Seite:Die Gartenlaube (1871) 497.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


No. 30.   1871.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Die stumme Signora.
Erinnerungsblatt aus der Mappe eines ehemaligen Leipziger Studenten.
Von Karl Wartenburg.
(Schluß.)


Man braucht nicht zu den Furchtsamen zu gehören, um in einer solchen Lage etwas Herzklopfen zu bekommen. Zwischen mir und dem Mordgesellen befand sich nur der Schreibtisch, ich hatte nicht die kleinste Waffe zur Hand. O, was hätte ich darum gegeben, wenn ich einen der Schläger gehabt hätte, deren Klingen dort an der Wand glänzten!

Indessen beschloß ich doch mein Leben so theuer als möglich zu verkaufen. Der Gedanke nach Hülfe zu rufen kam mir nicht in den Sinn, auch würde der Ruf in dem abgelegenen Hofe und dem öden Corridor zu später Nachtzeit ganz vergeblich gewesen sein.

„Ihr müßt alle Beide sterben,“ wiederholte mein Angreifer noch einmal und seine Augen waren wie mit Blut unterlaufen.

Ich heuchelte eine Kälte und Ruhe, die ich eigentlich nicht besaß. „Man stirbt nicht so leicht, Procop Makovetzky, zumal wenn man mit einem feigen Spion zu thun hat.“ Ich wußte, daß ich ihn mit diesen Worten auf’s Blutigste reizte und ihn schon deshalb erbarmungslos machte, weil er daraus erkannte, daß er entlarvt sei. Aber ich verband damit einen Plan, ich wollte ihn aufhalten, seine Neugierde anstacheln, Zeit gewinnen.

Sowie ich den Namen Makovetzky nannte, fuhr er zurück und starrte mich an wie ein Gespenst, seine weißen scharfen Zähne, die wie das Gebiß eines Raubthiers schimmerten, nagten an seiner Unterlippe und sein Blick wich dem meinigen aus.

„Procop Makovetzky,“ zischelte er endlich; „hat Dir das die Schlange da auch erzählt?“ und er deutete auf die Ohnmächtige; „haha,“ er lachte heiser, „Du und sie, Ihr werdet es Niemandem wieder erzählen. Die stumme Signora wird einen stummen Signor zum Gesellschafter erhalten.“

Ich warf ihm statt der Antwort den „Urwähler“ zu.

„Sie sind im Irrthum, guter Freund,“ sagte ich so ruhig, wie möglich, „Ihr Signalement steht schon in den Zeitungen.“

Er haschte begierig nach dem Blatt, sein Auge überflog die Correspondenz aus London, mit einer höhnischen Geberde ballte er das Papier zusammen. „Ihnen nützt die Warnung vor dem gefährlichen Menschen nichts,“ lachte er heiser und seine Hand faßte das Beil fester, „ein Stummer kann die Geschichte von Procop Makovetzky nicht weiter erzählen …“

„Noch bin ich nicht stumm,“ antwortete ich, den Arm erhebend, um den ersten Angriff zu pariren.

„Das wird gleich der Fall sein,“ sagte er mit dumpfer Stimme und seine Mordwaffe erhebend drang er auf mich ein, der ich ihm den Tisch entgegenstemmte, als plötzlich ein keuchender Ton auf dem Corridor laut wurde und sich zwischen der angelehnten Thür hindurchdrängend Tiras in’s Zimmer sprang.

„Tiras! zu mir!“ rief ich hochaufathmend und im Nu war das treue, muthige und starke Thier an meiner Seite, ein Wink und es stürzte sich auf den Mörder.

Aber Procop Makovetzky war wirklich ein feiger Meuchler. Er wartete den Angriff des Hundes nicht ab. Mit Blitzesschnelle sprang er zurück, zur Thür hinaus, diese hinter sich in’s Schloß werfend und den Schlüssel herumdrehend. Wir waren gefangen und der Meuchler hatte Zeit zur Flucht gewonnen. Doch das beschäftigte mich nicht, mochte Procop Makovetzky auch jetzt entkommen, er läuft doch, sagte ich mir, dem Zuchthaus oder Galgen in die Hände. Die ohnmächtige Signora, die noch immer bewußtlos auf der Diele lag, nahm jetzt meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch.

Ich rieb ihre Schläfe mit Salmiakspiritus und spritzte ihr kaltes Wasser in’s Gesicht. Lange waren meine Bemühungen erfolglos. Endlich gab sie Zeichen des wiederkehrenden Bewußtseins, sie schlug die Augen auf und versuchte sich emporzurichten. Sie sank auf einen Stuhl, strich sich das lange schwarze, dichte Haar aus Stirn und Gesicht und starrte schweigend vor sich hin. Zuweilen flog ein Schauder über ihre Gestalt.

„Wo ist er?“ frug sie endlich leise und vor Entsetzen zusammenbebend.

„Fort, entflohen, aber sagen Sie mir … War er wirklich Ihr Gatte?“ …

Sie nickte, sich das Gesicht mit den Händen bedeckend, und brach in ein krampfhaftes Weinen aus. Ich schwieg und zerbrach mir den Kopf, wie dieses liebliche Wesen das Weib eines solchen Menschen werden konnte. Tiras lag stumm zu den Füßen der Unglücklichen und starrte die leise Weinende aufmerksam mit seinen glänzenden braunen Augen an. Mit einem Male spitzte er die Ohren und schlug laut an. Er hatte Georg’s Tritt erkannt. Mein Freund war nicht wenig erstaunt, die Thür verschlossen zu finden, verdutzt aber prallte er zurück, als er beim Eintritt die Signora erblickte.

In fliegender Eile theilte ich ihm mit, was sich in seiner

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1871, Seite 497. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_497.jpg&oldid=- (Version vom 1.10.2017)