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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Bädeker über die Kestenburg berichtet, hatte uns ein geschichtskundiger Gast in der Weinstube vervollständigt durch die historische Notiz, daß es das Hambacher Schloß gewesen, von welchem aus Heinrich der Vierte seine Bußwanderung nach Canossa angetreten. Daß König Max der Zweite von Baiern, dem die Pfälzer einst die Ruine geschenkt, sie aufzubauen begonnen, bis er inne wurde, daß die Stelle gar sehr dem scharfen Winde ausgesetzt ist, hörten wir ebenfalls hervorheben.

Die Jugend vor neununddreißig Jahren hat den scharfen Zug nicht gefürchtet, der um die erste Tribüne der deutschen Einheit wehte. Meine jungen Begleiter erkannten gern an, daß heut zu Tage die Ideale lange nicht mehr so mächtig wirken. Als ich ihnen die Leiden Wirth’s erzählte, als ich seines wackeren Mitkämpfers Siebenpfeiffer, des nicht minder hart verfolgten und in der Verbannung gestorbenen Patrioten, gedachte, bemächtigte sich ihrer Aller eine nachhaltige Rührung. Wenn die wackeren Leute unsere Erfolge erlebt hätten! hieß es. Wirth hat nur das erste Wiederaufflackern seiner Ideen erlebt, er starb im Juli 1848 als Parlamentsmitglied zu Frankfurt – Siebenpfeiffer starb als Professor zu Bern schon im Jahre 1845.

Wir ließen uns auf den Mauerresten nieder, wir lagen im Schatten – hell von der warmen Maiensonne bestrahlt lag zu unseren Füßen die Perle in der deutschen Kaiserkrone, die alte herrliche Pfalz. Einer von den jungen Kriegern, ein Heidelberger Student, erzählte von den Siegen in Frankreich; er war bescheiden genug, mit keiner Silbe seiner selbst zu erwähnen, und ich mußte von den Anderen erfahren daß er das eiserne Kreuz habe. Wir priesen die deutsche Tapferkeit.

„Und nun lassen Sie uns“, nahm ich das Wort, „auch der Kämpfer gedenken, die den großen und gewaltigen Sieg vorbereiten halfen. Der Staatsmann benutzte das deutsche Ideal, die Einheit, als Grundlage seiner Politik, mit dieser Parole und durch dieses Ideal hat das Volk die Siege errungen, auf dem Ideal beruhte die Tapferkeit. Und die Tapferkeit war in gleich hohem Grade bei den Vorkämpfern. Die Männer, die vor vier Jahrzehnten hier zum Volke gesprochen, wußten, was ihrer harrte, ein vorgängiges Verbot des Festes ließ darüber keinen Zweifel. Trotz alledem trugen sie das Ideal in’s Volk hinein frei und begeistert, so daß es zünden mußte, und dann trugen sie, wie wir es an Wirth gesehen, Kerker und Exil standhaft, jede Flucht verschmähend. Das ist auch Heldenthum! Und wenn das deutsche Volk dankbar seiner kriegerischen Führer gedenkt, darf es auch nicht der Vorkämpfer vergessen, der Pioniere seiner Einheit. – Darauf lassen Sie uns einen vollen Becher deutschen Weines leeren!“

Und so geschah es zu Ehren unserer Volkshelden, unserer edelsten Ritter vom Geist!

W. K.




Blätter und Blüthen.

Ein Stelzfuß. Der Durchzug des fünften Armeecorps hatte sich in Leipzig zu einer wahren Fest- und Freudenzeit gestaltet. Bei Ankunft der vielen Züge standen die Spitzen der städtischen Behörden, sowie die Herren und Damen des Erfrischungs-Comités zu würdigem Empfange bereit; die mitgekommene Militärmusik spielte die vaterländischen Weisen; Rede und Gegenrede wechselten mit donnerndem Hurrahrufe und mit dem Vertheilen von Lorbeerkränzen und frischen Blumensträußen an die Officiere und Mannschaften. Waren nun die Truppen mit Speise und Trank erfrischt, so drängte sich erst das große Publicum herbei, seinen dankbaren Gefühlen Ausdruck zu geben; es zog die Soldaten während der noch übrigen Rastzeit in seine Kreise und an seine Tische, und nun entwickelten sich aus dieser allgemeinen Verbrüderung deutscher Herzen die mannigfaltigsten Bilder einer heiteren und traulichen Gemüthlichkeit, denen immer erst das letzte Signal zur feierlichen Abfahrt ein Ende machen konnte. Bei dieser Gelegenheit wurden wir auch Zeuge einer kleinen Scene, die wohl der Mittheilung nicht unwerth ist.

Die Soldaten waren bereits in ihre mit Blumen und Pfingstmaien geschmückten Wagen gestiegen und harrten an den Fenstern des Abschiedsgrußes. Auf dem Perron stand noch das ganze Officiercorps, der Oberst an der Spitze, der soeben in gemüthvoller Einfachheit seinen Dank ausgesprochen und dem wiedererstandenen gemeinsamen Vaterlande ein Hoch ausgebracht hatte. Da trat aus der in weitem Kreise umherstehenden Menge ein blutjunger Soldat hervor, der schon seit einiger Zeit auf den Promenaden Leipzigs die Aufmerksamkeit der Vorübergehenden erregt, da er den doppelten Ehrenschmuck des Helden, das eiserne Kreuz und leider auch den – Stelzfuß trägt. Er mag wohl in einem der hiesigen Lazarethe seine volle Genesung erwarten. Bescheiden hinkte er jetzt auf seinen früheren Regimentschef zu, legte die Hand an seine Mütze und sagte:

„Sie kennen mich wohl nicht mehr, Herr Oberst?“

Als der Oberst in die leidenden Züge des kaum zwanzigjährigen Jünglings blickte, wurde es dem ergrauten Krieger sichtlich weich um’s Herz, er sah ihn eine Weile still an, legte beide Hände auf seine Schultern und sagte dann mit lauter Stimme:

„Mein Sohn, wie können Sie glauben, daß wir jemals solche Menschen vergessen können! Wir haben Viele Ihresgleichen unter Ihren Cameraden dort, aber was Sie gethan haben, vollbringen oft zehn andere nicht. Die Welt erfährt von solchen Thaten nichts, aber wir Vorgesetzte wissen es. Vergessen Sie nicht, daß Sie an mir einen dankbaren Freund haben. Wo ich Ihnen helfen kann, da wird es noch mit meinem letzten Federstrich geschehen!“

Die Anrede war noch länger und herzlicher, ergriffen und in tiefem Schweigen lauschte die umherstehende Masse den ernsten Worten. Auch der jugendliche Held stand erst einige Augenblicke überrascht und sprachlos vor dem grauen Vorgesetzten, dann aber lächelte er selig und helle Freudenthränen strömten über seine bleichen Wangen. Kein Auge ringsumher blieb trocken, auch die anderen Officiere drückten dem Stelzfuß herzlich die Hände, die Cameraden aus den Wagenfenstern wehten mit ihren Tüchern, jubelnd schwenkte der Gefeierte seine Mütze und unter donnerndem Hurrahruf brauste der Zug voll dannen. Es war ein Vorgang, wie er wohl tausendfach sich jetzt ereignen mag, aber vielleicht nicht immer so öffentlich und eindrucksvoll wie in diesem Falle.


Wackere Landsleute im fünften Welttheile. Mit einer Geldsendung von 150 Thlr. empfingen wir aus Adelaide (Süd-Australien) folgende Zuschrift:

„Eingeschlossen empfangen Sie einen Wechsel von circa hundertfünfzig Thaler, welchen Beitrag unsere deutschen Landsleute in Townsville, Queensland, gesammelt und an uns abgesandt haben, um den Betrag nach bestem Ermessen zu Gunsten der durch den Krieg beschädigten Deutschen zu verwenden.

Wir glauben nun im Sinne der Geber zu handeln, wenn wir Ihnen das Geld zusenden, und möchten zugleich Ihnen einige fernere einschlägige Angaben machen.

In den australischen Colonien und Neuseeland leben zur Zeit etwa fünfzigtausend Deutsche, die sich hier vollkommen eingebürgert haben. Trotz der weiten Entfernung von der alten Heimath drang aber doch die Nachricht von dem Kriege Deutschlands gegen Frankreich, unsere Herzen erschütternd, hierher, und schon gleich im September vorigen Jahres wurden in den Hauptorten aller australischen Provinzen Versammlungen Deutscher gehalten, um Mittel und Wege zu treffen, auch unsererseits zur Linderung der durch den Kampf mit dem Erbfeinde herbeigeführten Noth beizutragen. Hier in Adelaide (Südaustralien) wurde beschlossen, die eingehenden Gelder nach Berlin an das Bundeskanzleramt zu senden, obwohl von mehreren Seiten der Vorschlag laut wurde, die Gaben der ‚Gartenlaube‘ zu übermachen.

Es sind nun von hier aus ungefähr 2000 Pfund St., von Melbourne (Victoria) an 3000 Pfund, von Sydney (New South Wales) fast 1000 Pfund, von Brisbane (Queensland) etwa 600 Pfund und fast ebensoviel von Neuseeland abgesandt, so daß die Deutschen dieses entlegenen Theiles der Erde ca. 40,000 Thaler für ihre leidenden Brüder in der alten Heimath beigesteuert und dadurch documentirt haben, welchen Antheil ihr Herz an dem Geschicke Deutschlands nimmt.

Dieselbe Theilnahme bewiesen sie auch schon früher bei anderen ähnlichen Gelegenheiten. Zum Unterstützungsfonds des schleswig-holsteinischen Krieges sandten die Adelaider Deutschen allein dreitausend Thaler ab. Für die Familien der im Plauenschen Grunde verunglückten Bergleute gingen von hier mehrere Hundert Pfund ab; zum Zöllner-Fonds, für welchen die Adelaider Liedertafel ein sehr gelungenes Concert gab, wurden dreihundert Thaler gesteuert, und mehrere Hundert Thaler erhielt der Fonds der Nordpol-Expedition und das Comité des Humboldt-Denkmals in Berlin.

Ich führe Ihnen, Herr Keil, diese Beiträge nicht deshalb auf, um damit im Namen meiner hiesigen Landsleute zu prahlen; ich weiß aber, daß es Ihnen und auch den Lesern der ‚Gartenlaube‘ Freude macht, wenn Sie hören, wie das Wohl und Wehe der alten Heimath auch die Deutschen in den entlegensten Winkeln der Erde berührt, und ich kann Ihnen die Versicherung geben, daß der Enthusiasmus über die deutschen Siege und die Herstellung des Reiches deutscher Nation unter Kaiser Wilhelm hier jedenfalls ebenso tief gefühlt und freudig begrüßt worden ist, wie nur immer in Deutschland selbst oder an irgend einem andern Orte der Erde, wo Deutsche wohnen.“

Unseren wackeren Landsleuten da drüben besten deutschen Gruß!


Das Grab von Meulan. (Mit Illustration.) Es war ein freundliches Landstädtchen, wahrhaft reizend an einem nach der Seine hin abfallenden Bergabhange gelegen, in welches wir, das heißt das erste Bataillon des schleswig-holsteinischen Füsilierregiments Nr. 86, am 23. März d. J. einrückten. In früheren Jahren mit all seinen Villen und Weinbergen ein beliebter Sommeraufenthalt für zahlreiche Pariser, bot uns Meulan – so hieß das Städtchen – den lange entbehrten Anblick stattlicher Häuser und reinlicher Straßen. Ringsum die Landschaft aber mit ihrem coquetten, echt französischen Charakter präsentiere sich am schönsten von dem oberhalb der Stadt gelegenen Friedhofe, der einen entzückenden Blick über das fruchtbare, an Dörfern und Villen reiche Seinethal bis in die blaue Ferne, bis zu den sich scharf am Horizont abhebenden Höhenzügen gestattete, aus denen ein geübtes Auge sogar unsern alten Freund, den Mont Valerien, zu erkennen vermochte, dessen Kanonen im Augenblicke, da ich diese Zeilen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 419. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_419.jpg&oldid=- (Version vom 1.10.2017)