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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


den Zellen der Mönche vorbeiführt. Jede derselben bildet eine abgesonderte Räumlichkeit, vor der ein Gärtchen angebracht ist; letzteres ist mit einer hohen Mauer umgeben, über welche der Bewohner nicht hinaussehen kann. Jede Zelle ist durch eine Thür geschlossen, die nur zum Ausgang der Mönche in den Tag und Nacht zu bestimmten Stunden stattfindenden Kirchenchor und Morgens, Mittags und Abends zum Einbringen des Essens geöffnet wird. Wir traten in eine derselben, die mit allen andern gleichförmig gebaut und eingerichtet ist, und die aus zwei durch eine dünne Wand getrennten Zimmerchen besteht. In dem ersten befindet sich ein Tischchen, worauf ein Brevier und einige ascetische Gebetbücher liegen, ein Stuhl, und am Fenster eine Hobelbank, die dem Karthäuser zu beliebigen Arbeiten dient. Das zweite ist sein Schlafzimmer, in dem eine Bettstatt steht, die mit einem Stroh- und Kopfsack versehen ist, worüber eine wollene Decke liegt. Man erzählt von einem Sarg, in dem der Karthäuser schlafe, hiervon sah ich, wenigstens in diesem Kloster, keine Spur.

Aus dem Schlafcabinet gelangt man in das Gärtchen, das nur spärlich mit gewöhnlichen Feldblumen bepflanzt ist und an Armuth vollständig seinem Nutznießer gleicht.

Was die Mönche betrifft, so sind dieselben dem Bilde ähnlich, das ich Ihnen im Eingange meines Vortrags von dem Prior des Klosters entworfen habe: hagere Gestalten mit bleichen, bartlosen Gesichtern, eingefallenen Wangen und vom Kopf weit wegstehenden Ohren. Auf ihren Physiognomien ist nicht der geringste Ausdruck der Theilnahme an Freud’ oder Leid zu lesen, und ihr stieres Auge verräth nur den unverwandten Blick in ihr Inneres. Nur ein Einziger, in dessen Zelle ich bei meinem Besuche kam, machte hiervon eine Ausnahme. Er war ein Franzose, der nicht deutsch sprach und erst seit einigen Jahren im Kloster lebte. Auf erhaltene Erlaubniß, mit mir zu sprechen, erkundigte er sich lebhaft nach den Zuständen seines Vaterlandes und erzählte mir: er habe unter Napoleon dem Ersten als Officier gedient, sei mehrere Mal auf ungerechte Weise übergangen worden und habe zuletzt aus Lebensüberdruß sich entschlossen, seine noch übrigen Tage in der Einsamkeit des Karthäuserklosters zuzubringen. Im Fluß seiner Mittheilung unterbrach ihn der Schaffner und wir verließen die Zelle. Ich begab mich in mein Schlafzimmer, und stellte, um mir das thatsächliche Verhältniß recht klar zu machen, Vergleichungen an zwischen der Vergangenheit und Gegenwart des Ordens der Karthäuser. Wir sind anzunehmen berechtigt, daß dem Stifter dieses Ordens die hohe Idee vorschwebte, ein Gott wohlgefälliges Leben zu führen und durch sein Beispiel Andere zur Nachahmung zu bewegen. Ob er durch Einführung der strengen Zucht den richtigen Weg betrat, Gottes Wohlgefallen zu erwerben, ist eine Frage, die heut zu Tage vom Richterstuhl aufgeklärter Religionsansichten ebenso entschieden verneint wird, als sie zu Bruno’s Zeit der ascetischen Frömmigkeit bejaht wurde. Soviel ist aber gewiß, daß der Geist des Ordens im Laufe von sieben Jahrhunderten in zwei Hauptbestimmungen von den Stiftungsregeln wesentlich abgewichen ist, in Beziehung nämlich auf das Gelübde der Armuth und des ununterbrochenen Stillschweigens: die Armuth verwandelte sich in Reichthum und das strenge Gebote der ewigen Verstummung ward gemildert durch die Erlaubniß zur zeitweiligen Mittheilung. In zweiter Reihe veränderte sich auch die mühsame Arbeit und die Entbehrung zu Gunsten der Mönche.

Zur Zeit der Entstehung des Ordens wandelten die Karthäuser durch Arbeit und Kunst Wald und Wüste in Gärten um, und brachten Leben dahin, wo früher nur Todesstille geherrscht hatte; Pflanzen und Kleienbrod war ihre Nahrung, Quellwasser ihr Getränk, Beten, Lesen und Bücherabschreiben ihre Beschäftigung und eine grobe Kutte ihre Kleidung. In der jetzigen Zeit ist die ganze weite Gegend, vielleicht großentheils durch die Vorgänger der Klosterbewohner, in gesegnete Fluren umgewandelt, und die Hobelbank in den Zellen, sowie das spärlich bepflanzte Gärtchen sind sprechende Zeugen davon, daß Unterhaltung und Erholung an die Stelle der schweren Arbeit getreten sind. Anstatt Pflanzen und Kleienbrod aßen zur Zeit meines Besuches die Zellenbewohner Fischsuppe, Fische, Gemüse, feines Brod und Backwerk, dazu tranken sie Mittags und Abends je ein halbes Maß guten Karthäuserweines. Es blieb also von den ursprünglichen strengsten Bußübungen nur noch die Einsamkeit, welche durch den häufigen Chorbesuch bei Tag und Nacht unterbrochen wurde; sodann die Pflicht der eigenen innern Beschaulichkeit, die Jeden darauf eitel machen konnte, wenn es ihm beliebte, ein Geistes- und Gemüthsverwandter jener alten Weltweisen zu sein, welche vorgaben, das höchste Gut des Menschen bestände in der eigenen Beschaulichkeit und Gemüthsbetrachtung; ferner das Beten und Lesen im Brevier und in ascetischen Schriften, und endlich das Tragen einer nicht einmal groben (weißen) Kutte mit einer Kopf und Hals bedeckenden Capuze, die nach festgesetzter Ordnung hinauf- und herabgezogen werden mußte. Von einem Schlafsarg, wenn er jemals gebraucht wurde, so wie von der steten Erinnerung an den Tod durch das bekannt gewordene Karthäuser-Motto „Memento mori“, wenn es je eingeführt war, erhielt ich weder Kunde, noch hörte ich diesen Spruch aus dem Munde der Mönche.[1] Aus meiner Betrachtung zog ich den Schluß, daß diese klösterliche Lebensart – oder Unart – sich überlebt habe und ihrem Ende, das auch nach zwei Jahren eintrat, entgegen gehe, worin mich die etwas diplomatische Antwort des Schaffners auf meine Frage bestärkte: Wie es komme, daß alltäglich eine so splendide Bewirthung so vieler Gäste statthabe? der Schaffner nämlich erwiderte: „Wir wären schon lange aufgehoben, wenn unsere Gastfreundschaft von den regierenden Herren nicht mit so großem Wohlgefallen angesehen würde.“

Der Betrachtung müde und – ich gestehe es offen – vom Fischdurst getrieben, begab ich mich in den Speisesaal. Hier traf ich noch alle Mittagsgäste in der lebhaftesten Unterhaltung, die der eifrige Genuß des edlen Getränks von Minute zu Minute steigerte. Die Tafel war frisch gedeckt, und man setzte sich bald darauf zum Nachttische, der ebenso reichlich bestellt war und ebenso lange dauerte wie gestern. Mein Rückzug ging im gleichen geisterleuchteten Zustande vor und bisweilen neben sich, genau wie am vorigen Abend. Auf dem Nachttischchen lächelte mir wieder der holde „Schlaftrunk“ freundlich entgegen, und die Sirenenstimme des leeren Glases, das in Folge meines ritterlichen Auftretens in Bewegung kam und an der vollen Bouteille lieblich klingelte, lockte mich abermals unwiderstehlich in seine Nähe. Je vergnügter ich von dem Nektar trank, desto geheimnißvoller schien ich, nach Plato, auf den acht Kreisen des Himmels herumgetragen zu werden und die Harmonie der Sphären zu hören, bis Morpheus mir sanft die Augen zudrückte.

Der dritte Tag erschien mir im hellsten Glanze der Sonne. Um meine Inspection vollständig durchzuführen, bat ich nach dem Frühstück den Schaffner und den Küchen- und Kellermeister, mir die ökonomischen Einrichtungen zu zeigen, was sie mir sehr gern gewährten. In denselben lernte ich die Quellen des Klosterreichthums kennen. Alle Gebäulichkeiten waren geräumig und zweckmäßig hergestellt, die Scheuern voll von Feldfrüchten aller Art, die Stallungen gänzlich besetzt von wohlgenährtem und reichlich gehaltenem Vieh, die Küche vortrefflich eingerichtet, und im Souterrain der Gebäude lag ihrer ganzen Länge nach eine reichhaltige Bibliothek der ausgezeichnetsten Werke einer glücklichen Natur und des durch sachverständige Leitung segensreich wirkenden Fleißes, der sich schon beim Anblick der vielen großen Bücher einladend manifestirte und das Verlangen nach der Kenntniß des Inhalts steigerte – ich meine die Keller.

Nach Besichtigung all’ dieser Räume begaben wir uns zur Mittagstafel, die wieder von Gästen besetzt und mit Fastenspeisen aller Art bestellt war, welche den von der glühenden Sonnenhitze erregten Durst noch vermehrten. Ich will mit Wiederholungen nicht ermüden, sondern vielmehr bekennen, daß während des Essens mir der Appetit zu Fastenspeisen verging und ich aus Sehnsucht nach Fleisch laut hätte ausrufen mögen: „All’ mein Reisegeld um ein Stück Kalbsbraten!“

Gleich nach der Mahlzeit holte ich meine Reisetasche, warf noch einen Blick nach dem nächtlichen Träger des delicaten Schlaftrunks, nahm dankenden Abschied von den beiden gefälligen Vicevorstehern und eilte dem nächsten Orte zu, wo ich mich an Fleischsuppe und Braten labte, und dann die Fußreise weiter fortsetzte.

Ich schließe mit dem Wunsche, daß meine Schilderung einigen geschichtlichen Werth haben und meinen Lesern ebenso angenehm sein möge, wie mir die Rückerinnerung an den dreitägigen Aufenthalt in diesem Karthäuserkloster auch jetzt noch ist in meinem dreiundsiebenzigsten Lebensjahre!

  1. Diese Bußordnung mag vielleicht auch nur in dem von Rancé im siebenzehnten Jahrhundert gestifteten, weit strengeren Orden der Trappisten eingeführt gewesen sein; ich habe nichts davon wahrgenommen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 430. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_430.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)