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verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Im Fort Montrouge.


Schon bei der deutschen Belagerung von Paris, noch mehr aber in dem kaum beendeten Bürgerkriege ist von den siebenzehn Festungen, welche den Mauergürtel von Paris umgeben und soviel Unheil über die Stadt und ihre einst so reizende Umgebung gebracht haben, das Fort Montrouge am häufigsten mit den Forts Issy und Vanvres zusammen genannt worden und hat in beiden Belagerungen eine Rolle gespielt, die meinen Gang in dasselbe als gerechtfertigt erscheinen lassen wird.

Die Beschießung von Montrouge begann in der ersten Belagerung von Seiten der Deutschen am 5. Januar, und schon am achten waren die Casernen von Montrouge in Brand geschossen, bald darauf die Batterien desselben zum Schweigen gebracht und die Vertheidiger selbst in den Casematten ihres Lebens nicht mehr sicher. Es wird berichtet, daß Granaten von dieser Beschießung bis in den Luxembourg-Garten geflogen seien. Um so weniger ist es zu verwundern, daß sie nähere Ziele massiger trafen. Ich selbst sah, als ich am 7. Februar, also wenig über acht Tage nach dem Ende des Bombardements, in Paris mich auf der linken Seineseite bis ziemlich zum südlichen Ende der Stadt hin verirrte, dort Reihen von Häusern in Trümmern liegen, die bereits durch nagelneue hohe Bretterplanken abgesperrt waren.

Die Wirkung der deutschen Kugeln im Fort Montrouge selbst ward allerdings erst vollkommen offenbar, als, in Folge der Capitulation von Paris, am 29. Januar (1871) Soldaten des zweiten bairischen Armeecorps dieses und das Fort Vanvres besetzten. Ihnen erschien das Innere desselben so, wie unser Feldmaler F. W. Heine es uns in seinem trefflichen Bilde vor Augen gestellt hat. Er kam am 14. Februar dort an, also früh genug, um die Zerstörung noch in ihrem ganzen Umfange vorzufinden. Höchstens mag der Zugänglichkeit der Fahrwege etwas nachgeholfen worden sein. – Auf unserm Bilde dehnt im Hintergrund sich ein Häusermeer, aber in Schatten gehüllt, die Stadt Paris aus. Deutlich zu erkennen sind nur, von der Linken zur Rechten, der Triumphbogen de l’Etoile, der Invalidendom, die Notre-Dame-Thürme, das Pantheon, Montmartre etc. Im Mittelgrund, vor der Stadt, sehen wir das Dorf Montrouge mit seinem damals noch vollständig erhaltenen Kirchthurm. Auf den Straßen, die vom Fort aus zu sehen sind, oder zu ihm führen, ist endlose Bewegung bald von ausquartierenden Regimentern mit ihrem grotesken Hausrath, bald von Artillerie-, bald von Proviant-Colonnen, Ordonnanzen, Marketendern und Allem, was beim Waffentanz hier mitmacht oder aufspielt.

Das Fort selbst ist arg mitgenommen. Von der großen Caserne in der Mitte des Platzes stehen nur noch einige Wandtrümmer aufrecht, alles Andere ist in Grund und Boden geschossen. Eine gewaltige Bresche an der Nordseite (nach Paris hin) sehen wir bereits bis zur Hälfte ihrer Höhe mit Sandsäcken zugestopft. Sandsäcke, Schanzkörbe und Faschinen spielen überhaupt eine große Rolle im Artilleriekampf, und so haben wir sie auch hier allenthalben bald in Haufen, bald zerstreut und zerfetzt in diesem Bilde vor uns. Auch die vielen Bäumchen, welche die Franzosen längs der Wälle und Wege angepflanzt hatten, trugen die Spuren der deutschen Bomben und Granaten. Hier und da standen große eiserne Kessel, die wohl als Wasserbehälter zum Feuerlöschen dienen sollten.

Die bairische Infanterie, welche die deutsche Besatzung des Forts bildete, hatte es nicht leicht, eine Unterkunft in dem Trümmerhaufen zu finden. Sie mußte sich mit denselben Räumen begnügen, welche die Zuflucht der Franzosen während der dringendsten Zeit gewesen waren: mit den Casematten. Die Soldaten litten hier wirklich Schweres; sie konnten den Cognacgestank und das Ungeziefer nicht verbannen; ja, tagelang mischte sich dazu noch ein unausstehlicher Leichengeruch, bis sie nach genauem Nachforschen endlich einen nur einige Fuß tief verscharrten Franzosen entdeckten, dem seine Cameraden hier sein Grab angewiesen hatten, weil sie wegen des deutschen Granatenregens draußen dies Todtengräbergeschäft nicht zu verrichten gewagt hatten.

Zahlreiche Gruppen im Fort bildete damals die preußische Festungsartillerie, welche die Aufgabe hatte, die Breschen auszuflicken, die Geschützstellungen wieder zugänglich zu machen, alle nicht transportablen Geschütze zu demontiren und gegen Paris hin neue Batterien anzulegen. – Gebrauch ist bekanntlich davon nicht gemacht worden, und als der Präliminarfriede namentlich diese Südforts am 7. März in die Hände der französischen Parlaments-Regierung zurückgab, ist der Abschied von Fort Montrouge keinem Deutschen schwer geworden.

Kaum zehn Tage nach dem Abschluß des Präliminarfriedens und der Etablirung der französischen Regierung in Versailles ging in Paris das Unkraut auf, dessen Samen während der vier Belagerungsmonate mit vollen Händen ausgestreut worden war: aus ehemals fleißigen Arbeitern waren durch den gezwungenen bewaffneten Müßiggang Massen von Straßenlungerern geworden, die, aller Arbeit entwöhnt, den Militärsold auch nach dem Kampfe fortbeanspruchten und die das rechte Material waren für die sogenannte internationale Socialdemokratie, welche hier zum ersten Male Lassalle’s hochdröhnenden „Massenschritt der Arbeiterbataillone“ gegen eine „feige Bourgeoisie“ zur Aufführung bringen konnten. – Wie sie es thaten, weiß nunmehr die ganze Welt. Wir haben hier nur mit der Rolle zu schaffen, welche Fort Montrouge bei dieser zweiten Belagerung von Paris abspielte.

Bekanntlich waren die den Franzosen von den Deutschen übergebenen Forts von Pariser Nationalgarden besetzt worden. Schon am 15. März erklärten die Nationalgarden von Montrouge, daß sie den von der Regierung zum Commandanten der Nationalgarde ernannten General d’Aurelles de Paladine nicht als solchen anerkennen würden, sondern einen gewissen „Henry“ dazu erhoben hätten. Am 28. März ward auch auf Fort Montrouge die rothe Fahne aufgepflanzt, man rüstet sich gegen einen Angriff durch die Linientruppen von Versailles, und somit beginnt mit diesem Tage die zweite Belagerungszeit der Forts. Am 3. April operirten die Rothen in drei Corps von Montrouge, Issy und Vanvres aus, über hunderttausend Mann stark, gegen Versailles. Kanonendonner und Gewehrfeuer ebenso stark, als vergeblich. Am 5. April Artilleriegefecht zwischen den genannten drei Forts und den Versailler Batterien, welche sich jetzt der deutschen Verschanzungen bedienten, um mit französischen Geschossen Das zu vernichten, was die Deutschen geschont hatten. Die ernstliche Operation gegen das Fort begann erst am 13. Mai, nachdem die beiden getreuen Nachbarn Issy und Vanvres bereits lahm gelegt, dagegen Ivry und Bicêtre mit Montrouge noch die Hauptstützen der Rothen im Süden von Paris waren.

Bei der Uebergabe von Vanvres, am 14. Mai, war auch Montrouge, und zwar unterirdisch, betheiligt. Ein Theil der Besatzung hatte das Fort, nachdem die Zugbrücke auf Befehl des Commandanten Ledrux zerstört worden war, durch einen unterirdischen Gang verlassen, welcher in die Ebene bis in die Nähe der Straße von Chatillon hinabführte; dort freilich waren die Flüchtigen dem Kugelregen von mehreren Seiten bloßgestellt und erlitten noch schwere Verluste. Etwa tausend Mann betraten einen unterirdischen Gang, der Vanvres mit dem Fort Montrouge verband. Mit echtfranzösischem Leichtsinn hatten sie weder für kundige Führer gesorgt, noch Lichter und Fackeln mitgenommen, sondern tappten blind in die Finsterniß hinein. Vierzehn Stunden lang irrten diese Unglücklichen in den unterirdischen Gängen herum, geriethen zum Theil in unterirdische Steinbrüche, wo sie durch Schlamm und Wasser sich durcharbeiten mußten, so weit sie nicht durch den Fall verunglückt oder durch Ermüdung, Angst und entsetzliche Luft zu Grunde gegangen waren. In Gruppen von Zwanzig bis Hundert fanden endlich die zu ihrer Rettung entgegengeschickten Katakomben-Arbeiter den traurigen, halbverschmachteten Ueberrest und brachten ihn in Sicherheit, theils nach Montrouge, theils nach Paris.

Nachdem noch am 18. und 21. Mai das Fort bedeutende Stürme abgeschlagen und am 24. noch einmal mitgewirkt hatte, das linke Ufer von Paris mit einem Kugelregen zu überschütten, schlug am Abend dieses Tages auch seine Stunde, und der Morgen des 25. Mai sah die Tricolore der nationalen Republik auf den Wällen des Forts flattern. In wie weit es jetzt von unserem Bilde noch richtig dargestellt wird – was kommt darauf an! Für uns hat es seine Rolle vollständig ausgespielt.

H.


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verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1871, Seite 431. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_431.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)