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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Unter Allen die Giftigste.
Von Brehm.

Ein Theil des Fluches, welchen nach der morgenländischen Schöpfungssage der Schöpfer auf sein eigenes Geschöpf schleuderte, wirkt heute noch fort: die Feindschaft nämlich, welche gesetzt worden sein soll „zwischen der Schlange und dem Weibe und ihrem und des Weibes Samen“. Noch immer erregt „die Schlange“ im Herzen des Weibes Entsetzen oder Schaudern und in des Weibes Samen die Lust, ihr „den Kopf zu zertreten“, auch wenn sie vollkommen unfähig sein sollte, „in die Ferse zu stechen.“

Ich bin weit entfernt, den Unkundigen oder Aengstlichen deshalb verurtheilen zu wollen, weil er in jeder Schlange einen Feind sieht, welchen er seiner Meinung nach vernichten muß, denn ich weiß, daß die Aengstlichkeit eben nur in der Unkunde ihren Grund hat, und mag es demjenigen nicht verargen, welcher, um von sich und Anderen Angst und Schrecken abzuwenden, die unschuldige Natter wegen der schuldigen Viper leiden läßt; wohl aber verüble ich es den Lehrern und Denen, welche die Lehrer beeinflussen, daß sie nicht alljährlich einige Stunden daran wenden, um ihren Schülern die drei Vipern Europas oder wenigstens die einzige Giftschlange Deutschlands kennen zu lehren, selbst auf die Gefahr hin, daß diese Schüler einige Kernlieder weniger auswendig lernen. Denn unzweifelhaft würde man den Schülern mit einer genauen Einprägung der Merkmale besagter Schlangen mehr nützen, als mit gedachten Kernliedern: man würde sie dadurch am wirksamsten schützen vor der Gefahr, welche solche Schlangen bringen können; man würde auch den Schlangen mehr gerecht werden, als dies bisher geschieht.

Freilich trägt die Schlange die Last jenes Fluches ungefähr mit derselben Unempfindlichkeit, wie Ketzer meines Schlages die Verwünschungen aller Pfaffen des Erdenrundes. Sie geht zwar „auf dem Bauche“, sicherlich aber ohne alle und jede Beschwerde, hat sich auch bis heute noch nicht dazu bequemt, „Erde zu essen“, wie sie dies, laut der mosaischen Erzählung, thun soll „ihr Leben lang“, ist überhaupt ein ganz anderes Wesen, als die Ueberlieferer der morgenländischen Sage, welche überall Engel und Dämonen witterten, mit Göttern und Teufeln auf dem vertrautesten Fuße standen, darüber aber nicht selten die Thatsächlichkeit aus dem Auge ließen, schildern und beschreiben. Selbst die zwischen ihrem und des Weibes Samen gesetzte Feindschaft ist nicht unüberwindlich. Ganz abgesehen von den Indiern, welche keine Schlangen tödten, oder westafrikanischen Negerstämmen, welche einzelne Schlangen verehren, als ob sie mit Haut und Knochen vom Unfehlbaren heilig gesprochen worden wären, giebt es auch unter uns nicht Wenige, welche die Schlangen insgesammt durchaus nicht mit Feindschaft, sondern mit reger Theilnahme betrachten, weil – sie dieselben kennen gelernt haben.

Dies gilt auch für diejenigen Arten, welche mit Recht gefürchtet werden, weil sie, wenn schon nicht vor, so doch von allem Vieh und von allen Thieren auf dem Felde verflucht sind: den Giftschlangen; es wäre sonst, meines Erachtens, undenkbar, daß man sie, welche bei Gelegenheit wirklich „in die Ferse stechen“, einfängt und in Gefangenschaft hält, anstatt ihnen ohne Weiteres „den Kopf zu zertreten“. Und zwar sind es keineswegs allein und ausschließlich die Naturforscher unserer Tage, welche sich mit dem „giftigen Gewürm“ abgeben, sondern auch Leute, welche in unserem Sinne nicht das geringste Verständnis für Naturwissenschaft haben, wie die indischen und ägyptischen Schlangenbeschwörer zur Genüge beweisen. Mit derselben Schlange, welche Moses zu seinen „Wundern“ vor Pharao benutzte, gaukelt der Haui Aegyptens oder der Psylle Ostindiens heute noch vor dem unverständigen Volk. Es liegt eben ein eigener Reiz in dem möglichst vertrauten Umgange mit den gefährlichen Thieren.

Im Berliner Aquarium sind den Schlangen eine Anzahl von zweckmäßig eingerichteten Käfigen eingeräumt und diese reich besetzt worden, mit giftigen wie mit harmlosen Arten. Die einen wie die anderen üben die vollste Anziehung auf die Besucher aus, sogar auf diejenigen unter ihnen, welche sich anfangs mit Abscheu von den gewohnheitsmäßig gehaßten Geschöpfen abwenden. Am meisten fesseln, wie leicht erklärlich, die größeren Arten, und unter ihnen in’s Besondere die giftigen. Die Kreuzotter, als einzige Giftschlange Deutschlands, und die Hornviper, als letzte Freundin der liebeskranken Kleopatra, erregen zwar auch eine gewisse Aufmerksamkeit; mehr aber wendet sich diese den Riesen unter den Giftschlangen zu: der berüchtigten Klapperschlange oder der erzleibigen Mokassinviper und vor allen der gewaltigen Puffotter, in welcher auch der Laie sofort das Urbild, gleichsam die Giftschlange in ihrer Vollendung sieht. Gerade sie ist im Aquarium durch zwei ausgezeichnete Stücke, ein Pärchen, vertreten, und verdient, ihrer keineswegs ansprechenden Eigenschaften ungeachtet, in weiteren Kreisen bekannt zu werden, schon weil sie unbedingt als die gefährlichste Schlange Afrikas und als eine der giftigsten, wenn nicht als die giftigste der Erde bezeichnet werden muß.

Ueber ihr Freileben ist wenig bekannt, vielleicht auch wenig zu berichten. Ich habe erst durch Gustav Fritsch, den Verfasser des trefflichen Werkes: „Drei Jahre in Südafrika“, ein Lebensbild der Schlange erhalten. „In Südafrika,“ so berichtet mein verehrter Freund, „ist die Puffotter am eigentlichen Cap selten, häufiger kommt sie in den östlichen Provinzen vor, am häufigsten in den Freistaaten und weiter im Innern. Sie zeichnet sich auch im Freien durch ihre Trägheit aus, bewegt sich äußerst langsam und schnellt sich nur beim Beißen blitzartig auf ihre Beute, wobei sie sich meist mehr oder weniger um ihre Achse zu drehen pflegt. Die Leute behaupten, daß sie so hoch vom Boden emporspringen könne, um einen Reiter zu Pferde noch zu erreichen. Bei Tage liegt sie gewöhnlich still in Büschen oder unter Grasbüscheln versteckt. Nachts kriecht sie umher und kommt dann, der Mäuse wegen, gern in die Nähe der Wohnungen, richtet hier auch nicht selten Unheil an. Eine Frau in Transvaal trat beim Verlassen ihres Hauses im Dunkeln auf eine vor der Thür liegende Puffotter, wurde gebissen und starb im Verlaufe des nächsten Tages. Noch gefährlicher wird die Schlange dem weidenden Kleinvieh oder den Jagdhunden, da sie sich, wenn ihr Sträucher Deckung gewähren, fest- und zur Wehre setzt. Ein Herr in Bloemfontein büßte durch sie gleichzeitig zwei seiner Hunde ein, und zwar starb der eine innerhalb zehn Minuten, der andere einige Stunden nach dem Bisse.

Ein sehr zuverlässiger Beobachter ging, wie er mir selbst erzählte, im Felde spazieren und bemerkte zu seiner Verwunderung, daß eine der großen südafrikanischen Feldmäuse wie festgewurzelt in geringer Entfernung vor ihm sitzen blieb. Als er sich verwundert nach der Ursache umschaute, welche das scheue Thier abhielt, vor ihm die Flucht zu ergreifen, erblickte er dicht vor sich eine große Puffotter, welche die Maus zu ihrer Beute ausersehen hatte und nicht aus dem Auge ließ. Einige Zeit später machte die Schlange plötzlich einen Sprung auf die Beute, ergriff sie und war mit ihr in einem dicht daneben befindlichen Loche verschwunden, ehe der überraschte Zuschauer im Stande war, seinen Stock mit Erfolg zu gebrauchen. Es scheint, daß die Schlange ihren Feind wohl gesehen hatte, aber nicht gewillt war, von ihrer Beute abzulassen, weshalb sie dieselbe mit sich wegnahm, anstatt zu beißen und den Tod nach dem Bisse abzuwarten. Der letzte Act des kleinen Trauerspiels spielte sich sehr schnell ab, und die sonst so träge Puffotter führte eine Reihe rascher Bewegungen aus, um zu ihrem Ziele zu gelangen.

Eine derartige Regsamkeit des Thieres gehört übrigens zu den seltenen Ausnahmen. Ich selbst habe einmal im Beschuanenlande neben einer halbwüchsigen Puffotter, welche sich unter hohem Grase zusammengerollt hatte, über eine halbe Stunde gelegen, ohne daß sie sich rührte. Als ich, um der Sonne zu entgehen, mich etwas weiterschieben wollte und gerade im Begriff war, den Ellenbogen auf sie zu stemmen, bemerkte ich sie. Ich erhob mich vorsichtig, um mich meines zolldicken Zjamboks zu bemächtigen, und auch jetzt noch blieb die Schlange regungslos liegen. Ein kräftig geführter Schlag mit dem umgekehrten Zjambok machte sie für immer unschädlich.“

So weit mein Gewährsmann.

Die beiden Puffottern des Berliner Aquariums erkaufte ich von einem eifrigen Schlangenliebhaber in Berlin, welcher sie schon seit geraumer Zeit gefangen gehalten und bis zu einem gewissen Grade gewöhnt hatte. Von einer eigentlichen Zähmung war natürlich nichts zu bemerken. Die blinde Wuth, welche so viele

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 400. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_400.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)