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verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Brief von Sophie Brion, welchem Friederike einige Zeilen beifügt. Diese Nachschrift bietet an sich durchaus kein Interesse dar, ist aber darum doch höchst werthvoll und wird von dem jeweiligen Sessenheimer Pfarrer wohl verwahrt, weil es eines der wenigen authentischen Schriftstücke ist, die, von Friederikens Hand geschrieben, bis heute erhalten worden sind. Ein Facsimile desselben ist dem Schauspiel „Friederike“ von Alb. Grün beigegeben. Es lautet also: „Prosit’s neu Jahr, Ihr Lieben. Ja gewiß muß euch in diesem Jahre ein besonderer Seegen zufließen, weil Ihr uns mit so vielen Wohlthaten im verflossenen beschenkt hat (sic), – und doch muß ich euch gestehen, das unter allem Lieben und guten mir doch euer Rickchen[1] das Liebste ist so wir von euch erhalten. Das ist Wahrheit von euern treuen dankbaren Gevatterin Fried. Brion.

P. S. Rickchen wünscht sein groß Persenes Halstuch zu haben, in einem Land wo niemand Kleine trägt.“

Der Steinthaler Aufenthalt währte nicht viel länger als bis zum Anfang dieses Jahrhunderts. Die Behauptung, Friederike sei vorher in Paris und Versailles gewesen und habe daselbst sogar in der großen Welt eine gewisse Rolle gespielt, gehört einfach in das Reich der Sage, wie überhaupt so manches Sagenhafte über sie in Umlauf gesetzt worden ist. Es kann nicht unsere Aufgabe sein, diese und andere ebenso unbegründete Aussagen hier weitläufig zu erörtern und zu widerlegen. Schon im Jahre 1801 zog Friederike in’s Badische (Sophie wahrscheinlich zu gleicher Zeit nach Niederbronn) und zwar zu ihrem Schwager, dem Pfarrer Marx in Diersburg, mit welchem sie denn auch im Jahre 1805 auf die neue Pfarrei Meissenheim bei Lahr übersiedelte, und in dessen Familie sie mit längern oder kürzern Unterbrechungen bis zu ihrem Ende verblieb. Wenn man sagt, sie sei im Hause des Pfarrer Fischer gestorben, so ist dies nur halb wahr, denn Fischer hatte am 22. Februar 1813[2] Friederike Caroline, die zweite Tochter von Marx, geheirathet und war bei seinem Schwiegervater als Adjunctus angestellt bis zu dessen am 15. Januar 1819 erfolgten Tode, um welche Zeit er erst definitiver Pfarrer daselbst wurde. Hier in Meissenheim war sie nach der Aussage von Personen, die sie noch selbst gekannt oder doch mit der Familie Fischer in so vertrauter Verbindung gestanden, daß sie unzweideutigen Aufschluß geben können, unter dem Namen „die große Tante“ bekannt, während Sophie, ihre ebenfalls ab und zu im Pfarrhause sich aufhaltende Schwester, „das Täntele“ hieß. Die Leute schildern Friederike als eine schlanke, hagere, ziemlich hochgewachsene Figur mit schönen freundlichen Augen. Sie lebte still und zurückgezogen, von Armen und Reichen gleich lieb und werth gehalten; allenthalben spendete sie bereitwillig Rath und Trost, und ihr größtes Glück war das, Bedürftigen und Nothleidenden Hülfe zu bringen, oft ohne Rücksicht auf die geringen Mittel, die ihr zu Gebote standen. Von ihrer Jugendliebe und ihrem Verhältniß zu Goethe – es ist dies eine vielbezeugte Thatsache – hat sie in dieser letzten Periode ihres Lebens nie und zu Niemand gesprochen, und es fehlt jeder Anhaltspunkt, dieses beharrliche Stillschweigen auf die eine oder andere Weise zu erklären.

Auch in ihren vorgerückteren Jahren noch hatte sie etwas so Freundliches, Liebevolles und Herzliches in ihrem Benehmen, daß sie ohne Mühe die Zuneigung aller Derer gewann, welche mit ihr in Berührung kamen. Auch schreibt mir eine Dame, an welcher Friederike während etwa anderthalb Jahren (1804 und 1805) Mutterstelle vertrat und die Aufsicht über das Hauswesen führte:

„Sie war sehr gut mit uns Kindern und behandelte uns außerordentlich liebevoll. Noch lange, wenn ich als Kind von einem Engel reden hörte, so dachte ich ihn mir wie Tante Brion, in einem weißen Kleide. Ich erinnere mich noch sehr wohl, wie sie heftig weinte, als sie uns nach Ankunft meiner Stiefmutter verließ und mich zu wiederholten Malen in die Arme nahm und küßte. Ihr Verhältniß in meines Vaters Hause war ein sehr achtungsvolles.“

Ueber ihren Todestag giebt das Meissenheimer Kirchenprotocoll folgende Nachricht: „Samstag den 3. April Nachmittags um 5 Uhr starb dahier Friederika Elisabetha Brion, des weil. Joh. Jac. Brion, gewesenen Evangel. Luther. Pfarrers in Sessenheim und weild. Maria Magdal. einer geborenen Schoell ehel. erzeugte ledige Tochter in einem Alter von ohngefähr 58 Jahren; es wurde dieselbe heute den 5. April 1813 Abends um 5 Uhr begraben. Die Zeugen waren:

1) Christian Friedrich Gockel, Pfr. zu Ichenheim und Neffe der Verstorbenen.
2) Philipp Jacob Redslob, Pfr. in Allmannsweier und Neffe der Verstorbenen.

Meissenheim den 5. April 1813. M. Gottfried Marx, Pfr.“

Vor wenigen Jahren noch suchte man ihr Grab vergebens auf dem Gottesacker von Meissenheim; kein Kreuz, kein Stein bezeichnete es.“ Wohl hatte ihr Goethe in „Wahrheit und Dichtung“ ein Denkmal gesetzt, schöner und dauerhafter als irgend ein in Erz gegossenes oder in Stein gehauenes, und so lange der Name des großen Dichters genannt wird, so lange wird auch Friederikens Name unvergessen bleiben. Doch auch von ihrem Grabe (sagt Leyser, Goethe zu Straßburg, S. 189 und 190; s. Gartenlaube 1869, S. 702) sollte der Bann genommen werden. Zwei wackere deutsche Männer, der rheinische Dichter Hugo Oelbermann und Friedrich Geßler von Lahr, wanderten in der Mitte der sechsziger Jahre zur verlassenen Grabstätte und beschlossen dort, einen Aufruf ergehen zu lassen zur Herstellung eines einfachen Denksteins. Ihr geflügeltes Wort ward rasch und weithin verkündet von den feurigen Zungen der Presse; bald wurden Gaben gespendet aus allen Gauen deutschen Landes, selbst aus Rußland und Siebenbürgen, und nach mancherlei Kämpfen mit dem leidigen Philisterthum wurde endlich dem Lahrer Comité die Freude zu Theil, am 19. August 1866 in einfacher, aber ergreifender Feier den Friederiken-Denkstein, ein Meisterwerk Hornberger’s, enthüllt zu sehen. – An die östliche Mauer des Kirchleins lehnt sich das einfache, doch edel gehaltene Denkmal: aus Goldgrund heraus grüßt uns eine Marmorbüste: es sind Friederikens Züge, wie sie der Phantasie des Künstlers entstiegen; Züge, auf denen bereits das Morgenroth der Verklärung zu spielen scheint, und doch mit jener ganzen Anmuth und Lieblichkeit geschmückt wie damals, als der Musensohn von Straßburg zum ersten Male sie erblickte. Die höchst sinnige Inschrift von Eckard lautet:

          Friederike Brion
     von Sesenheim gewidmet.

Ein Strahl der Dichtersonne fiel auf sie,
So reich, daß er Unsterblichkeit ihr lieh.

Hier angelangt, lege ich – ohne andere einschlägige Fragen zu berühren oder weiter zu besprechen – die Feder nieder, die ich, ich darf’s wohl sagen, nicht eitel mich selber überschätzend ergriffen. Ich hätte wahrlich nicht daran gedacht, aus meiner stillen mir liebgewordenen Verborgenheit heraus, mit meiner geringen und unvollkommenen Arbeit vor ein größeres Publicum hinzutreten, wenn ich nicht vielfach wäre aufgefordert worden, zusammenhängend niederzuschreiben, was ich über die Familie Brion und besonders über Friederike in Erfahrung gebracht, und, meine Stellung benutzend, historische und locale Einzelnheiten mitzutheilen, die man wohl anderswo vergeblich suchen dürfte. Ich habe dies bestmöglichst zu thun versucht; ob und in wie fern ich mein Ziel erreicht, mag der geehrte Leser selbst nun beurtheilen, indem er das hier Gebotene mit dem vergleicht, was Andere schon

  1. Dieses Rickchen, die Tochter des Ankerwirths Heintz und Friederikens Pathenkind, ist eins jener Mädchen, welche die beiden Schwestern bei sich aufgenommen hatten, um deren weitere Erziehung und Ausbildung zu überwachen.
  2. Gegen diese Zeitangabe, welche jedoch dem Meissenheimer Kirchenbuch entnommen ist, scheint ein durch Vict. Wittmann in der Gartenlaube (1864, Nr. 21) mitgetheilter Stammbuchvers zu sprechen, den Friederike am 14. October 1807 für Pfarrer Fischer geschrieben und also unterzeichnet hat: „Dies aus dem Herzen Ihrer Sie liebenden Tante Fried. Br.“ Ob dieses Datum, 14. October 1807, richtig ist, kann ich nicht sagen, wenn aber auch, so braucht man an demselben in seiner Verbindung mit der Unterschrift „Tante“ doch keinen Anstoß zu nehmen. Fischer ist in Meissenheim geboren, und als der Sohn des damaligen Amtsschulzen wurde er frühzeitig von der Grundherrschaft zum Nachfolger von Marx im Pfarramte designirt und war wahrscheinlich schon frühzeitig mit dessen Tochter verlobt. Wenn nun Friederike bereits im Jahre 1807 den in Aussicht stehenden Gatten ihrer Nichte als Tante anredet, so darf man sich darüber um so weniger verwundern, wenn man zugleich weiß, daß sie den Namen Tante nicht nur in der Familie, sondern auch in der Gemeinde führte. – Das in Rede stehende Albumblatt wurde lange Zeit in der Familie Fischer aufbewahrt, bis es einem Verehrer Friederikens zur Einsicht mitgetheilt – aber nicht mehr zurückgegeben wurde.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1871, Seite 487. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_487.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)