Seite:Die Gartenlaube (1871) 422.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


das Allerheiligste des Professors, da können Sie unsere Thätigkeit besser bewundern.“

Damit ergriff er ihn beim Arm und zog ihn in das Studirzimmer. Das „Allerheiligste des Professors“ sah heute allerdings anders aus, als zu der Zeit, da dieser darin zu arbeiten pflegte. Es zeigte überall Spuren von der ordnenden Hand der Doctorin, die grünen Vorhänge waren weit zurückgeschlagen und durch die geöffneten Fenster strömte das volle, blendende Sonnenlicht herein; der Schreibtisch, die Wände, selbst die Bücherschränke waren mit Blumen und Laubgewinden geschmückt, das Ganze hatte ein äußerst festliches Ansehen.

Seltsamerweise zeigte sich der junge Arzt wenig oder gar nicht erfreut darüber, er blickte schweigend und gedrückt im Zimmer umher, sagte etwas von „geschmackvollem Arrangement“ und „großer Freundlichkeit“, schien aber im Ganzen von der seinem Freunde erwiesenen Aufmerksamkeit eher peinlich, als angenehm berührt zu werden.

Zum Glück bemerkte der Doctor in seiner frohen Erregung nichts von dieser eigenthümlichen Gezwungenheit. „Nicht wahr, es macht sich so übel nicht?“ sagte er, sich vergnügt die Hände reibend. „So ganz ohne Sang und Klang soll unser Professor denn doch nicht in meinem Hause einziehen, das unter allen das erste Recht hat, ihn zu begrüßen. Draußen wird er freilich Empfang genug finden! B. hat ihn nun einmal als seinen Helden und Dichter auf’s Schild gehoben, und die Studirenden vollends sind ganz außer Rand und Band. Er ist der einzige von ihren Professoren, der mitgekämpft hat, und wie gekämpft! College, ich sage Ihnen, das hat einen Lärm gegeben, jedes Mal, wenn Ihre Briefe und die übrigen Nachrichten über ihn ankamen. Stadt und Universität schlug die Hände über den Kopf zusammen und seine Gedichte, die Sie uns hersandten, setzten nun vollends, wie der malitiöse Mr. Atkins sich ausdrückt, wie ebensoviel Brandraketen, Alt und Jung in lichterlohe Flammen. Sie wissen doch, daß die Universität einen Empfang beabsichtigt?“

„Ich hörte davon, habe aber den Herren gerathen, einstweilen noch keine Vorbereitungen deswegen zu treffen. Es ist sehr die Frage, ob Walther kommt.“

Der Doctor hätte vor Schreck beinahe die Blumenvase fallen lassen, die er soeben emporgehoben.

„Ob er kommt? Mein Himmel, wir erwarten ja morgen das Regiment mit der größten Bestimmtheit.“

„Gewiß! Aber ich zweifle sehr, daß Walther dabei sein wird. Nach seinem letzten Briefe, den ich heut Morgen erhielt, scheint er in H. zurückzubleiben und für’s Erste überhaupt gar nicht nach B. kommen zu wollen.“

Der Doctor setzte die Vase so heftig auf den Schreibtisch nieder, daß der Fuß zersprang. „Nun, so wollte ich doch, man machte einmal die ganze Militärstrenge gegen diesen widerspenstigen Lieutenant geltend, und zwänge ihn mit Gewalt dazu!“ rief er entrüstet. „So etwas ist denn doch noch nicht dagewesen! Als Kranker, als halb aufgegebener Patient reist er ab, und jetzt, wo er zurück soll, gesund, gefeiert, bewundert von aller Welt, jetzt will er in H. bleiben, will für’s Erste gar nicht herkommen – College, dahinter steckt irgend etwas! Sie haben sofort Urlaub erhalten, der Professor könnte auch längst hier sein, aber er flieht ja unser B. förmlich. Warum nahm er immer den Dienst zum Vorwande seiner Abwesenheit? warum will er jetzt, dem Dienste zum Trotz, fortbleiben? Die Sache ist nicht richtig! Beichten Sie mir einmal!“

„Ich weiß durchaus nichts darüber,“ sagte Behrend ausweichend. „Vielleicht sind ihm die Ovationen zuwider, mit denen man ihn hier zu empfangen gedenkt. Sie wissen ja, er konnte es nie ertragen, sich so in den Vordergrund gestellt zu sehen.“

„Zum Kukuk, so soll er es lernen!“ schrie der Doctor zornig. „Er muß jetzt in den Vordergrund! An dem Gelehrten haben wir uns die ängstliche Zurückgezogenheit noch allenfalls gefallen lassen, jetzt, wo er mit vollen Segeln auf den Dichter lossteuert, werden wir uns diese Grillen verbitten.“

Behrend schüttelte den Kopf. „Setzen Sie keine zu großen Hoffnungen auf Walther’s poetische Zukunft. Ich fürchte sehr, er legt mit dem Degen auch den Dichter bei Seite, vergräbt sich wieder unter seinen Büchern, verschließt sich ärger als je gegen die Außenwelt, und steht nach einem Jahre genau auf dem Punkte, wo er im Anfange des Krieges stand.“

„Er wird doch nicht!“ rief der Doctor erschreckt.

„Er wird es, seine Stimmung ist ganz danach. Walther bleibt mit all seiner Genialität ein unverbesserlicher Träumer, er hat nur die Energie des Augenblicks. Solche Naturen leisten in der Erregung und Begeisterung schlechterdings Alles; sobald ihnen dieser Anreiz fehlt, sinken sie wieder in ihre Träumerei zurück. Das Leben im Alltagsgewande vermag ihnen nichts zu geben, weil sie es einfach nicht verstehen.“

„Schöne Aussichten!“ sagte der Doctor, ärgerlich hin- und her gehend.

„Was in solchem Gelehrten- und Poetenkopfe Altes spukt, davon hat ein vernünftiger Mensch, wie Unsereiner, gar keine Idee!“

Behrend blickte gedankenvoll durch’s Fenster, wo zwischen den Büschen des Gartens hin und wieder ein dunkles Frauenkleid sichtbar ward.

„Im fehlt der Sporn zum Schaffen!“ sagte er ernst. „Ihm fehlt eine energische glühende Kraft, die ihm täglich und stündlich zur Seite ist und ihn immer wieder in’s Leben zurückreißt, die sich zwischen ihn und die Wirklichkeit stellt, für ihn den Kampf mit der Welt aufnimmt und ihm das giebt, was er nun einmal nicht besitzt, Ehrgeiz und Selbstvertrauen. Würde ihm das zu Theil, ich glaube, dann wäre seiner Zukunft das Höchste aufbehalten; wenn aber zu solcher Charakteranlage noch eine unglückliche Leidenschaft kommt –“

Hier fuhr der Doctor plötzlich herum und sah ihm mit grenzenlosem Erstaunen in’s Gesicht. „Eine unglückliche Leidenschaft! Um Himmelswillen, unser Professor ist doch nicht etwa gar verliebt?“

Behrend biß sich ärgerlich auf die Lippen. „Nicht doch! Es fuhr mir nur so heraus, es ist eine bloße Vermuthung.“

Der Doctor ließ sich jedoch nicht so leicht abweisen. „Nichts da! Sie haben sich verplaudert, jetzt heraus mit der Wahrheit! In wen ist der Professor verliebt? Seit wann ist er es? Weshalb ist die Liebe unglücklich? Am Ende gar eine Französin? Hindernisse von Seiten der Familie – Nationalitätenhaß – Nicht?“

„Ich weiß nichts darüber, Herr College.“

„Sie sind unerträglich mit Ihrem ewigen ‚Ich weiß nicht‘,“ grollte Stephan. „Sie wissen die Sache ganz genau, und meiner Discretion können Sie doch sicher trauen.“

„Ich wiederhole Ihnen, daß meine Idee sich auf eine bloße Vermuthung gründet. Sie kennen ja Walther’s Verschlossenheit, er hat nie auch nur ein Wort darüber zu mir gesprochen. Jedenfalls bitte ich Sie dringend, von meiner unfreiwilligen Indiscretion keinen Gebrauch zu machen, und etwa der Frau Doctorin –“

„Meiner Frau?“ Der Doctor warf einen Blick nach der Thür, die er zum Glück fest hinter sich geschlossen hatte. „Gott behüte! Die machte das ganze weibliche B. aufrührerisch mit der Entdeckung! Der Professor ist bei unseren Damen ohnehin schon zum Helden geworden; wenn ihn nun noch der Nimbus einer unglücklichen Liebe umgiebt, so kann er sich nicht retten vor all der romantischen Theilnahme. Wer hätte das von unserem schüchternen Gelehrten gedacht, als er hier am Schreibtisch saß, und ich ihm eine Vorlesung darüber hielt, daß an ihm körperlich und geistig eigentlich nichts mehr zu ruiniren wäre. Jetzt geht er in den Krieg, kämpft, macht Gedichte, verliebt sich – es ist himmelschreiend!“

„Ich muß fort,“ sagte Behrend, dem augenscheinlich daran lag, die Unterhaltung abzubrechen. „Sie entschuldigen mich für heut.“

„Gehen Sie nur!“ brummte der Doctor ärgerlich. „Aus Ihnen ist doch nichts herauszubekommen, aber lassen Sie den Professor nur erst hier sein, ich werde ihm den Kopf zurechtsetzen.“

Der junge Arzt lächelte flüchtig. „Versuchen Sie es! Ich habe bereits das Möglichste gethan, aber gegen diese krankhafte Schwermuth ist nun einmal nicht aufzukommen.“

Er ging und Stephan blieb äußerst verstimmt zurück. Die Freude an all den festlichen Anstalten war ihm durch die soeben empfangenen Nachrichten gründlich verdorben, er mußte sich sagen, daß der Professor, wenn er überhaupt kam, schwerlich in der Stimmung sein würde, den seinetwegen veranstalteten Empfang

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 422. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_422.jpg&oldid=- (Version vom 1.10.2017)