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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

junge Herr folgte ihm, während der Dritte, ein großer, schlanker Mann, die innere Fläche des fortgewälzten Granitblockes untersuchte. Sein Gesicht konnte ich nicht sehen, er wandte mir den Rücken; aber ich hielt ihn für alt; denn er hatte langsame Bewegungen, und der schmale Streifen kurz verschnittenen Haares, der unter dem braunen Hut hervorsah, war entschieden grau.

„Der Stein ist bearbeitet,“ sagte er, indem seine Hand leicht über die Fläche glitt.

„Die anderen Träger auch!“ rief eine Stimme aus dem Hügel. „Und welch einen riesigen Deckstein haben wir über uns! Ein wahres Prachtstück von einem erratischen Block!“

Der junge Herr erschien wieder in der Oeffnung. Er mußte sich tief bücken, und dabei entfiel ihm der Hut. Bis dahin hatte ich wenige Männer gesehen – außer Heinz, dem alten Pfarrer des nächsten, ziemlich zwei Stunden entfernten Dorfes und einigen dort ansässigen grobknochigen und wortkargen Hofbesitzern war mir nur hier und da ein schmutziger Besenbinderjunge über den Weg gelaufen. Ich hatte mithin keine Gelegenheit gehabt, mich mit dem Begriff von Männerschönheit zu beschäftigen. Aber auf dem Dierkhofe hing ein Bild Karl’s des Großen; an das mußte ich denken, als die unbedeckte Stirn dort aus der schwarzen Höhle auftauchte; wie ein breiter, weißer, fleckenloser Schild glänzte sie unter den aufbäumenden kastanienfarbenen Haarmassen, die mit einem energischen Zurückwerfen des Kopfes zurückgeschüttelt wurden.

Der junge Mann hielt ein großes Thongefäß von gelblich-grauer Farbe in den Händen.

„Vorsicht, Herr Claudius!“ mahnte der Herr mit der Brille, der ihm folgte und selbst verschiedene fremdartige Geräthschaften in der Linken trug. „Im ersten Augenblick sind diese Urnen sehr zerbrechlich; sie erhärten aber schnell an der Luft –“

Dazu kam es nicht. In demselben Moment, wo die Urne auf den Granitblock gestellt wurde, zerbarst sie; eine Wolke von Asche stiebte auf, und halb verkohlte menschliche Gebeine flogen und rollten nach allen Seiten hin.

Der Brillenträger stieß einen Laut des Bedauerns aus. Er ergriff mit der zart zugespitzten Rechten behutsam eine der Scherben, schob die Brille auf die Stirn und besah die Thonmasse an dem frischen Bruch.

„Ah bah, der Schaden ist nicht groß, Herr Professor!“ sagte der junge Mann. „Da drin stehen noch mindestens sechs Stück, und die Dinger gleichen sich wie ein Ei dem andern.“

Der Herr Professor verzog das Gesicht, als habe er Essig geschluckt.

„Ei, ei, das klingt ja recht – laienhaft!“ meinte er scharf.

Der Andere lachte auf, und das war ein wunderschönes Lachen. Es klang hell und übermüthig, und doch so wohlthuend beherrscht. Er schien es übrigens sofort zu bereuen, sein Gesicht wurde sehr ernst.

„Ich bin ja auch nur ein Laie, wenn auch ein passionirter,“ entschuldigte er sich. „Deshalb müssen Sie schon Gnade für Recht ergehen lassen, wenn der Neuling hier und da die strengen Zügel der Wissenschaft verliert und ein wenig querfeldein galoppirt. … Mir lag hauptsächlich daran, mich über den innern Bau dieser Grabdenkmäler zu informiren, und – ah, wie prächtig!“ unterbrach er sich und nahm eines der seltsamen Geräthe, die der Professor mittlerweile auf dem Steine ausgebreitet hatte.

Der gelehrte Herr hörte augenscheinlich die Entschuldigung des jungen Mannes gar nicht. In tiefes, man hätte sagen können peinliches Nachdenken versunken, hielt er einen kleinen Gegenstand prüfend bald gegen das Licht, bald dicht unter die Augen.

„Hm, hm, eine Art Filigranarbeit von Silber! Hm, hm!“ murmelte er vor sich hin.

„Silber in einem vorgeschichtlich germanischen Grabhügel, Herr Professor?“ fragte der junge Mann nicht ohne spöttische Betonung. „Sehen Sie hier dies köstliche Bronzestück!“ Es war ein Dolch oder Messer, was er ergriffen hatte. Er hob und senkte wie zum raschen Stoß die Waffe, dann wog er sie lächelnd auf den Fingerspitzen. „Einer Germanenfaust hätte dies zierliche Ding da sicher nicht genügt – sie hätte es im ersten Augenblick zerdrückt,“ sagte er. „Und ebensowenig hat sie den zarten Silberschmuck geschaffen, den Sie da in der Hand halten, Herr Professor. … Schließlich behält Doctor von Sassen doch Recht, wenn er diese sogenannten Hünengräber als Begräbnißstätten phönicischer Anführer bezeichnet.“

Doctor von Sassen! Wie mich’s durchfuhr bei diesem Namen! Hatte der Sprecher dort nicht mit dem Finger auf mich gezeigt? Und richteten sich nicht sofort Aller Augen auf meine arme, kleine erschrockene Person? … Alle diese Augen! Ich hätte mich in die Erde verkriechen mögen! … Ach, welcher Kindskopf war und blieb ich doch! Man kümmerte sich so wenig um mich, wie vorher auch – ich wollte aufathmen; aber o weh, an ihn hatte ich nicht gedacht! Dort stand er, Monsieur Heinz, der Pfifficus, nickte mir mit überaus schlauer Miene zu und schrie hinter der hohlen Hand: „He, Prinzeßchen, die Leute sprechen von –“

„Still, Heinz!“ fuhr ich ihn an – zum ersten Mal in meinem Leben, und zum ersten Mal auch trat ich heftig mit dem Fuße auf.

Er sah mich einen Moment wie versteinert an, dann wandte er scheu die Augen nach der andern Seite. Die Arbeiter aber waren aufmerksam geworden; sie schienen jetzt erst zu finden, daß der Gegenstand da hinter ihnen nicht ein Dornbusch oder dergleichen, sondern ein kleines furchtsames Mädchen war. Sie starrten mich mit einer Art von lächelnder Neugier unverwandt an; ich wäre am liebsten auf und davon gelaufen; allein es hielt mich Etwas unwiderstehlich fest, und ich war damals der unumstößlichen Ueberzeugung, es sei einzig und allein der Wunsch, noch Etwas über den Träger jenes Namens zu hören.

Zudem beruhigte es mich, daß die fremden Herren Heinzens Bemerkung nicht gehört hatten. Mit den „phönicischen Anführern“ waren zwei zündende Funken in die Seele des Professors gefallen. Offenbar ein Gegner dieser Hypothese, verfocht er seinen Standpunkt in leidenschaftlich heftiger Rede, welcher der junge Mann mit pflichtschuldiger Aufmerksamkeit folgte.

Der Herr im braunen Hut dagegen betheiligte sich weniger an den gelehrten Auseinandersetzungen. Ruhigen Schrittes wandelte er auf und ab. Er sah lange in das aufgebrochene Hünengrab; später bestieg er den Hügel und übersah die weite Ebene.

Inzwischen war die lodernde Abendröthe erblaßt und sank am Horizont in tiefvioletten Tinten zusammen; nur an dem langen dünnen Wolkenstreifen, der sich wie ein dräuender Arm über die entweihte Todtenstätte reckte, lief noch ein röthlicher Hauch hin. Der falsche Flitter eines vergänglichen Schauspiels verflog, und droben breitete sich wieder der ernste Himmel in verdunkeltem Blau. Nun trat auch die bleiche Mondsichel, dieser scheinbare Nebelfleck, den das allgemeine Gluthmeer völlig verschlungen hatte, wieder hervor und fing an, sich schwach golden zu färben.

Der Herr auf dem Hügel zog seine Uhr hervor.

„Es ist Zeit zum Aufbruch!“ rief er hinab, „Wir brauchen eine volle Stunde, ehe wir den Wagen erreichen!“

„Ja, Onkel, leider Gottes eine starkgemessene Stunde!“ antwortete der junge Mann. „Ich wollte, wir hätten dies verwünschte Haidegestrüpp bereits hinter uns,“ sagte er mit einem Blick auf seine feinbekleideten Füße mißmuthig zu dem Professor, der seine Rede unter einem nachdrücklichen „Eh, wir werden ja sehen!“ eiligst geschlossen hatte. „Müssen wir wirklich auf dem heillos schlechten Wege wieder zurück?“

„Ich weiß keinen besseren!“ versetzte achselzuckend der Gelehrte.

Der Andere ließ seine Augen finster über die weite Fläche hingleiten.

„Es ist so still, die Haide liegt
Im warmen Mittagssonnenstrahle“ –

recitirte er mit spöttischem Pathos. „Ich begreife nicht, wie man die Haide besingen kann. Mir würde der poetische Gedanke im Gehirn, das schildernde Wort im Munde erstarren. … Ist es Ihnen wirklich Ernst mit Ihrer Vorliebe für diese furchtbare Einöde, Herr Professor? Ich bitte Sie, dann zeigen Sie mir etwas Anderes, als Haide und abermals Haide, dieses entsetzliche braune Gespenst! Hören Sie auch nur einen Ton aus einer Vogelkehle? Und wohin verkriecht sich das menschliche Leben und Treiben, das doch durchaus existiren soll? Steckt es unter der Erde? … Ich kann mir nicht helfen, Ihre Haide ist das ausgestoßene Kind Gottes in brauner Kutte!“

Der Professor sagte kein Wort. Er schob nur den jungen Mann um einige Schritte seitwärts, dahin, wo die Lehne des Hügels rasch abfiel, faßte ihn an den Schultern und ließ ihn über den Hügel hinweg nach Süden sehen.

Dort lag der Dierkhof. Sein festes schweres Dach, mit der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 516. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_516.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)