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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Bei den tanzenden und heulenden Derwischen.
Von Franz Wallner.


Keine Stadt des Orientes, Damascus, das ich noch nicht kenne, vielleicht ausgenommen, hat trotz aller Civilisation noch so ganz den farbenreichen wunderbare Charakter des Orients beibehalten, als das ewig heitere schöne Kairo. Wie sehr hat man dem genialen Hildebrandt Unrecht gethan, wenn man behauptete, solch glühendes Colorit, wie er in seine Bilder gezaubert, existire in der Natur nicht. Wer hier den Sonnenuntergang erlebt, wer gesehen, wie der ganze Horizont von dem scheidenden Feuerball mit dem glühendsten Roth beleuchtet wird, während sich die schlanken Palmen und die zierlichen Minarets in scharfen Contouren dunkel abzeichnen am brennenden Abendhimmel, der ist gewiß mit mir der Ansicht, daß sich dies Schauspiel in Farben gar nicht wiedergeben lasse. Und dieses Treiben in den Straßen, auf dem Lande, wie unglaublich, wie contrastirend! Man denke sich die oft wie eine Mauer dicht gestaute Menschenmenge, in allen möglichen und unmöglichen Costümen, zum Theil auch ganz ohne Costüme, alle Farbenschattirungen, mit welchen die Sonne Menschenhäute zeichnet, bleicht, färbt und gerbt, Alles sich drängend, lärmend und doch voll Gutmüthigkeit, zwischendurch diese Massen eleganter Equipagen, deren jede mit ihrem Vorläufer sich Bahn bricht, Reiter auf dem zierlichen und edlen Stammvater des europäischen entarteten Geschlechts der Esel, auf edlen arabischen Vollblutpferden, auf höckrigen, über die Menge wegsehenden Kameelen, zahllose Gestalten, die noch genau so aussehen, wie sie aussahen, als der keusche Joseph seinen historischen Mantel bei Madame Potiphar zurückließ, breite mit Prachtbauten prangende Straßen, und ineinandergebaute arabische Gassen, finster, unheimlich und so enge, daß ein Ausweichen zwischen zwei Personen nur durch das Eintreten in ein Haus möglich ist, in Misthaufen hineingewühlte Menschenwohnungen, wo der Fellah haust mit Weib und Vieh und Kindersegen, alles Lebende übersäet mit Lebendem, gleich neben diesen Menschenställen Paläste, wie sie nur die reichste Phantasie eines Nabob erfinden und ausführen kann, darüber ein ewig wolkenloser Himmel, ein Klima, welches Frost und Regen zur Unmöglichkeit stempelt, ein Reichthum an Blumen jeder Art, an nie gesehenen Pflanzen, an riesigen Bäumen, der abenteuerlich aussehenden Sycomore, der berauschenden Duftspenderin, der prächtigen Nilacazie, unzählige Kuppeln und nadelspitze zierliche Minarets, und am Rande des wunderbaren Bildes über Alles hinwegragend die Riesenbauten der Pyramiden, als Trotz der Zeit, als Bollwerk gegen die Zerstörerin alles Seins; dies Alles giebt ein schwaches und verblaßtes Bild von Kairo.

Von diesem buntbewegten, farbenreichen Bilde will ich den freundlichen Leser heute zu zwei ganz eigenthümlichen Einzelerscheinungen im orientalischen Leben führen, und zwar zunächst zu den „tanzenden Derwischen“, mit dem Wunsche, daß es mir gelingen möge, mit Hülfe des talentvollen mich begleitenden Zeichners diese sonderbarste aller Religionsübungen deutlich zu schildern, obgleich es mir bis jetzt, trotz den unzähligen Beschreibungen, die ich darüber gelesen, aus denselben nie geglückt war, mir eine klare Vorstellung von diesen Productionen, anders kann ich es nicht nennen, zu machen.

Wir nehmen uns also einen tüchtigen Esel und reiten die endlose Hauptverkehrsader von Kairo, die Muskieh entlang, welche zum Schutz vor der brennenden Sonne, von einem Dache zum andern, mit Brettern bedeckt ist, was ihr ein sonderbares Aussehen giebt. Den langen Weg kürzen uns tausend neue und fremdartige Straßenbilder. Vorüber an eleganten und ordinären Kaufläden, an deutschen Bierhäusern und arabischen Kaffeespelunken drängen wir uns an schreienden Menschen – ohne Geschrei geschieht hier nichts – in allen Hautfarben, an gelben, braunen, schwarzen und weißen vorbei, jeder hastet mit einer Eile, als ob sein Geschick vom Wettlauf abhinge, und doch hat eigentlich Niemand etwas zu versäumen, denn der Werth der Zeit ist dem Orientalen ein fremdes Ding.

Obstverkäufer haben ihre Granatäpfel, Bananen, Mandarinen und andere Früchte in lockendster Form ausgestellt; in ungeheuren Krügen, in Hammelfellen, welchen der Inhalt genau die Gestalt des Thieres giebt, wird Nilwasser für die Durstigen herumgetragen; Araberweiber schleppen ihre Kinder rittlings auf der Schulter; ein Scheikh reitet auf reich geschirrtem Roß, welches den Neid des Kenners erregt, an uns vorbei; zahllose Rufe um „Bakschisch“ umschwirren uns; eine junge Armenierin trägt ein ganzes Magazin von Goldmünzen, ihren künftigen Brautstaat, um den Hals, während das arme Fellahkind nur ein zerfetztes Baumwollenhemd mit tausend Lücken am braunen Leibe trägt; tief verhüllte syrische Weiber, deren schwarze Schleier zwischen den Augen eine Metallspange zusammenhält, Arnauten, tätowirte Neger in weißen Kleidern, gemalte Weiber, an Frechheit nicht ihresgleichen findend, Krüppel, langhaarige Derwische, Levantinerinnen in schwarzen langen, seidenen Schleiern und grellfarbigen Unterkleidern, Schlangenbändiger, Blumenverkäufer, Engländer in wunderlichster Ausstattung zur Indiafahrt ausgerüstet, Hochzeits- und Leichenzüge mit dem ganzen lärmend bunten Apparat des Orients, das Gebrüll der Büffel, der langgedehnte Ruf der Kameele, und das grelle Geschrei der Esel, dazwischen die Warnungsrufe der vor jedem Wagen herlaufenden Sais; es ist eine Staffage, an der man sich nie satt sieht, die uns immer Neues bietet.

Endlich kommen wir an unser Ziel, durch den Hof eines äußerlich unscheinbaren Gebäudes gelangen wir in eine runde Kuppelhalle, mit Koransprüchen verziert, in der Höhe ein vergitterter Raum, wie in den Theatern für die Haremsbewohnerinnen. Rechts eine Galerie, in welcher sich die Sänger und Musiker postirt haben, links ein Raum für Zuseher. Um den eigentlichen Platz des mit einer Balustrade abgegrenzten Rondos fassen wir Posto. Die Kuppel ziert ein Kronleuchter. Auf einer mit persischen Teppichen belegten Erhöhung sitzt das Haupt der Derwische, ein schöner Mann mit lang wallendem Barte. Die Derwische selbst tragen verschiedene farbige Mäntel, unter diesen Jacken und kurze Röcke, nicht unähnlich unseren europäischen Damencrinolinen, auf dem Haupte Filzmützen in Form abgestumpfter Kegel. Die Derwische kauern sich um ihren Vorstand rings auf dem Boden, während ein Sänger oben unter Begleitung eines oboeartigen Instrumentes, zu welchem eine dumpfe Trommel geschlagen wird, einen endlosen monotonen Gesang anstimmt. Aehnlich wie bei der Liturgie in unseren katholischen Kirchen, fällt von Zeit zu Zeit der Chor ein. Zwischen den Gesang tönt es dann und wann durch, wie ferne Klänge einer Harmonika. Die Derwische liegen alle, das Gesicht zur Erde gekehrt, dem Häuptling zugewendet, nur bisweilen erhebt sich einer, um sich laut und geräuschvoll die Nase zu schnäuzen und sich sogleich wieder der Andacht hinzugeben. Ländlich, wenn gleich nicht ganz sittlich, nach europäischen Begriffen.

Nach Beendigung des Gesanges beginnt ein sechsmaliger Rundgang um die thronartige Erhöhung, welche der Oberste der Derwische einnimmt, vor dem sich alle jedes Mal, voll gegen ihn gewendet, ehrfurchtsvoll und tief verneigen. Eine ernste, von gedämpften Trommeln begleitete, melodielose Musik ertönt während dieses Rundganges, den ein Schlag auf dem Tamtam schließt, worauf Alles, den Kopf auf den Boden schlagend, zur Erde stürzt.

Nun werfen die Derwische die Mäntel ab und beginnen eine kreiselförmige Bewegung, indem sie sich in doppelter Wendung um sich selbst und um den Circus drehen. Der Gesang oben wird zum Geheul, bald in lang gehaltenen Tönen anschwellend, bald winselnd verhallend. Jetzt tritt aneifernd die Flöte ein, oder es kreischt der Sänger im höchsten Discant dazwischen. Mit geschlossenen Augen und verzückten Mienen haben die Dreher – Tänzer kann man sie nicht nennen – einen Arm lang vor sich ausgestreckt, den Kopf an die Schulter gelehnt, den anderen Arm in halber Beugung – genau so wie die beifolgende Zeichnung die ganze Scene vortrefflich wiedergiebt – ihre Uebungen fortgesetzt, die nackten Füße wenden sich Schritt für Schritt in unbegreiflicher Ausdauer rund herum, rascher und rascher, die vierzehn Musiker wetteifern mit der gleichen Anzahl der Derwische, immer lebhafter quitschen die Instrumente, heulen die Sänger, drehen sich mit dem Ausdruck der Ekstase die menschgewordenen Kreisel. Siebenundfünfzig Minuten währte, bei sechsundzwanzig Grad Hitze, dies Schauspiel, welches ich mit der Uhr in der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 470. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_470.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)