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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


bezahlt, so kann man der Welt vorspiegeln, eine fashionable Kalesche zu besitzen. Für diese Summe stellen nämlich die Equipagenvermiether großen Stils Jedermann ein Fuhrwerk sammt Pferden, Lakaien und Kutscher zur Verfügung. Die Bediensteten tragen die Livree desselben; die Wagenthüren prangen im Schmucke seines Familienwappens; kurz es sieht ganz so aus, als gehöre das Gespann ihm zu eigen, und er spart noch Geld dabei. Diese Fuhrwerke sind weit zahlreicher, als der unerfahrene Neuling glauben möchte. Von den glänzenden Kaleschen, die in normalen Zeiten so massenhaft die große Avenue der Elyseischen Felder beleben, gehören mehr als zwei Drittel in die Kategorie der „Miethswagen“. Der Kenner läßt sich freilich durch den äußern Prunk der Coupés ebenso wenig täuschen als durch die Zierlichkeit der Pferde und das Gold der Livreen. Es wohnt der äußeren Erscheinung der „voitures en location“ ein Zug von Banalität inne, der eher zu empfinden als zu definiren ist. Ihre Form ist stets dieselbe, und schon an dem monotonen, schulmäßigen Trab der Pferde erkennt der feine Beobachter, weß Geistes Kind sie sind.

Geht man im Sommer auf ein paar Monate in’s Bad, so wird die Miethe natürlich sistirt. Auch das ist ein Vortheil, der vom ökonomischen Standpunkte nicht zu unterschätzen ist.

Auf der dritten Stufe der Leiter stehen die sogenannten Remisewagen. Sie sind etwas weniger luxuriös, als die vorigen, und werden nur für eine einzelne Fahrt gemiethet. Leute, die sich der schlichten Droschke schämen, heruntergekommene Flaneurs, die für wohlhabend gelten möchten, weil sie eine rettende Partie in petto haben, Söhne aus altadligen Familien, die zwar ein hellleuchtendes Wappen, aber keine überflüssigen Banknoten besitzen, nervöse Damen, die das unsanftere Rütteln des ordinären Fiakers nicht vertragen können, kleine Bourgeois, die mit geringen Mitteln den großen Herrn „herausbeißen“ wollen, das sind die Clienten der Remisewagen. Seitdem diese Fuhrwerke indeß von Polizei wegen ihre fortlaufenden Nummern tragen müssen, ganz wie die gemeine Straßendroschke, – seitdem hat der Zuspruch, dessen sie sich erfreuten, um einen beträchtlichen Procentsatz abgenommen.

Man hat, beiläufig gesagt, constatirt, daß solche Personen, welche eigne Equipagen besitzen, im Nothfalle nie einen Remisewagen, sondern stets einen Fiaker besteigen, und zwar mit Vorliebe den schlechtesten und unscheinbarsten. Der Banquier der Rue Lafitte würde befürchten, man könnte den Remisewagen für sein Privatfuhrwerk halten, eine Verwechslung, die dem Rufe seines eleganten Hauses nachtheilig werden möchte. Die gewöhnliche Droschke ist dagegen zu kenntlich, um zu Mißverständnissen Anlaß zu geben.

Die Kutscher der Remisewagen sind genau so costümirt, wie die der „voitures en location“.

Wir steigen abermals eine Stufe abwärts. Wir befinden uns im weiten Reiche der „voitures de place,“ der Platzkutschen, wie die Pariser Fiaker amtlich benannt werden.

Die Seinestadt zählte vor den Ereignissen des Jahres 1870 bis 1871 mehr als zwölftausend dieser Allerweltsfuhrwerke. Gegenwärtig ist diese Summe nicht unbeträchtlich vermindert; die Differenz wird sich indeß zweifelsohne binnen kurzer Frist wieder ausgleichen. Die Pariser Droschken vermiethen sich, wie die Remisewagen, auf einzelne Fahrten, und zwar entweder behufs der Zurücklegung einer bestimmten Strecke, – course – oder nach der Zeit, – à l’heure.

Die wesentlichen Merkmale einer Voiture de Place bestehen in einem mehr oder minder jämmerlichen Pferde und einem mehr oder minder groben Kutscher. Der Droschkengaul fällt mehr, als er trabt. Kopf und Hals begleiten die Bewegungen seiner Vorderbeine mit jener gutmüthig-komischen Regelmäßigkeit, mit welcher das Genick eines enragirten Violoncellisten die Streichmanöver des Bogens accompagnirt. Der Droschkengaul hebt den Huf nie höher als anderthalb Centimeter, Stolpern ist sein tägliches Brod, Stürzen sein unvermeidliches Verhängniß. Fast bei jedem Spaziergang über die Boulevards oder die Rue Richelieu kann man eine lebhaft gesticulirende Menschenmenge beobachten, die sich um einen solchen gefallnen Dulder schaart.

Der Droschkenkutscher zeichnet sich seinerseits, wie bereits angedeutet, durch eine fulminante Grobheit aus. Er ist mit seltenen Ausnahmen den Spirituosen in gesundheitswidrigem Grade ergeben und beansprucht auf jeden Franken der Fahrtaxe zwanzig Centimes Trinkgeld. Sind die sogenannten Droschkenstände in einem gegebenen Augenblicke besonders reichlich assortirt, so läßt sich der Droschkenkutscher herab, Dir sein Fuhrwerk anzubieten. Ist er dagegen der Einzige auf dem Stande, so schlägt er mit vornehmer Nachlässigkeit die Arme übereinander, wirft die Lippen auf und mustert die Welt mit einem herausfordernden Blicke. Seine süffisante Haltung scheint das Publicum darauf aufmerksam machen zu sollen, daß von ihm, dem souveränen Wagenlenker, das Gelingen jener hunderttausend Pläne abhängt, die tagtäglich das große Hirn der Weltstadt durchkreuzen. Weigert der Droschkenkutscher seine Dienste, so kommt der Geschäftsmann zu spät zur Börse und verliert Tausende; der Geliebte versäumt das Rendez-vous mit der Geliebten und verliert ein tugendreiches Herz; der Schwindler erreicht nicht mehr den Bahnzug, der ihn aus der Machtsphäre der Polizeipräfectur in die Regionen der Freiheit befördern soll, und wird festgenommen. Mit einem Worte, der Kutscher der voiture de place ist eine hochwichtige Persönlichkeit, und Niemand fühlt sich von dieser Thatsache lebhafter durchdrungen, als er selber.

Die Clienten der Droschke rekrutiren sich, wie aus dem Vorstehenden erhellt, aus den verschiedenartigsten Elementen. So ziemlich alle Berufsclassen zollen der voiture de place ihren Tribut; nur der völlig Mittellose gehört zu ihren principiellen Gegnern.

Aber auch für ihn ist gesorgt! Verfügt er auch nur über drei Sous, so braucht er die endlosen Asphalttrottoirs der Riesenstadt nicht zu Fuße abzulaufen. Ihm winkt das Verdeck der Omnibusse mit einem freilich harten und unbequemen, aber doch zweckdienlichen Sitze. Für fünfzehn Centimes befördert man ihn meilenweit, und überdies hat er bei dieser luftigen Fahrt die nicht zu unterschätzende Gelegenheit, das rauschende Treiben des Pariser Straßenlebens aus der Vogelperspective zu betrachten!

Gegenwärtig durchschneiden nahezu vierzig Omnibuslinien die Stadt nach allen Richtungen. Auf jeder dieser Linien geht von fünf zu fünf Minuten ein Wagen, der im Innern vierzehn, auf dem Verdeck – („sur l’impériale“, wie das Publicum, „en l’air“, wie die Conducteure sagen) zwölf Plätze aufweist. Die Innenplätze sind doppelt so theuer, als die der Impériale.

Ein charakteristisches äußeres Merkmal der Pariser Omnibusse sind die ausgezeichneten Pferde. Diese unermüdlichen Thiere, – feurige, stämmige Normannen, ebenso muskulös als sicher und gutgeschult – schleppen die Centnerlasten der stets vollgepfropften Kolosse mit einer Leichtigkeit und Schnelle über das Pflaster hin, als sei ihnen die ganze Arbeit eher eine Erholung denn eine Anstrengung. An den Haltestellen sind sie kaum zu bändigen; schnaubend und wiehernd knirschen sie in’s Gebiß, es scheint ihnen erst wieder wohl zu sein, wenn sie zutraben dürfen. Weit, weit bleibt hinter dem lustig dahinrollenden Omnibus die träge Droschke, ja selbst der elegantere Miethswagen zurück; nur die Vollbluthengste der Millionäre vermögen mit den Rennern der Normandie gleichen Schritt zu halten.

Die Omnibuskutscher sind durchweg ordentliche, zuverlässige, nüchterne Leute. Auf zwanzig Unfälle, die dem Droschkenpublicum passiren, kommt kaum ein Omnibusunfall.

Die Pariser Omnibusse besitzen die höchst praktische Einrichtung der Correspondance. Gegen ein gratis verabfolgtes Billet kann der Passagier auf der einen Linie aussteigen und auf jeder beliebigen anderen Linie seine Fahrt fortsetzen, ohne eine weitere Taxe zu erlegen. Auf diese Weise ist fast jeder Punkt der Hauptstadt von jedem Punkte aus zu erreichen, – eine Bequemlichkeit, die wesentlich zu dem glänzenden Erfolg des Unternehmens beigetragen hat. Wäre der Passagier genöthigt, einen Theil seines Weges zu Fuße zurückzulegen, wie dies noch vielfach in deutschen Städten der Fall ist, so würden zahlreiche Personen, die sich unter den gegenwärtigen Verhältnissen der Omnibusse bedienen, zu der allerdings theureren Droschke greifen, die den Fahrgast aber doch direct bis an sein Ziel befördert.

Eine Fahrt in einem dieser gewaltigen Rollkasten ist ebenso unterhaltend als belehrend. Ich kenne mehr als einen müßigen Rentier, der nur zum Zeitvertreib die Linie Madeleine-Bastille oder die von Clichy nach dem Odéon (und umgekehrt) zwei, drei Mal des Tages abfährt, und sich Abends seelenvergnügt und in dem erhebenden Bewußtsein zu Bette legt, sich köstlich amüsirt zu haben. Andere, weniger harmlose Individuen suchen im Omnibus

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 551. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_551.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)