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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Ausdruck geben. „Halt, das soll bestraft werden!“ Die Pferde einem der Begleitungsmannschaften übergebend, befahl ich einem andern Soldaten, mir zu folgen. Das Nachbarhaus stand offen. Ohne eine Silbe zu sprechen, stieg ich die schmalen Treppen hinauf unter’s Dach, von dort durch die Dachlucke hinüber auf das Dach des Wirthshauses, gelangte durch Ausheben mehrerer Ziegel ganz gemüthlich in dessen Dachboden und stieg von diesem wieder auf die einfachste Weise in den ersten Stock herab. Jetzt das Fenster auf und schon saß ich rittlings draußen auf der Eisenstange. Ruhig hakte ich das Blechschild los, denn auf nichts geringeres als dieses hatte ich’s abgesehen: das Schild mit dem darauf gemalten Postillon schien mir der beste Zeuge der Echtheit und zugleich das originellste Andenken, das nur zu denken war. Unten stand schon ein Haufen blauer Blousen, die mit Jammermiene dem Raube ihres Nibelungenschatzes zuschauten. Sie mußten große Stücke auf das Schild halten; denn immer größer und größer wurde der Haufen und die Schwatzhaftigkeit, die ihnen nun einmal angeboren ist, wuchs bereits zu einem ganz ansehnlichen Getöse an. Doch ich gab nicht viel darauf, ich kannte ihre Feigheit zu gut. Endlich hatte ich das Schild losgehakt; ich reichte es dem Soldaten, der mir nachgestiegen war:

Hohohoho! wie schön war so
Der Postillon von Lonjumeau!

sang ich, daß der Componist der reizenden Oper, Adam, gewiß mit mir zufrieden gewesen wäre; dann kletterte ich durch’s Fenster wieder in die Wohnung, schloß dieses und trat auf dem höchst gewöhnlichen Wege durch die Hausthür, die ich nunmehr von innen aufgeschlossen, auf die Straße. Sofort war ich umringt. Alle wollten zugleich Auskunft haben, was ich mit dem Schilde für Absichten habe. Auch der nie fehlende Dorfgeistliche frug mich wiederholt nach dem Zweck meines, wie er meinte, sehr frechen Raubes. Zu anderen Zeiten hätte ich jedenfalls nicht so viele Umstände gemacht, aber heute war ich gerade durch das Gelingen des kleinen Streiches in beste Laune gebracht und so erwiderte ich denn dem Volkstribun in der Geistlichentracht, daß mich Bismarck selbst beauftragt habe, dieses Schild abzunehmen. Er sei ein ungemeiner Verehrer der Oper „Postillon von Lonjumeau“ und wollte um jeden Preis das Schild haben. Da standen sie denn da und rissen die Mäuler auf, ich aber stieg rasch zu Wagen und schon eine halbe Stunde später hatte unser Regimentsarzt das „Andenken“ und ich ein sehr splendides „Extra“ in Form hochwillkommener Cigarren.

Etliche Wochen später war das kleine Schild mit einem Krankentransporte auf dem Wege nach München, gegenwärtig bildet es ein werthvolles Stück in der Requisitenkammer des Münchener Hoftheaters.

Ferdinand Rittinger, Corporal.


Die Wacht am Donaustrand.[1]

Was unsre Brüder tausendfach gesungen
Zu halten treue Wacht am deutschen Rhein,
Ihr schweres Hüteramt, es ist gelungen,
Nur wir, wir durften nicht im Bunde sein!
Doch fest, wie jene Wacht am Rheine stand.
Stehn wir als Wacht am deutschen Donaustrand.

Wir hielten stets getreu zu Oestreichs Fahnen,
Sein Glück und Ruhm erfüllte unsre Brust;
Doch, zwingt man uns mit Macht in andre Bahnen,
Wir sind darob uns keiner Schuld bewußt:
Die Schuld trägt unsrer Gegner Unverstand,
Und nicht die deutsche Wacht am Donaustrand.

Der freie deutsche Geist setzt sie in Schrecken,
Der deutsche Sinn für Freiheit und für Recht,
Drum suchen sie der Völker Haß zu wecken
Und führen gegen uns ihn in’s Gefecht;
Doch deutschem Willen hält ihr Wahn nicht Stand,
Er zittert vor der Wacht am Donaustrand.

Mischt sich in Deutschlands Sieges-Jubeltöne
Ein Klagelaut ob unsrem Mißgeschick,
Wir bleiben dennoch seine treuen Söhne,
Und kehren einst in seinen Schooß zurück
Nur dieser Aufblick zu dem Vaterland
Erhebt das Herz der Wacht am Donaustrand.

Wir schmieden hier des deutschen Geistes Waffen,
Wir warten treulich Wort und Wissenschaft,
Kampffertig gegen Junker, gegen Pfaffen
Und jeden Feind der deutschen Geisteskraft;
Uns sei die Wacht am Rhein ein Unterpfand
Des deutschen Siegs der Wacht am Donaustrand.




Vermißte Soldaten unseres Kriegs.

Wie gering auch die Hoffnung ist, daß über die aus dem letzten so mörderischen Kriege massenhaft Vermißten, nach Auswechselung fast aller Gefangenen, der Aufruf der Gartenlaube noch von Erfolg sein könne, so wollten wir doch unseren in so tiefer Trauer und Sorge lebenden Landsleuten den Wunsch nicht versagen, wenigstens einen Versuch in dieser Hinsicht zu machen. Es war aber des Raumes wegen geboten, uns dabei so kurz als möglich zu fassen, indem wir unsere Mittheilungen auf das Nothwendigste der Angaben beschränkten. Für heute führen wir folgende Namen auf:

1) Ernst Bernhardt Graichen, Sachse, aus Kolkau bei Rochlitz, ansässig in Niederelsdorf bei Lunzenau, beim k. sächs. 8. Inf.-Reg. Nr. 107, 2. Comp.; seit der Erstürmung von St. Privat, am 18. Aug., vermißt und nirgends gefunden.

2) Christian Paul Rottler, Baier, aus Gräfenberg, beim k. bair. 14. Inf.-Reg., 2. Comp.; bei Sedan, am 1. Sept. 1870, verwundet und seitdem verschollen.

3) Ernst Moritz Gentsch, Sachse, aus Sörmitz bei Döbeln, beim k. sächs. 8. Inf.-Reg. Nr. 107, 1. Comp. (2. Division, 24. Brigade); seit dem Ausfall aus Paris am 30. Nov. vermißt und beweint von seiner jungen Gattin, die seitdem Mutter geworden.

4) Gustav Waldenberger, Sachse, aus Leipzig, trat, noch nicht siebenzehn Jahre alt, als Freiwilliger zur Fahne, beim k. sächs. 8. Inf.-Reg. Nr. 107, 12. Comp.; letzter Brief vierzehn Tage vor dem 2. Dec. 1870, seit welchem er vollständig verschollen ist. Die Verlustliste (Nr. 3) führt nur seinen Namen auf, ohne Angabe ob er verwundet oder vermißt sei. Cameraden sagten aus, er sei am 2. Decbr. durch einen Schuß in den Unterleib verwundet worden. Ob er in französische Gefangenschaft gefallen oder in ein deutsches Lazareth gekommen? Um irgend eine Kunde über ihren Sohn bittet die untröstliche Mutter.

5) Robert Schwarzmann, Württemberger, aus Ulm, achtundzwanzig Jahre alt, beim württemberg. Geniecorps vor Belfort, kam schwer krank in’s Feldspital nach Dannemarie, das jedoch zwei Tage danach aufgelöst wurde. S. soll da nach Einigen in’s Preußische, nach Anderen in’s Badische geschafft worden sein. Alle Nachforschung vergebens.

6) Hermann Liebich, Preuße, aus Sprottau, Reg.-Bez. Liegnitz, beim k. preuß. 1. Niederschles. Inf.-Reg. Nr. 46, 5. Comp.; bei Sedan, am 2. Sept., verwundet und seitdem verschollen.

7) Karl Wollmann, Hesse, aus Holzheim, Amt Diez, bei der 4. Vierpfünder-Batterie des hess. Feld-Artillerie-Reg. Nr. 11, stand bei der 2. Munitionscolonne desselben; seit dem 1. Sept. 1870 verschollen.

8) Karl Pfister, Baier, aus Memmingen, beim 2. bair. Inf.-Reg. „Kronprinz“, 6. Comp.; schrieb am 21. Oct. 1870 zum letzten Male aus Orleans. Eine Sendung der Eltern von zwei Napoleonsd’or, am 1. Nov., an ihn, fiel wahrscheinlich in die Hände sog. „Universalerben“. Seitdem verschollen.

9) Heinrich Andreas Eppers, Braunschweiger, aus Gevensleben, Amt Wolfenbüttel, beim braunschw. Husaren-Reg. Nr. 17, 4. Escadron (4. Armeccorps); am 17. Nov. 1870 auf einer Patronille im Wald bei Marchefroy verwundet und seitdem vermißt.

10) Christian Heinrich Müller, Sachse, aus Beyerfeld bei Schwarzenberg, beim 5. k. sächs. Inf.-Reg. Nr. 104 „Prinz Friedrich August“ 12. Comp.; wahrscheinlich kurz vor dem 30. Nov. 1870 noch als Signalist verwendet, bei dem großen Ausfall aus Paris als angeblich leicht verwundet noch von seinen Cameraden auf dem Schlachtfelde gesehen, aber seitdem von seinem siebenzigjährigen Vater, einem armen Löffelarbeiter, und seiner jungen Frau und zwei Kindchen vergeblich in Noth und Kummer gesucht.

11) Wilhelm Klepper, Preuße, aus Alsbach bei Grenzhausen, Reg.-Bez. Wiesbaden, Amt Selters, beim hessischen Inf.-Reg. Nr. 83, 10. Comp.; bei Wörth am 6. August 1870 verwundet und seitdem nirgends aufzufinden.

12) Wilhelm Schulz, Preuße, aus Rohnberg bei Salzwedel in der Altmark, bei dem 2. Garde-Dragoner-Regiment, 5. Escadron; seit der Schlacht bei Mars-la-Tour vermißt.

13) Karl Hafner, Baier, aus Tittling bei Passau, Kanonier im 3. bair. Artillerie-Regiment, Batterie „Neu“, soll am 3. Dec. 1870 vor Orleans verwundet oder gefallen sein; den trauernden Eltern fehlt jede Nachricht über ihn.



Nachfrage nach dem weiland deutschen Bundes-Fürstenthum Liechtenstein. Drei wißbegierige Männer in Fulda erinnern uns an dieses seit dem Jahre 1866 verschollene deutsche Fürstenthum. Unseren eifrigen Nachforschungen ist es gelungen, die Spuren desselben im „Gothaischen Almanach“ wieder zu entdecken. Wir finden daselbst dieses Fürstenthum noch heute unter den souverainen Staaten der Erde, und den Fürsten Johann den Zweiten Maria Franz Placidus, geboren den 5. Oktober 1840, der Zeit seiner Thronbesteigung nach (1858) als den Dreiundzwanzigsten, in der Reihe der dermalen regierenden Häupter aufgezählt. Aus der diplomatisch statistischen Abtheilung dieses Almanachs erfahren wir, daß die seit dem 26. September 1862 constitutionelle Monarchie Liechtenstein noch immer ihren Regierungssitz in Vaduz hat, während die Residenz des Fürsten sich in Wien befindet. Die Zahl der fürstlichen Einwohner betrug nach der Zählung von 1867 beinahe achttausendvierhundert, die Staatseinnahmen sechszigtausend Gulden, die Ausgaben sechsundfünfzigtausend Gulden, Schulden giebt’s nicht. Für seinen Anschluß an den österreichischen Zollverein bekommt es jährlich ungefähr sechszehntausend Gulden heraus. Das ehemalige Bundescontingent, fünfundfünfzig Mann Infanterie, ist seit 1866 verschwunden und der Staat existirt nun ohne jegliches Militärbudget. Paradiesisches Dasein!

Ob der Bestand dreier monarchischer Souverainetäten deutscher Zunge – Deutschland, Oesterreich und Liechtenstein – auf die Dauer gut thun wird? Wir müssen’s eben abwarten. Bereits verräth eine sehr bedenkliche Stelle unseres Almanachs, daß man schon jetzt hinsichtlich der Nationalität die Liechtensteiner zu den Oesterreichern rechne.

  1. Wir empfingen obiges Gedicht mit folgender Zuschrift: „Der verehrlichen Redaction der Gartenlaube beehre ich mich, beifolgend ein Gedicht einzusenden, betitelt ‚Die Wacht an der Donau‘, welches von einem unserer Commilitonen gedichtet, bei einem Festcommerse der hiesigen Burschenschaft ‚Germania‘, zu dem sämmtliche deutschgesinnte Couleurs geladen waren, vorgetragen und mit ungeheurem Jubel aufgenommen wurde. – Da es uns von Interesse ist, daß unsere Brüder draußen ‚im Reich‘ wissen, von welchen Gesinnungen die deutsch-österreichische akademische Jugend beseelt ist, so haben wir beschlossen, dieses Gedicht der verehrlichen Redaction der Gartenlaube zur gefälligen Verfügung zu stellen.
         Im Namen der Burschenschaft ‚Germania‘ in Wien
              Hans Dauner, stud. jur.,
                   d. Z. Senior.“
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