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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


ritterlicher Weise. Konnte doch eine so glänzende Erscheinung, wie die Herzogin von Dino – damals führte sie noch diesen Titel und nannte sich erst später nach der von den beiden älteren Schwestern erworbenen Besitzung Sagan – nicht ohne großes Aufsehen durch die Welt der Gesellschaft gehen; sie stand in der Blüthe der Schönheit, war voll Geist und Phantasie und besaß Rang und Reichthum. Man betrachtete sie wie ein Meteor, und die Bewunderung war anfangs noch größer als der Neid. In Paris wurde sie ebenso gefeiert, als in Berlin, der Hof der Bourbonen hatte ihr die Sympathien ihrer Mutter für Napoleon vergeben, obwohl sie selbst dieselben getheilt und sogar ihren Erstgeborenen Napoleon Ludwig taufen ließ. Der berühmte schlaue Oheim ihres Gemahls, Fürst Talleyrand, verstand meisterhaft die Kunst, alle politischen Systeme zu seinem Nutzen zu beherrschen, was ihr zu Gute kam. Er liebte diese Nichte überhaupt sehr und ernannte sie zur Universalerbin seines kolossalen Vermögens, seinen eigenen Neffen, ihren Gemahl, dabei übergehend. Es ist bekannt, wie groß seine Schwärmerei für den Zauber der Weiblichkeit war. Frau von Staël und Julie Recamier sind von ihm glühend bewundert worden, doch hat er, wie Goethe, vorgezogen, eine Haushälterin zu heirathen, wobei er das brutale Wort gesagt hat: „Man muß einen Geist wie Frau von Staël geliebt haben, um das Vergnügen zu begreifen, eine Gans lieben zu können.“ Man erzählte sich die lächerlichsten Verlegenheiten, die ihm letztere in geselliger Hinsicht bereitete. Es ist deshalb sehr erklärlich, daß er sich doch wieder nach einem Geist sehnte und seine schöne geistreiche Nichte zum Ideal seines alten Herzens machte.

Im Jahre 1844 wurde Dorothea Herzogin von Sagan; sie vergaß jedoch nie, ihren Titeln auch den herzoglichen von Kurland beizufügen. Der glänzendste Hofstaat wurde in Sagan errichtet, und das Schloß wurde nie leer von hohen und berühmten Gästen. Das merkwürdige Gebäude ist theilweise noch von Wallenstein erbaut worden, theilweise vom Fürsten Lobkowitz. Der Herzog Peter von Kurland hat den Bau vollendet und seine Töchter haben ihn so prachtvoll und kunstsinnig ausgeschmückt, daß er eine Monographie verdiente.

Obwohl schon im fünfzigsten Jahre um diese Zeit stehend, war Dorothea von Sagan noch eine berühmte Schönheit; ein boshafter Schriftsteller nannte sie zwar ein schönes „Kunstwerk“ und verglich sie bald mit einem weiblichen Ulysses, bald mit einer Circe. Es war A. von Sternberg, dessen Urtheil in diesem Falle jedoch nicht ganz glaubhaft ist, weil er die Herzogin persönlich haßte in Folge einer Abweisung, die sie ihm allerdings sehr rücksichtslos hatte zugehen lassen. Was das „Kunstwerk“ betrifft, so war der Glaube freilich allgemein verbreitet, daß die wohlerhaltene seltene Schönheit der Herzogin auf künstlichen Mitteln beruhe. Man erzählte sich die unglaublichsten Fabeln davon; es sollte ein Mechanismus existiren, womit sie die Stirnhaut glatt ziehen lasse, und der Hals nebst Büste sollte aus einer Pariser Fabrik weiblicher Reize verschrieben sein, unter einem kostbaren Perlenhalsband sei der Ansatz verborgen hieß es. Die Herzogin hatte davon gehört und machte sich den Scherz, einmal bei einer großen Festlichkeit, wo viele Zuschauer versammelt waren, das besagte Perlenhalsband zu lösen, so daß es mit Geräusch zu Boden fiel. Das Publicum blickte mit der sichtbarsten Spannung nach ihr hin und war fest überzeugt, der künstliche Halsapparat würde nun auch abfallen. Man wartete jedoch vergeblich darauf, denn die Herzogin besaß diese Reize in natürlicher Fülle, sie bedurfte durchaus keiner künstlichen Nachhülfe. Ihre Gestalt war wie aus fleischgewordenem Marmor gemeißelt, blendend weiß und fest rundeten sich ihre Formen. Die Magerkeit ihrer Jugend hatte sich gänzlich verloren, ohne in die Fettleibigkeit überzugehen, die allerdings bei älteren Frauen häufig ist. Ihr Haar war noch glänzend schwarz und ihre Zähne glänzend weiß, weil sie die Pflege der Schönheit verstanden hatte, nicht weil sie künstliche Mittel anwendete. Ihr regelmäßiger Gesichtsschnitt, der bezaubernde wechselvolle Ausdruck ihres Mienenspiels und ihre herrliche Haltung machten ihre Erscheinung zu einer wahrhaft überraschenden. Als wir sie bei einer Hoffestlichkeit erblickten, trug sie einen weißen Hermelinmantel über Purpursammet geworfen und sah vollkommen aus wie ein stolzes Frauenbild von Paul Veronese gemalt.

Ziemlich um dieselbe Zeit wurde zuerst sehr viel über ihr Verhältniß zu dem Fürsten Felix Lichnowsky gesprochen. Sie war fast zwanzig Jahre älter als er und bereits Großmutter, als sie ihn kennen lernte. Darum schien der Traum des Frauenherzens, eine ideale Männerfreundschaft, für den sich Georges Sand einst begeisterte, auch der Herzogin Dorothea durch den Fürsten Felix in Erfüllung gegangen zu sein. Er erschien ihr zuerst im Lichte der Romantik durch seine Abenteuer in Portugal und in Spanien, zu denen ihn sein Jugendmuth und Thatendrang getrieben hatte. Er glich einem fahrenden Ritter des Mittelalters; Kreuzzüge und Turnier, Frauendienst und Minnegesang würden ihn glücklich und berühmt gemacht haben. Wie wenig ahnte er, daß er, der nach Kränzen von Lorbeeren und Myrthen sich sehnte, dereinst eine Märtyrerkrone auf seiner schönen jungen Stirn tragen würde! Er hatte dem Tode oft genug in’s Auge gesehen auf seinen kriegerischen Streifzügen, sogar einst einem ähnlichen schrecklichen, wie er ihn später wirklich erleiden mußte.

Die Anziehungskraft seiner Persönlichkeit wurde durch große körperliche Schönheit und ein lebhaftes keckes Benehmen unterstützt; er sprudelte von Geist und Witz, liebte es aber auch, Paradoxen zu vertheidigen und seine Gegner zu erbittern durch scharfe verletzende Worte. So hat er sich ebenfalls die Feindschaft Sternberg’s zugezogen, obwohl derselbe eigentlich ein Gesinnungsgenosse von ihm war und auch sonst manche Aehnlichkeit mit ihm besaß. Sternberg galt auch für einen schönen Mann und hatte ebensoviel Anlage zum Abenteurer als der Fürst Felix. Es ist also wohl wahrscheinlich, daß eine Art von neidischer Nebenbuhlerschaft Sternberg’s Urtheil über denselben dictirt hat. Er sagt ziemlich derb:

„Wenn man zur Gräfin Hahn-Hahn kam, fand man immer den unerträglichen Flegel, den Fürsten Lichnowsky dort, der der wahre Gegensatz zu dem Freunde der Gräfin, dem stillen bescheidenen anspruchlosen Bistram war. Dieser herumtreibende Fürst strebte danach, in die Mäuler der Leute zu kommen, und wußte dazu kein geeigneteres Mittel, als auf eine Weise unverschämt und tolldreist zu sein, daß Männer kaum anders mit ihm zu verkehren wußten als mit der Degenspitze oder dem Pistolenlauf, Frauen kein anderes Mittel hatten ihn fern zu halten, als ewig verschlossene Thüren und abweisende Diener, die er jedoch oft über den Haufen warf und doch eindrang. Dabei hatte er kein übles Aussehen, man konnte ihn sogar, wenn er sich ruhig verhielt und nicht sprach, für einen sanften Jüngling halten, der eine kokette Toilette gemacht hatte. Aber sowie er die Lippen öffnete, verschwand dieser Reiz und die personificirte Unverschämtheit kam zu Tage. Frech und zügellos in jedem seiner Worte, war er es ebenso in jeder Miene und Bewegung. Alles, was nur vornehme und nicht vornehme Laster heißt, hatte er seinem jungen Körper zugemuthet und war dennoch leidlich davongekommen. Nicht so gut war es seinem Beutel ergangen, der bis auf das letzte Goldstück geleert war. Er wurde für seine Gläubiger eine sehr anziehende Person, bis die bekannte befreiende Gottheit für ihn auftrat.“

Mit diesen Worten haben wir so ziemlich die Quintessenz der Verurtheilungen gegeben, die Fürst Felix damals von vielen Seiten zu erfahren gewohnt war.

Daß die Herzogin von Sagan die „befreiende Gottheit“ für den Fürsten Felix geworden war, soll übrigens nicht in Abrede gestellt werden. Seine Schulden hat sie allerdings bezahlt; er gab ihr jedoch dafür sein herrliches Allodialbesitzthum Schloß Grätz bei Troppau in Oberschlesien. Es war sein Lieblingsaufenthalt und er kehrte nach allen Vergnügungsreisen immer wieder dahin zurück; auch als es der Herzogin gehörte, liebte er es, dort alle Schätze aufzuhäufen, die er mit großem Kunstfleiß sammelte. Er hatte ein vollständiges Museum in den Schloßräumen angelegt; der merkwürdigste Inhalt desselben ist jetzt aber die Sammlung von Reliquien seines Todes!

Wir hatten einstmals in Baden-Baden den Fürsten Felix in einer heitern Gesellschaft getroffen; ihm schien das Glück sein sonnigstes Lächeln zu spenden; er überstrahlte alle Cavaliere an Schönheit, Kraft und Liebenswürdigkeit; sie und alle Damen, die aus dem altfranzösischen Ritterroman der Rose entnommen zu sein schienen, schwärmten für ihn. Trotzdem seines Herzens sicher, ruhten die schönen Augen der Herzogin von Sagan, mit Befriedigung auf seinem Antlitze, das sobald im Todeskampfe zucken sollte. Es wird uns ein unvergeßlicher Abend sein; der Mondschein lag wie geschmolzenes Silber über der alten Schloßruine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 558. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_558.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)