß sich im zweiten Act und den etwa noch folgenden steigern und im letzten Act seinen Höhepunkt erreichen. Welche Folterqualen hat aber der arme Dichter oder Componist bis dahin noch durchzumachen! Qualen, gegen die selbst Sr. Hoheit des Prinzen Tamino Feuer- und Wasserproben reines Kinderspiel waren! Die Launen des Zufalls sind ja so wunderlich! Kann zum Beispiel nicht mitten im entscheidenden letzten Act das Gas verlöschen und eine ägyptische Finsterniß im Hause eintreten? ein schweres Gewitter, Schrecken verbreitend, seine Blitze auf das Dach von Thalia’s Tempel schleudern? eine Coulisse oder Gardine sich an einer zu weit züngelnden Gasflamme entzünden? Kann einer der mitwirkenden Künstler nicht eine seiner wirkungsvollsten Scenen versäumen, oder die mit ihrer Rolle nicht zufriedene erste Liebhaberin aus Cabale mitten im Stück nicht in Ohnmacht fallen? (die Damen vom Theater fallen bekanntlich sehr oft in Ohnmacht.) Kann ferner nicht in der tragischsten Scene der schwarze Theater-Hauskater über die Bühne laufen, ober der Souffleur im angesäuselten Zustande gleich sechs statt eine Seite des Manuscripts umschlagen? – Und dann – die Freunde! – diese lieben, guten Freunde! Ihr Applaus zur Unzeit läßt stets die Absicht errathen und verstimmt das übrige Publicum, das sich in Bezug auf ein Urtheil nicht gern bevormunden läßt. Es ist empört über das Benehmen der Freunde des Dichters – es pfeift! es zischt! Das aber sind Töne, die dem Dichter durch Mark und Bein gehen und machen, daß ihm die Kniee zusammenknicken.

In neuester Zeit sind wenigstens unsere Possendichter so vorsichtig geworden, ihre Claqueurs mit Applaus-Stichworten zu versehen und System in das „Klatschen“ zu bringen.

Es kann nicht in der Absicht des Verfassers dieser Skizze liegen, das Erstlingswerk eines Componisten, der durch seine späteren Werke sich einen so bedeutenden Namen erworben, einer Kritik zu unterwerfen, es handelt sich hier vielmehr darum, nur den Erfolg der ersten Aufführung zu constatiren, und dieser Erfolg war eben nichts mehr und nichts weniger, als der entschiedenste Mißerfolg, das entschiedenste Fiasco. Die Zuhörer, die mit so großen, hochgespannten Erwartungen gekommen waren, sahen diese von ihrem, dem herkömmlichen Standpunkt aus mit jedem Acte mehr getäuscht, eine eigenthümlich fremde Musik, in der sie sich beim besten Willen nicht zurechtfinden konnten, verwirrte und betäubte sie, vergebens lauschten sie jenen einschmeichelnden, für das Ohr leicht faßlichen Weisen, die sie bisher von jeder neuen Oper mit nach Hause gebracht hatten, und das, was noch heute einem großen Theil des Publicums in Wagner’s Musik fremdartig, ja unmelodisch klingt, und was schon damals, wenn auch noch nicht so charakteristisch ausgeprägt wie heute, in der „Novize von Palermo“ vorhanden war, lehnten sie mit den bestimmtesten Zeichen des Mißfallens und Verdrusses ab. Mit genauer Noth war einige Tage später noch eine Wiederholung – vor schwach besuchtem Hause – zu ermöglichen, was den genialen Componisten jedoch, so wenig auch seine Hoffnungen einer Erfüllung nahe gekommen waren, nicht abhalten konnte, dem Orchester und Chorpersonal das versprochene Souper serviren zu lassen.

Das Publicum machte Wagner’s erster Oper, wie gesagt, allzugroßen Aufwand in Bezug auf die Instrumentation und Mangel an Melodie zum Vorwurf. Zudem scheint die melodische „Norma“, die damals als Novität in Magdeburg über die Bühne gegangen, auch das Urtheil der Laien über Wagner’s Oper beeinflußt zu haben. Musikverständige jedoch, wiewohl über Manches den Kopf schüttelnd, konnten doch nicht umhin einzugestehen, daß sie durch einzelne Gedanken, geistreiche Blitze, die dieses Chaos von Tönen durchzuckten, wahrhaft überrascht wurden, und diese prophezeiten dem jungen Componisten der „Novize von Palermo“ eine große Zukunft. Wie diese Weissagung sich später bewahrheitet, ist bekannt: Richard Wagner konnte „Rienzi“ und „Tannhäuser“ schreiben!

Daß Richard Wagner sich von dem Mißerfolg einer ersten Arbeit nicht abschrecken, sondern durch diesen sich vielmehr bestimmen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 387. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_387.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)