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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Haidegarnitur unter jeder Ziegelreihe, hob sich stattlich inmitten vier mächtiger Eichen. Kräftige Rauchwolken, an brodelnde Töpfe auf dem wohlbesetzten Herd erinnernd, wirbelten durch die Aeste und zerflossen in der weichen Sommerluft, hoch über der schwarzweißen Frau Störchin, die, die nackten Beine im Reisernest, nachdenklich den rothen Schnabel über die helle Brust hängen ließ. Es war noch hell genug, daß man das tiefe Grün der sorgfältig gepflegten Rieselwiesen und ein schwaches Glimmen hinter der Garteneinhegung erkennen konnte – es sah aus, als sei dort ein Widerschein des farbensprühenden Abendhimmels liegen geblieben – das waren Ilse’s Lieblinge, die dickköpfigen orangegelben Ringelblumen. … Und da trabte eben auch Mieke, jedenfalls sehr satt und sehr gelangweilt, auf eigene Faust heimwärts. Sie blieb einen Augenblick dumm und faul vor dem gastlich offenen hochgewölbten Hausthor stehen und besann sich, ob sie hineingehen solle, – dies prächtige Thier vervollständigte das Bild ländlicher Wohlhabenheit.

(Fortsetzung folgt.)




Ein Jubelfest im Norden.

Mit gehobenem Muthe und frischer Kraft haben wir Deutschen die von dem aufgezwungenen Waffentanze unterbrochene Culturarbeit wieder aufgenommen, und darum wird der Jubeltag eines Geistesheroen, welcher der Welt in wenigen Wochen, am 15. August, bevorsteht, nicht gleich dem vorjährigen Beethoven’s unbeachtet verloren sein inmitten der Sorgen und Nöthe einer schweren Zeit, sondern lauten und freudigen Widerhall wecken überall, wo gebildete Menschen leben. Zwar mögen wir den zu feiernden Genius nicht auf eine Linie stellen mit unserm unvergleichlichen Meister Ludwig, auch ein Deutscher ist er nicht, ein Sohn vielmehr des uns weitabgelegenen Schottland, aber er ist ein Dichter recht von Gottes Gnaden, welchen als solchen nicht blos sein kleines nordisches Heimathsland, auch nicht Großbritannien allein, nein, den die gesammte Menschheit den Ihren nennen darf, wie sie ein Anrecht hat auf Homer und Sophokles, auf Dante und Ariost, auf Shakespeare und Cervantes, auf Goethe und Schiler. Der Poet, welchen wir meinen, trägt einen Namen unverbleichenden Glanzes – es ist Walter Scott, der noch heute unübertroffene Novellist, der eigentliche Vater des lange Zeit die Lesewelt beherrschenden historischen Romans, das Vorbild unsers Hauff, Spindler, Alexis, Storch und Anderer und der König aller Erzähler. Noch ehe sie niedergeschrieben, ja, ehe sie nur erdacht waren, legten schottische und englische Buchhändler zu Preisen, die dem deutschen Federhelden auch heute noch wie golkondische Märchen erscheinen, Beschlag auf seine Werke, und kaum hatten die Originale in Edinburgh oder London ihre Pressen verlassen, so stürzte sich das

Abbotsford, der Wohnsitz Walter Scott’s.

Corps der Uebersetzer in Deutschland, Frankreich, Italien, Holland um die Wette über sie her, sie ihren Völkern zu dolmetschen. Kein Autor, weder vor- noch nachher, ist so heißhungrig verschlungen worden, wie unser schottischer Dichter vor fünfzig Jahren, welcher lange blos „der große Unbekannte“ hieß, weil er bis über den Höhepunkt seines Ruhmes hinaus die Urheberschaft seiner Romane in geheimnißvolles Dunkel zu hüllen beflissen war. – Wie sich die Gunst der Lesewelt im Allgemeinen vom geschichtlichen Romane abgewandt hat, so sehen wir heute freilich auch die Scott’schen Dichtungen von unseren Tischen verdrängt; unsere vielbeschäftigte, hetzende und abgehetzte Zeit findet keine Ruhe und Sammlung mehr, sich der epischen Breite und Behaglichkeit hinzugeben, welche Walter Scott kennzeichnen. Unser blasirter Geschmack begehrt die pikanteren Reizmittel, mit denen uns bisher überrheinische Hypercultur und Londoner Sensations-Novellistik in unerschöpflicher Fülle versorgt haben. Andererseits sucht man im Romane mehr und mehr das psychologische Interesse, den Spiegel der eigenen Gegenwart und ihres inhaltschweren Lebens. Die Geistes- und Herzensconflicte, die Fragen und Tendenzen, die Menschen und Erscheinungen unserer Tage will man dargelegt, verkörpert, geschildert sehen, nicht Begebnisse und Persönlichkeiten, Denken und Empfinden längst verrauschter Jahrhunderte. Die Romantik und ihre Schule, der auch Scott angehört, zählt zu den vielen im Laufe der Zeit überwundenen Standpunkten, wir von der älteren Generation aber gedenken in süßer Rückerinnerung der genußvollen Stunden, welche uns der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 517. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_517.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2020)