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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


noch immer seinen Schatten, die Schwester konnte ihn nicht überwinden; es lag wieder etwas von der alten Härte und Bitterkeit in ihren Zügen, und der mühsam gebändigte Schmerz, der darin zuckte, verrieth nur zu sehr, wie ernst es ihr war mit diesen düsteren Worten, vor denen in diesem Augenblick alle Hoffnungen und alle Zukunftsträume machtlos zusammensanken.

„Johanna!“

Das war wieder jener Ton, der einst in S. so mächtig zu ihrem Herzen drang und es losriß von allen Schmerzen und Kämpfen; er zwang sie auch jetzt, sich umzuwenden, ihn anzublicken, und als sie erst seinen Augen begegnete, da hielten auch Härte und Bitterkeit nicht länger Stand vor diesen blauen Tiefen, die wieder zu ihr redeten in jener Sprache träumerischer Zärtlichkeit, die sie wie einst gebannt hielt.

„Du hast mir auch einst wehe gethan, Johanna, furchtbar wehe; es war in jener Herbstnacht, als ich Dich anflehte, Dich frei zu machen, und bereit war, das Aeußerste für Deinen Besitz zu wagen. Damals schleudertest Du mir dies harte ‚Niemals!‘ entgegen. ‚Und gäbe Alison mich frei und fiele jede andere Schranke, nie, Walther!‘ Das Wort steht noch immer drohend zwischen uns Beiden, es hat mich zurückgescheucht bis zu diesem Augenblick. Wirst Du mir nun endlich das Räthsel lösen?“

Jane senkte das Haupt, sie schwieg einige Secunden lang, dann sagte sie tonlos: „Ich hatte die Spur meines Bruders gefunden, ich wußte, daß er beim Pfarrer Hartwig erzogen war, und ich hörte den Namen von Deinen Lippen, als den Deines Pflegevaters.“

„Um Gotteswillen, Du glaubtest doch nicht –?“

„Ja! Schilt mich nicht, Walther, daß ich es für möglich hielt; ich habe furchtbar gelitten unter dieser Möglichkeit, ich bin fast zu Grunde gegangen an dem unseligen Irrthum!“

Jane Forest’s stolze Lippen ließen sich endlich herab zu dem Geständniß und in ihren Augen schimmerte es feucht und tief, der „Nordlichtschein“ darin war geschwunden und das Eis mit ihm, es brach jetzt daraus hervor wie lichtes Frühlingsleben. Was Henry gestern nur einen Augenblick gesehen, als sie bittend vor ihm niedersank, wovon allein er sich die Entsagung abzwingen ließ, die sie ohne jenen Blick nie erreicht hätte, das strömte jetzt in reichster Fülle dem entgegen, der verstanden hatte, es zu wecken; er fühlte den ganzen Zauber dieses Wesens, das so glühend zu fesseln, so unwiderstehlich festzuhalten und so unendlich zu beglücken verstand, das sich zum ersten Male voll und ganz gab.

Es war keine Bewerbung, kein Antrag, nicht einmal eine Erklärung, was zwischen den Beiden jetzt folgte; aber das Eine war da, was jener ersten Verlobung, die das Alles so formell enthielt, gefehlt hatte: das glühende Erröthen, die weiche Hingebung, die Thräne des Glücks in dem Auge der Braut, und die Leidenschaft des Mannes ward nicht mit kalter Berechnung zurückgehalten wie dort, hier flammte sie auf in ihrer ganzen Gluth und Begeisterung. Jane fühlte es in seinen Armen, daß der „Träumer“ so voll und heiß zu lieben verstand, wie er es verstanden hatte, statt der Feder daheim am friedlichen Schreibtisch draußen im Felde das Schwert zu führen.

Die Gebüsche am Fuße der Ruine rauschten, und Mr. Atkins, der dort abermals den Spion gespielt, kam zum Vorschein; aber diesmal störte er das Paar nicht und brachte auch keine Gratulationen; sein Gesicht sah nach Allem eher aus als nach einem Glückwunsch, während er eiligst und unbemerkt den Rückzug antrat.

„Merkwürdig! Sogar die Liebe ist in diesem Deutschland anders als bei uns! Jane ging uns verloren, als sie den Fuß auf diesen Boden setzte, es ist schändlich! Und an der ganzen Geschichte ist nur der verwünschte Rhein mit seiner Romantik schuld!“

Er warf einen Blick des tiefsten Ingrimms auf den gehaßten Strom und kehrte ihm dann grollend den Rücken; der Rhein aber schien sich diese Ungnade des Amerikaners nicht sehr zu Herzen zu nehmen. In seinen Wellen funkelte und glänzte es, als sei der alte Nibelungenhort heraufgestiegen aus der Tiefe und rolle jetzt in flüssigem Golde dem Ufer zu, und der Strom rauschte weiter, mächtig und triumphirend, als trage er auf seinen grünen Wogen den Frühling und den Frieden hinein in die Lande.




Im Schwanen-Hotel.


An Frankfurt knüpften sich seit der Metternich’schen Schöpfung, die ein halbes Jahrhundert lang den Aufschwung alles nationalen deutschen Lebens verhinderte, seit dem deutschen Bunde, die fatalsten Erinnerungen. Bis auf die schöne Episode des Völkerfrühlings, bis auf das eine Jahr des deutschen Parlaments war die heitere Mainstadt, wo die Natur so reichlich Sonnenschein bietet, politisch der Sammelplatz aller Gewitter für’s ganze Vaterland. Hier ballten sich die finstern Wolken zusammen, deren rollender Donner den treugehorsamen Unterthanen der deutschen Duodez- oder Folio-Souveraine in heilsamen Schrecken zu setzen berufen war; von hier aus entluden sich die Blitze auf die Häupter der deutschen Jugend, welche ihrem Ideale, der Freiheit und Einheit, das Wort zu reden sich erkühnten. In der Eschenheimergasse zu Frankfurt hatte Jupiter tonans, genannt Clemens Lothar Fürst Metternich, sein Hauptquartier aufgeschlagen und lenkte des deutschen Volkes Geschicke mit seinem Generalstab von Bundestags-Gesandten, nach dem System der heiligen Allianz der Fürsten gegen den Freiheitsdrang der Völker. Der Artikel „Frankfurt“ in den deutschen Zeitungen war für viele Leser, besonders für die Eltern der studirenden Jugend, unheilvoll oder doch wenigstens beängstigend und es fiel ihnen ein Stein vom Herzen, wenn Gott sei Dank zu lesen stand, daß der Bundestag Ferien habe.

Das ging so ganze zweiunddreißig Jahre lang, ein ganzes Menschenalter hindurch, von 1816 bis 1848, bis der große Sturm aus Westen die ganze Gesellschaft wegfegte, die mit Noten und Decreten alle Stürme zu beschwören sich unterfangen hatte. Da verwandelte die Ironie des Schicksals den Schauplatz total; der Boden, der die große Kettenschmiede getragen, wurde über Nacht umgewühlt, um darauf künftig den Tempel der Freiheit zu bauen. Frankfurt, von wo aus seit drei Decennien jede Regung des Volkswillens niedergehalten worden, ward nun plötzlich ausersehen, den Willen des Volkes für’s ganze große Vaterland zur Geltung zu bringen. Man schloß die Thore des Palastes, in dessen zopfzeitalterigen, dämmerigen Salons die leisetretenden Diplomaten heimliche Cabinets-Politik getrieben, und öffnete dafür die hohe helle Halle der Paulskirche, wo laut vor allem Volke das freie Wort erklang für des Vaterlands Größe, des Vaterlands Glück.

Jetzt knüpfte sich an Frankfurt in viel reicherem Maße die Hoffnung, als früher die Furcht – daß sie überschwenglich wurde, diese Hoffnung, war eine natürliche Folge des jähen Wechsels und führte bald genug wiederum einen jähen Wechsel herbei. Als der bittere Bodensatz im Kelche der schäumenden Freude allein zurückblieb, verwünschten die Zecher den ganzen Rausch und sprachen vom tollen Jahre 1848, wie von einem Genusse, dessen sie sich zu schämen hätten. Wird aber heute nicht Jeder anerkennen, daß 1870 und 71 nicht möglich gewesen ohne 1848 und 1849?

Wiederum liegen zwei Drittel eines Menschenalters zwischen damals und jetzt; die letzte Hälfte des letzten Jahrzehnts hat mit gewaltigen Erschütterungen den Schwerpunkt weit ab verlegt von der Stelle, wo er ein halbes Jahrhundert lang gelegen – da, im letzten Augenblick, am Schlusse einer ganzen Epoche, läuft die Kugel, die im ernsten Spiele des Lebens durch das Rad der Zeit rollt, plötzlich noch einmal an die alte Stelle – gagne! verkündet der Croupier, und Aller Augen belächeln strahlend den glücklichen Zufall.

Frankfurt brachte der politischen Welt ein langes Unheil, dann ein kurzes Glück, und jetzt den langersehnten Frieden!

Aber die launige Glücksgöttin ließ es nicht dabei bewenden. Nicht der Schauplatz allein sollte vom Zufall begünstigt werden, auch dem Künstler gewährte sie den seltenen Triumph, auf der nämlichen Bühne, darauf er als Anfänger debutirt, den größten Beifall zu ernten.

Der Legationsrath von Bismarck hatte 1851 in denselben Mauern ein Werk begonnen, in welchen 1871 der Fürst Bismarck dasselbe zum Abschluß brachte. An demselben Tage im Mai, an welchem vor zwanzig Jahren Bismarck in Frankfurt ankam, hatte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 476. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_476.jpg&oldid=- (Version vom 26.10.2019)