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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

flog und rasselnd auf die Steine niederschlug, dann ein zweites, ein drittes, und so schritt sie auf dem Fleet hin und her – ich mußte an das grausame Spiel der Katze mit der Maus denken. … Und wie grauenhaft rasch wechselte das Mienenspiel auf dem roth überflammten Gesicht! Man sah, sie stieß das Geld voll Ingrimm und Abscheu von sich, und doch, sobald es wirbelnd niederfiel, lauschte sie vorgestreckte Halses mit unverkennbarer Lust, ja mit einer Art von Begierde, dem hellen Silberklang, bis die letzte leiseste Schwingung erloschen war.

Ich rührte mich nicht von der Stelle und wagte kaum zu athmen; Spitz, der sonst so rauflustige Spitz, schlich mit eingeklemmtem Schwanz vom Herde weg und drückte sich dicht neben Heinz, der regungslos, wie festgemauert auf seinem Platze verharrte, und seine todesängstlichen Augen huschte einige Mal nach mir hinüber. … Ach, Ilse – wo blieb sie nur? … Sie war die Einzige, die Macht über meine Großmutter hatte. Hörte sie denn den Lärm gar nicht, der so unheimlich und nervenerschütternd gegen die alten Balken des Dierkhofes schlug?

Das Klingen und Springen der Silberstücke dauerte fort. Die alte Frau schien nicht mehr zu wissen, daß zwei Menschen wie Bildsäulen in ihrer Nähe standen. Sie rannte immer leidenschaftlicher auf und ab und flüsterte und gesticulirte nach etwas Unsichtbarem hin. … Da auf einmal fuhr es wie ein Ruck durch ihre Glieder; sie kam eben am Eßtisch vorüber und blieb förmlich versteinert stehen, während ihre Augen minutenlang seitwärts auf die Tischecke niederstierten – da lag der unglückselige Brief, der nach dem ausdrücklichen Befehl meines Vaters ihr nie zu Gesicht kommen sollte.

„An Frau Räthin von Sassen!“ unterbrach sie endlich das tödtliche Schweigen und strich sich tiefaufseufzend mit der Hand über die Stirn. „Frau Räthin von Sassen! Das war ich – ich!“

Ich kämpfte mit mir selber, ob ich hinzuspringen und ihr den Brief entreißen solle, auf den sie eben die Hand legte. Aber was war ich schwaches zerbrechliches Geschöpf unter den Händen dieser Frau! Sie hätte mich ohne Weiteres zurückgeschleudert und den Besitz des verhängnißvollen Papieres erst recht behauptet. Ich machte Heinz die beredtesten Zeichen – er sah mich völlig verständnißlos an, und da geschah auch schon das Gefürchtete – meine Großmutter zog den Brief aus dem Couvert.

„Laß ’mal sehen!“ sagte sie, indem sie langsam das Blatt entfaltete.

Sie las nicht, ihr Blick fiel nur auf die Unterschrift – was mußte es wohl für ein Name sein, der eine solche Wirkung haben konnte? … Mit einem Wuthschrei zermalmte die alte Frau sofort den Brief zwischen den Fingern. „Deine Christine!“ lachte sie gellend auf, schleuderte den gestaltlosen Papierklumpen weit in die Tenne hinein und lief mit einer wildabwehrenden Bewegung in ihr Zimmer zurück – gleich darauf kreischte drinnen der vorgeschobene Riegel.

Ilse, die eben mit einem Korb voll Torfstücken aus dem Hofe kam, blieb erstaunt auf der Schwelle stehen.

„War das nicht die Großmutter?“ fragte sie halb erschrocken, halb ungläubig. Die Thür, die da eben krachend zuschlug, wurde ja nie benutzt – Schloß und Riegel mußten längst eingerostet sein.

Mir schlugen die Zähne wie im Fieber zusammen aber ich fühlte mich doch gleichsam erlöst und erzählte ihr flüsternd und athemlos den Vorgang. Ich sah wohl, wie sie zusammenschrak und sich verfärbte; aber Ilse hätte nicht Ilse sein müssen – sie sagte kein Wort, stellte ihren Korb neben den Herd und fing an, die Torfstücke auszupacken und symmetrisch aufeinanderzulegen; nur als Heinz herantrat, hob sie den Kopf – sein heiliger Respect vor den scharfen Augen war sehr begründet, sie hefteten sich vernichtend auf sein schreckerfülltes Gesicht.

„Bist ja ein Mordkerl, Heinz!“ sagte sie. „Hab’ jahrelang gesorgt, daß nicht einmal Groschengeld auf den Dierkhof gekommen ist, und jetzt macht solch ein Politikus das nette Kunststückchen und wirft mir eine ganze Handvoll Silberthaler auf die Steine! … Ei je, die Vierzig auf dem Rücken und keine Ueberlegung!“

Mir traten die Thränen in die Augen. Trotz meiner wahrheitsgetreuen Schilderung und meiner Selbstanklage bekam Heinz die Schelte, und er ließ Alles geduldig über sich ergehen, er widersprach mit keinem Wort. Ich schlug meine Arme um ihn und drückte das Gesicht in den Aermel seines alten Drellrockes.

„Ja, tröste ihn nur, Deinen Heinz! – Das hält eben immer wie die Kletten zusammen!“ sagte Ilse, aber schon war alle Schärfe aus Blick und Ton verschwunden.

Sie nahm die Lampe vom Tisch und schritt die Tenne hinab, um den Papierknäuel zu suchen, aber so viel sie auch umherleuchten mochte, er fand sich nicht.

Bis dahin hatte ich in dem Zimmer meiner Großmutter nur selten eine Lebensäußerung gehört, vielleicht nur nicht beachtet; ich mied ja auch stets instinctmäßig die nächste Umgebung desselben; jetzt drang das Murmeln einer leidenschaftlich erregten, rauhen Stimme, von Stöhnen und tiefem Aufseufzen unterbrochen, durch das teppichverhangene Fenster.

„Sie betet,“ flüsterte Heinz mir zu.

Aber dies Gebet wurde nicht knieend verrichtet. Sie ging mit so wuchtigen Schritten drinnen auf und ab, daß der Teppich hinter den Glasscheiben leise schwankte und der Boden hier draußen unter unseren Füßen nachschütterte.

„Gebt Licht herein!“ schrie sie plötzlich angstvoll auf.

„Licht?“ wiederholte Ilse. „Ich habe ja die Lampen hineingestellt.“ Sie lief nach dem engen Gang, der, an der östlichen tiefen Seite der Wohnräume hinlaufend, nach dem Garten mündete, und in welchem sich die Hauptthür des Zimmers befand.

Nicht lange darauf kam sie scheinbar beruhigt zurück. Darauf aber rasselte fast in demselben Augenblick der Pumpbrunnen, und man hörte den Wasserstrom zischend in den Trog stürzen.

„Es ist ihr schwarz vor den Augen geworden,“ antwortete Ilse kurz auf meine ängstlichen Fragen. „Das wird wieder einmal eine schöne Nacht werden!“ murmelte sie sorgenvoll vor sich hin, während sie das Geschirr vom Eßtisch wegräumte. Und das Kästchen mit den Papieren in das Wohnzimmer zurücktrug.

Also hatte sie öfter schlimme Nächte mit meiner Großmutter zu überstehen! Das war eine unheimliche Neuigkeit für mich; mein gesunder, glücklicher Schlaf hatte mich nie ahnen lassen, daß nächtlicher Weile irgend etwas im Hause vorgehe. Nun erinnerte ich mich freilich, daß ich Ilse schon gar oft des Morgens niedergeschlagen und erschöpft gefunden hatte; aber da waren stets ihre Kopfschmerzen, an denen sie häufig litt, schuld gewesen.

Ich verschränkte die Arme auf dem Tisch und legte den Kopf darauf; mir war so bang und beklommen zu Muthe, als müsse mit der Nacht draußen auch Schlimmes über den Dierkhof hereinbrechen. Fast mechanisch horchte ich auf Heinzens Schritte, der noch einmal die Runde um das Haus machte; er vermied wohlweislich den Baumhof, denn wenn auch der Schwengel des Pumpbrunnens augenblicklich ruhte, so hielt sich doch meine Großmutter jedenfalls noch dort auf. Da, wo die Umhegung des Baumhofes als scharfe Ecke in die Haide hineinschnitt, stand sie oft stundenlang und starrte in die unermeßliche Weite hinaus.

„Geh’ in Dein Bett, Kind, Du bist müde!“ sagte Ilse und strich mir mit der Hand über den Scheitel.

Ich war bis dahin, kraft meiner glücklichen Unbefangenheit, das indolenteste, eigennützigste Geschöpf der Welt gewesen – das fühlte ich tief in diesem Augenblick.

„Nein, ich gehe nicht schlafen,“ sagte ich und versuchte einen festen Ton anzuschlagen. „Ilse, ich bin heute siebzehn Jahre alt geworden, und nun groß und stark genug – ich lasse mich nicht mehr in’s Bett schicken, während Dir die Großmutter so schwer zu schaffen macht!“

Ich war aufgesprungen und stellte mich neben sie hin.

„So, das hätte mir gefehlt, daß Du mir auch noch im Wege herumstündest!“ entgegnete sie trocken; sie sah seitwärts auf mich nieder. „Hm ja, nun weiß ich doch auch, wie ein großes und starkes Frauenzimmer aussieht! Es reicht mit dem Kopf gerade über den Eßtisch und piept in die Welt hinein, wie ein Küchelchen, das eben aus dem Ei gekrochen ist –“

„Ilse, solch ein armseliges Ding bin ich doch nicht!“ unterbrach ich sie empört, aber auch kleinlaut – sie übertrieb ja nie.

„Uebrigens weiß ich gar nicht, was Du willst!“ fuhr sie unbeirrt fort. „Lächerlich! Die Großmutter steht ruhig draußen im Baumhof und wird in einer Stunde so fest schlafen, wie wir Alle. Aber das will ich Dir sagen, es regt sie stets auf, wenn sie das Licht zu lange auf dem Fleet brennen sieht.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 547. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_547.jpg&oldid=- (Version vom 1.3.2018)