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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


beliefen sich die Einnahmen, welche dem Dichter jährlich aus seinen Schriften zuflossen, nie unter siebenzigtausend Thalern; oftmals stiegen sie noch beträchtlich höher. Denn jeder seiner nun folgenden Romane – „Rob Roy“, „der Kerker von Edinburgh“, „die Braut von Lammermoor“, „Ivanhoe“, „das Kloster“, „der Abt“, „Kenilworth“, von denen die vier letzteren im Laufe eines einzigen Jahres entstanden – wurde immer noch höher honorirt, als der vorhergehende, und manche schon bezahlt, ehe der Dichter selbst noch einen Buchstaben daran geschrieben, ja ehe er noch eine Scene derselben ersonnen hatte. So schloß er, nach der Veröffentlichung von „Nigel’s Schicksalen“, wovon in einigen Vormittagsstunden allein siebentausend Exemplare abgesetzt wurden, mit einem Edinburgher Buchhändler den Contract ab, binnen zwei Jahren vier weitere große Romane zu schreiben, und empfing dafür im Voraus eine Summe von mehr als vierzigtausend Thalern. Der Vertrag ward getreulich erfüllt, und die gelieferten Erzählungen waren wiederum Meisterwerke, darunter die beiden an spannendem Interesse so reichen „Quentin Durward“ und „St. Ronan’s Brunnen“.

Das äußere Glück des Poeten stand auf seinem Gipfel, nachdem demselben von seinem hohen Gönner König Georg dem Vierten noch die Würde eines englischen Baronets verliehen worden war, die dem Taufnamen ihres Trägers bekanntlich das „Sir“ vorsetzt und seine Gattin zur „Lady“ erhebt. Schon lange nagte jedoch der Wurm, das Glücksgebäude zu zerstören, und es währte nicht mehr lange, so brach dieses jäh und schrecklich zusammen. Walter Scott hatte sich nämlich als stiller Theilhaber mit seinem Drucker und Verleger, einem seiner ältesten Jugendfreunde, verbunden, und als dieser in Folge der allgemeinen Geldkrisis Anfang des Jahres 1826 stürzte, war Scott selbst finanziell vollständig zu Grunde gerichtet und für eine Schuldenlast von achtmalhunderttausend Thalern mit haftbar.

Nun aber zeigte sich die ganze Seelengröße des Mannes. Er berechnete, daß, wenn er fortfahre, mit dem unermüdlichen Fleiße zu schaffen wie bisher, es ihm möglich sein werde, noch diese ganze ungeheure Summe zu tilgen. Die Gläubiger waren in der Mehrzahl hochherzig genug, Scott’s desfällige Vorschläge anzunehmen, und bis zu seinem letzten Athemzuge hat der edle Dichter kein anderes irdisches Ziel mehr im Auge gehabt, wenn es auch völlig zu erreichen ihm nicht vergönnt war. Beispiellos ist die Thätigkeit, die er fortan entwickelt. Vom Morgen bis zur Nacht schreibt er ohne Unterbrechung, in vier Tagen einmal den halben Band eines Romans; wie ein Sclave arbeitet er, seine Gläubiger zu befriedigen, obschon ihm diese nicht blos alle nur erdenkliche Rücksicht zu Theil werden lassen, sondern rührende Beweise ihrer Hochachtung und Bewunderung geben. Und wie ergreifend ist die Resignation, mit welcher der an allen Luxus des Lebens gewöhnte Dichter sein Loos ertrug! Sein schönes Haus in Edinburgh verkaufte er und miethete sich, wenn er während der Gerichtssitzungen in der Hauptstadt weilen mußte, ein einfaches, ja ärmliches Zimmer, doch auch hier war jede freie Minute der Ausführung seines ehrenhaften Vorsatzes gewidmet. Dabei lag Scott’s Gattin auf ihrem Sterbebette und siechte sein Enkel dem Tode entgegen! Das brach dem Manne das Herz, der mit so unendlicher Liebe an all den Seinigen hing, den Verlust seines Reichthums trug er mit bewundernswerther Gelassenheit.

„Die Eiche kann ihre welken Blätter nicht mit größerem Gleichmuthe fallen sehen, als ich mich von dem getrennt habe, was man wohl großen Wohlstand nennen konnte,“ zeichnet er in sein Tagebuch ein. Und trotz diesem Ueberschwange von Leid weisen die währenddem geschaffenen Werke kaum eine Spur auf von dem Seelenschmerze des Dichters. Die „Erzählungen eines Großvaters aus der schottischen Geschichte“, welche unter Anderem in dieser traurigen Periode entstanden, sind unbedingt dem Vorzüglichsten beizurechnen, womit uns seine rastlose Feder beschenkt hat. Das Buch, ein Volksbuch im besten Sinne des Wortes, fand auch eine selbst für ein Kind der Scott’schen Muse ungewöhnliche Aufnahme, und noch ehe zwei Jahre seit der Katastrophe abgelaufen waren, hatten bereits mehr als dreimalhunderttausend Thaler von der Schuld des Poeten abgetragen werden können, so daß die Gläubiger sich veranlaßt sahen, Scott ihren Dank auszusprechen für seinen ihrem Interesse gewidmeten Eifer. Wie unermüdlich Walter Scott arbeitete, aber auch wie außerordentlich groß seine Arbeitskraft war, mag den in dergleichen Dingen Erfahrenen die Thatsache bezeugen, daß er manchen Morgen schon bis zum Mittagsessen vierzig Druckseiten niederschrieb. So brachte er die herrliche Erzählung „das schöne Mädchen von Perth“, welche Goethe in seinen Gesprächen mit Eckermann für einen der vortrefflichsten Romane erklärt, den er jemals gelesen, in den beiden ersten Monaten des Jahres 1828 zu Stande. Und neben all diesen schöpferischen Arbeiten redigirte er noch eine Gesammtausgabe seiner Werke, voll welchen im Durchschnitt monatlich fünfunddreißigtausend Bände verkauft wurden!

Auf die Dauer freilich ließ sich eine solche übermäßige Anstrengung nicht aushalten, und so sehen wir unsern Dichter in den letzten achtzehn Monaten seines Lebens körperlich und leider auch geistig zusammenbrechen, nachdem ein schmerzhaftes Magenübel schon früher seine Gesundheit geschwächt hatte. Eine auf den Rath der Aerzte unternommene Reise nach Italien vermochte keine Heilung mehr zu bringen; ein Sterbender kehrte der Kranke nach England heim, und am einundzwanzigsten September 1832 schloß er seine müden Augen im Beisein aller seiner Kinder, von denen die zweite, unvermählt gebliebene Tochter Anna seine treue Pflegerin gewesen war. Mit ihm verlor die Erde einen der edelsten Bürger, welchen sie jemals getragen hat. Die ganze gebildete Welt klagte um ihren unvergeßlichen Walter Scott, und als man seine sterblichen Ueberreste an einem milden Herbstnachmittage zur letzten Ruhestatt in der Abtei von Dryburgh trug, der Erbgruft der Scott, wo fünf Jahre früher schon seine Gattin ihren Schlummerplatz gefunden hatte, folgten ein unabsehbarer Wagenzug und Tausende von Menschen der Leiche, und in den Ortschaften, durch die sich das Trauergeleite bewegte, stand Alt und Jung mit entblößtem Haupte vor den Thüren der Häuser, dem geliebten Sheriff die letzten Ehren zu erweisen. Alle waren von Schmerz ergriffen, Viele schluchzten laut, denn der Verstorbene war nicht blos ein großer, er war auch ein guter Mensch gewesen ein treuer Freund des Volkes, wenn auch kein Demokrat in der modernen Bedeutung des Wortes, sondern Royalist vom Scheitel bis zur Zehe und unerschütterlicher Tory.

Die äußere Gestalt des unsterblichen Dichters ist uns durch verschiedene Bildnisse und Büsten erhalten. Das vorzüglichste Portrait, welches wir von ihm besitzen, verdanken wir dem berühmten englischen Maler Sir Thomas Lawrence. Es zeigt uns ein frisches rundliches Gesicht – eher das Gesicht eines behäbigen Landjunkers als eines genialen Dichters – mit röthlichem Backenbart, während in auffälligem Contrast damit den Kopf schon graues Haar umkränzt; die Beweglichkeit seiner Züge aber, welche auch die leiseste Empfindung, die seine Brust erregte, mit der unverkennbarsten Wahrheit widerspiegelten, den wunderbaren Glanz seiner Augen und das hinreißende Lächeln, welches seine vollen Lippen umspielte, wenn er einer Rede lauschte, die sein Interesse in Anspruch nahm, oder eine der Hunderte von Anekdoten erzählte, „von denen er beständig überströmte“ – das hat auch der Pinsel eines Lawrence nicht wiederzugeben vermocht, viel weniger noch das Marmorstandbild in der Princes’ Street zu Edinburgh, welches der Mittelpunkt sein wird für das in wenigen Wochen heraufziehende große „Jubelfest im Norden“, zu dem diese Mittheilungen ihr bescheidenes Scherflein beisteuern wollen – denn Walter Scott war auch „unser“.

S.




Das Pfälzer Potsdam.
(Schluß.)


„Da hängt vor mir das Bild meiner Großmutter,“ schreibt mein wackerer Gewährsmann. „Die liebe alte Frau in der blüthenweißen gestreiften Nebelkappe, die ihr einziger Luxusartikel war, mit dem alten Schmolke in den Händen, der sie durch so manche Trübsal der Pirmasenzer Nothjahre treu begleitet hatte und deshalb trotz der soliden Messingbeschläge sein hohes Alter ebensowenig verleugnen konnte, als die achtzigjährige Matrone selbst. Dieses theure Bild, das mir die liebe Aeltermutter so lebhaft vor

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 537. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_537.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)