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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


in den Zweigen der Bäume selbst dem Meere von Köpfen jauchzender und tücherschwenkender Menschen – das ist die Glorie der Glorie gewesen. Vor ihr müssen sich alle anderen Prospecte und Scenen neigen.“

Und so gehen die Meinungen weiter. In einem Punkte aber sind Alle einig: Nicht der äußere Glanz des Festes, so zauberhaft und sinneblendend dieser auch auf uns eindrang, ist es gewesen, was den mächtigen, unverlöschlichen Eindruck hinterlassen hat, sondern die ideale Bedeutung des Tages, und wenn sich von den zuschauenden Hunderttausenden auch so manche von dieser geistigen Tragweite nicht klare Rechenschaft gegeben haben mögen, – instinctiv empfunden hat sie gewiß die Mehrzahl der Versammelten. Wohl Jeder fühlte, daß das Fest Anderes und Höheres bedeute, als den solennen Einzug eines in mehr als zwanzig Schlachten siegreichen Heeres und dessen weltberühmter Führer. In den einrückenden Soldaten ehrte er nicht blos die lorbeerumkränzten Krieger, die erste Armee der Welt, er grüßte in ihnen seine Söhne und Brüder, seine Väter und Gatten, die, wie sie freudig Haus und Hof verlassen, das Vaterland vor dem ruchlosen Angreifer zu beschirmen, jetzt freudiger noch heimkehrten zur friedlichen Arbeit des Bürgers, von welcher sie feindlicher Frevelmuth jählings aufgescheucht hatte. Verschwunden war jeglicher Unterschied zwischen Volk und Heer. Wenige nur mochten sein, die sich nicht bewußt waren, daß der sechszehnte Juni die aus der Waffengenossenschaft erwachsene nationale Einheit besiegelte, Wenige, die ihrem Kaiser nicht entgegenjubelten, weil sie in ihm wie den Neuerbauer, des Reiches, so auch, seinem Worte vertrauend, den Mehrer von des Volkes Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung erblickten. Allen bezeichnete der Tag die feierliche Eröffnung einer neuen Aera, welche Deutschland an die Spitze der Staaten, die deutsche Nation zur Gebieterin der Erde emporhob.

Es war Mittwochs, als wir auf einem der nördlichen Bahnhöfe in der Kaiserstadt anlangten. Die Gegend lag weitab von der Triumphbahn, nicht ein einziger Mann der einziehenden Truppen wurde mit uns ausgeschifft, wohl aber Waggon auf Waggon voll pommerscher und mecklenburgscher Ochsen, die dem Feste zum Opfer fallen sollten – doch auch hier in dieser feierfernen Zone, wo dicht neben den Schläfern der Friedhöfe die Hämmer der großen Eisenwerke und Maschinenfabriken pochen, welche festliche Bewegung und Wandelung rundum! Wie wir selber, waren auch alle unsere Coupégenossen Festreisende, und nun auf dem Perron was für ein unendlicher Bewillkommnungsjubel! Wie frohgemuthet und rosiggelaunt zogen die Einen ab im Geleite der sie erwartenden Gastfreunde und Wirthe, wie bänglich und verlegen schauten in das ungewohnte Gewühl jene Anderen, welche sich keine Droschke und, schlimmer noch, vielleicht auch keine Stätte gesichert haben, wo sie für die nächsten zwei, drei Nächte ihre müden Häupter zur Ruhe legen können!

Die hohen Schlote der umstehenden Industriepaläste dampften wie immer, wie immer gingen die rußigen Cyklopen der Borsig und Wöhlert, der Hoppe und Engel zu den Thüren aus und ein, allein durch den schwarzen Kohlenqualm hindurch schlug’s uns wie Festluft entgegen, und siehe da! nach langer Abwesenheit kam in diesem winterlichen Sommer auch die liebe helle Sonne wieder einmal zum Vorscheine, ein Symbol von Kaiser Wilhelm’s sprüchwörtlichem Wetterglücke. Ueber Borsig’s gothischer Fabrikburg rauschte bereits ein Hain von schwarzweißen und schwarzweißrothen Bannern, unten in Nischen der Vorhalle schimmerten aus Tannengrün die Büsten der großen Staats- und Heereslenker hervor, beide Seiten der Straße faßte schon eine lange Zeile bebänderter Mastbäume ein, und überall war man beschäftigt, noch immer neue aufzupflanzen und durch Laubgewinde zu verbinden. Auch die Häuser selbst fingen bereits an ihr Festgewand umzuthun; ihre Eigener und Bewohner überboten sich in Ornamenten und Drapirungen, in Transparents und Illuminationsvorkehrungen, und wenn die Leistungen nicht allemal auf der Höhe der Kunst standen, wenn namentlich das perpetuirlich wiederkehrende Kaiserbildniß mit Krone und Hermelinmantel skatliche Erinnerungen an Eckern- oder Grünkönig erweckte, man erkannte die gute Absicht und ließ sich nicht verstimmen. Selbst daß einer der benachbarten Grundbesitzer seiner Festbegrüßung nicht anders Luft machen zu können glaubte, als indem er die Mauern seines Dominiums in orangerother Oelfarbe erglühen ließ, von der er soeben höchsteigenhändig die letzten Pinsellagen applicirte, nehmen wir auf, wie es gemeint ist: Alles zur größeren Ehre des Festtages ohne Gleichen.

Dazwischen welch Getümmel von Menschen aller Stände und Schichten! Der Strom stopft sich mehr und mehr und nur im langsamsten Tempo kann die ununterbrochene Wagencolonne noch vorwärts; zuletzt staut sich Alles, Menschen- und Kutschenfluth – wir nahen der eigentlichen Festbühne, der Promenade Unter den Linden! Welcher Wechsel erst hier seit den acht Tagen, daß wir den Berliner Lust- und Lieblingscorso nicht gesehen haben! Da ist Alles schon nichts mehr als Festvorfeier und Festvorbereitung vom gottlosen Standbilde des alten Fritz bis zum frommverschämten Mühlerkloster hinab. Selbst Adelheid hat sich zu den Aufklärern gesellt und sorgt dafür, daß helles Licht ausstrahle aus ihrem unbezwinglichen Malapartus der Finsterniß, obschon sie im Stillen vielleicht wehklagt: „Straße, wie wunderlich siehst du mir aus!“ und wahrnimmt, welche Hauptrolle bei dem Festausschmucke die Stadt den anstandsbaren Akademikern zuertheilt hat.

Mehr getragen als wandelnd, münden wir endlich in die Triumphstraße ein, und nun schauen auch wir mit staunenden Augen umher. Beschreiben aber, was wir sehen, wir können’s nicht: es ist einfach unbeschreiblich, weil sich das innere Leben, die Seele, welche all die überreiche Pracht verklärt und weiht, blos empfinden, nicht schwarz auf weiß wiedergeben läßt. Welche Lust, einzutauchen in diese Fluth lauterer Freude und Begeisterung, in die sich nicht der leiseste Mißklang, nicht der Schatten von Schuld und Unthat, nur das Bewußtsein treu erfüllter Pflicht gegen das Vaterland und gerechten Sieges mischte! Welche Lust, in dem Strome festgestimmter Menschen umherzutreiben und den Eifer zu beobachten, mit welchem allenthalben die letzte Hand an die großartigen Feierveranstaltungen gelegt wurde! Wie viel aber blieb noch zu thun übrig in den anderthalb Tagen bis zum Morgen des Sechszehnten! Und wie unbegreiflich Schönes und Mannigfaltiges war doch in der kurzen Vorbereitungsfrist schon in’s Werk gerichtet! Man sah, daß das Herz bei der Sache gewesen war.

Gerade vor unserm vorläufigen Standpunkte, am Ausgange der Friedrichsstraße, ragen aus einem Menschenknäuel zwei schlanke Siegessäulen auf, blos Theatererz, Holz und Pappe, aber vollkommen monumentalen Eindrucks. Mit einem Male erschallt aus dem bunten Haufen heraus das kennzeichnende Schlagwort unserer Kriegs- und Siegesperiode, das Zuaven und Turcos erzittern gemacht hat und, nach dem Irokesen des Kladderadatsch, zur landüblichen Begrüßungsformel geworden ist. „Hurrah!“ riefen hundert Stimmen, „Hurrah!“ ging’s wieder und immer wieder – Ewald’s schönes Tableau ward zwischen den beiden Säulen aufgezogen, und mit sichtlicher Andacht las die jauchzende Menge die altdeutschen Lettern seiner Inschrift: „Allzeit Mehrer des deutschen Reichs, nicht an kriegerischen Eroberungen, sondern an den Gütern und Gaben des Friedens, auf dem Gebiete nationaler Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung.“

„Amen!“ sprachen wir still vor uns hin. Möge des Kaisers Verheißung in Erfüllung gehen und diese der Preis sein der schwer erkämpften Siege. Dann nur ist das theure Blut unserer Helden nicht umsonst geflossen.

„Augen links!“ stießen wir den mit uns flanirenden Specialartisten der Gartenlaube an. „Die Akademie der Künste!“ Noch war die sinnige Decoration der langen Façade nicht vollendet, noch stand die plastische Gruppe des Mittelbaues vor der Normaluhr verhüllt, noch blieben rechts und links an der Fronte große graue Lücken, die nachher die Figurenportraits der beiden Hauptgründer der neuen Epoche aufnehmen sollten, die Medaillonbildnisse der Corpsführer jedoch und die Gestalten der fürstlichen Oberbefehlshaber glänzten in frischem Farbenglanze schon fix und fertig von der Mauer herab. Auch die Mehrzahl der historischen Compositionen, durch welche die verschiedenen Truppentheile in charakteristischen Scenen und Situationen veranschaulicht werden, bedeckte bereits die Zwischenpfeiler, – da reicht der preußische Ulan dem sächsischen Reiter vom Pferde herab die erbeutete Champagnerflasche; auf der andern Seite schwingt der Gardefüsilier die eroberte französische Fahne, während vor ihm der preußische Landwehrmann am Boden ausruht und im Hintergrunde badische Schützen auftauchen, und dort ganz zur Linken wälzen sich sterbende Turcos auf der blutgetränkten Erde zu Füßen preußischer Jäger und Artilleristen, die mit Hurrahruf die ersiegte feindliche Kanone

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 494. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_494.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)