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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


der Dir eine glänzende Heilung verspricht. Denn glaube mir: Dein Arzt, und wenn er auch kein Specialarzt ist, weiß immer noch viel mehr von den natürlichen Functionen und den Krankheitsprocessen der Haut, als ein Laie, der einige medizinische Bücher gelesen hat und Haarwasser verkauft.

Und nun, lieber Leser, nehme ich freundlichen Abschied von Dir und bitte Dich, wenn Du bis hierher gekommen bist, zu gelegener Zeit Dir diesen Aufsatz und den ersten mit Muße noch einmal durchzulesen. Ich denke, ich darf sagen: ein guter Freund hat Dir gerathen.




Drei Tage in einem Karthäuserkloster.
Von Dr. Magg in Constanz.


Ich hatte im Anfang der Vierziger Jahre während meines Aufenthalts in Constanz manchmal von dem Karthäuserkloster Ittingen, gegenüber Frauenfeld, schweizerischen Cantons Thurgau, sprechen hören, und war begierig, dasselbe kennen zu lernen, als mich der Zufall in die Gesellschaft des P. Priors führte. Er hatte eines Tages auf der Villa des Herrn Grafen v. V. in G., bei dem ich zur Mittagstafel geladen war, Besuch gemacht, und blieb über Mittag. Er saß im weißen Ordenshabit oben am Tische, aß und trank aber nichts von Allem, was aufgetragen wurde, sondern hatte verschiedene Sorten Fische mitgebracht, die nach seiner Anordnung zubereitet wurden; an seiner linken Seite stand auf dem Boden ein Gesäß mit Wein aus den Klosterreben, die er mit einem Glas aus dem Gefäß schöpfte und sich baß schmecken ließ. Er war ein Mann von sechsundfünfzig bis achtundfünfzig Jahren, mittlerer Statur, hagerem Körperbau und schmalen Schultern; auf seinem ziemlich breiten Schädel saß ein sogenanntes „Pfaffenkäpplein“, das die Glatze bedeckte, und seinen Hinterkopf zierten graumelirte schwarze Haare, welche von einem ehemals ergiebigen Haarboden sprechendes Zeugniß gaben; die etwas gewölbte Stirn war nur von wenigen kaum bemerkbaren Furchen durchzogen; die hervorstehenden Backenknochen, die bleichen eingefallenen Wangen, die spitz zulaufende kleine Nase, sowie die vom Kopfe ziemlich weit abstehenden Ohren mochten wohl die Folge langjährigen Genusses der Fisch- und sonstigen Fastenspeisen, verbunden mit dem einsamen, contemplativen Zellenleben sein, das er fünfzehn Jahre lang im Kloster führte, bevor er von dem Convente seiner Schicksalsgenossen zum Prior gewählt wurde. Sein stechendes dunkles Auge verrieth jedoch, daß ihm während dieser langen Zeit des selbst auferlegten unnatürlichen Zwangs die Lebenslust nicht geschwunden war, und auf seinem länglichen, nichts weniger als ausdrucksleeren Gesichte konnte man deutlich die Spuren gut erhaltener Denkkraft lesen, wie er solche denn auch im Gespräche sattsam kundgab, ohne jedoch den tiefen Denker zu verrathen. Mit Vorliebe sprach er indessen von Pferden und von dem Pferdehandel, den er, wie man sagte, seit seiner Ernennung zum Vorstand des Klosters eifrig betrieb. Nach aufgehobener Tafel lud er mich ein, ihm einen Besuch im Kloster abzustatten, den ich ihm mit Vergnügen zusagte.

Im August desselben Jahres machte ich eine Fußtour nach dem Kloster, bei dem ich Mittags zwölf Uhr ankam. – Wie groß war hier meine Enttäuschung! Ich hatte früher mehrere Beschreibungen der großen Einöde La Chartreuse, etwa vier Stunden nördlich von Grenoble, gelesen, in welcher in der zweiten Hälfte des elften Jahrhunderts (1084) der berühmte Canonicus und Kanzler zu Köln und Rheims, Bruno der Heilige, seinen einsamen Wohnsitz aufgeschlagen, und 1086 mit sechs von seinen Freunden das erste Karthäuserkloster errichtet hatte. Die Schilderung dieser „Wiege des Ordens, welche fast unzugängliche, mit grausenvollen Abgründen umgebene Felsen bilden“, erfüllte meine Phantasie mit dem „fürchterlichen Schauspiel einer düstern, überall sich schreckvoll darbietenden Natur.“

Wie ganz anders war die Lage der Karthause, vor welcher ich jetzt stand! Ich war von Bergeshöhen herabgekommen und befand mich nun in einem reizenden Thal. An dem Eingang in’s Kloster zog eine frequente Landstraße vorüber. Fruchtreiche, mit allartigen Obstbäumen bepflanzte Felder dehnten sich stundenweit aus. Durch die üppigen Wiesen schlängelte sich ein schmaler Fluß (die Thur). Rechts und links umgaben Weinberge das Kloster, das mit der Rückseite an einer waldigen Felsenwand lehnte. Und all diese weiten Fluren, über welche mit Lust das Auge schweifte, waren, wie ich nachher erfuhr, freies Eigenthum der Karthause, die eine vortreffliche Landwirthschaft betrieb. Nachdem ich einige Zeit an diesem herrlichen Anblick mich ergötzt hatte, trat ich durch das offene eiserne Gitter in den weiten Hofraum, auf dessen linker Seite große Oekonomiegebäude, Stallungen und Arbeiterwohnungen standen, unter denen ihrer ganzen Länge nach sich Kellereien befanden, die mit den besten, von der Kloster-Administration selbst gezogenen Weinen reichhaltig gefüllt waren. Auf der rechten Seite stand ein schönes Haus, durch dessen breite Hallen man in das Innere des Klosters gelangte, das von außen eher einer Villa, als einem von beschaulichen Mönchen bewohnten Aufenthaltsorte glich. Neben demselben war, durch einen kurzen und engen Gang verbunden, ein längliches, einstöckiges, mit einer ziemlich hohen Mauer umgebenes Gebäude angebracht, in dem sich aneinandergereihte Zellen befanden. In diesen mußten die Mönche ihr beschauliches Leben zubringen, und aus ihnen führte ebenfalls ein enger Gang in die kleine Klosterkirche, die ihr Vorhandensein durch ein Thürmchen bemerklich machte, in welchem sich eine Glocke befand. An dem Klostergebäude war eine Uhr angebracht, die mit hellem Glockenton die Stunden verkündete. Sie schlug „Eins“, als ich den Eingang des Vorhauses betrat. Hier kam mir ein dicker Karthäuser entgegen und fragte nach meinem Begehren. Als ich ihm meine Bekanntschaft mit dem Herrn Prior mittheilte, bedauerte er, daß ich zu spät zur Mittagstafel komme, die bald werde aufgehoben werden, alsdann könne ich den Prior sprechen. Dies geschah auch um halbzwei Uhr. Ich wurde sehr freundlich aufgenommen und dem dicken Herrn, der mich an der Pforte begrüßte, empfohlen, der die zweite Größe des Klosters war, nämlich der Oekonomie-Verwalter, mit dem Titel „Schaffner“. Der Prior ritt bald darauf zum Thor hinaus und kehrte in den drei Tagen meines dortigen Aufenthalts nicht zurück.

Der Schaffner führte mich in einen geräumigen Speisesaal, wo ich mit dreierlei Fischsorten und ebenso vielerlei köstlichem Wein nebst Confitüren und zuletzt noch mit gutem Kaffee bedient wurde. Ich traf dort acht mir fremde Gäste, die an verschiedenen Tischen Tarok spielten, denen ich zusah und mit ihnen Bekanntschaft machte. Es waren Herren aus der eine Stunde weit entfernten Stadt Frauenfeld, von welchen zwei bei der dortigen Regierung als Mitglieder angestellt waren. Auf jedem ihrer Tische stand eine Maßbouteille, die, kaum geleert, mit einer vollen ersetzt wurde. Unterdessen wurde die Mittagstafel abgedeckt, sogleich aber wieder mit frischem Gedeck für etwa noch kommende Gäste zubereitet, und mit Confitüren und vollen Weinflaschen nebst Gläsern besetzt. Nach einer Weile führte mich der Küchen- und Kellermeister in den elegant eingerichteten Zimmern des Klosters herum, und zuletzt in den vor demselben schön angelegten Garten, wo er mich, durch Geschäfte abgerufen, allein ließ. Hier verweilte ich mit Wohlgefallen im Anblick der veredelte Früchte tragenden Obstbäume, der üppigen Gemüsebeete und der dazwischen angebrachten, von den verschiedensten Fischsorten wimmelnden Teiche, bis um sechs Uhr die Glocke zum delicatesten Nachtessen rief. Die Tafel war von den acht Mittagsgästen und meiner Wenigkeit besetzt. Schaffner und Küchenmeister blieben davon weg. Wir waren unter uns, lauter lebensfrohe Leute; die Unterhaltung wurde sehr lebhaft gepflogen. Nach neun Uhr entfernten sich die Gäste und traten ihren Rückweg nach der Stadt an. Mir leuchtete der Kammerdiener in ein elegantes Schlafzimmer, stellte das Licht auf einen in der Mitte stehenden runden Tisch, wünschte mir freundlich „gute Nacht“ und ließ mich allein. Da stand ich nun, seelenvergnügt über die glückliche Metamorphose meiner Erwartung einer schaurigen Einöde und eines langweiligen Aufenthalts in einem der Armuth geweihten Karthäuserkloster. Es fielen mir die folgenden Worte Shereir’s ein, die er in seinem „neuen Paris“ über die große Karthause bei Grenoble ausspricht: „Hier, wo man nichts hört, als den dumpfen Schall einer Glocke, scheint diese Glocke eure Seele abzurufen; wo man nichts sieht, als schweigende, durch Bußübungen gebleichte Menschen, ununterbrochen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 428. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_428.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)