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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


gehalten werden, die hierfür, wie überhaupt für die ihr zur Lagerung im allgemeinen Lagerschuppen übergebenen Waaren, Niederlagsscheine nach Art der englischen „Warrants“ ausgiebt. Die Commandit-Gesellschaft Julius Horwitz belehnt bereits diese Niederlagsscheine ohne alle Formalitäten und die Hamburger Banken sollen auch dem Vernehmen nach dergleichen Geschäfte in gleicher Weise wie genannte Firma gern acceptiren, eine Einrichtung, die besonders dem deutschen Zucker- und Spritgeschäfte große Erleichterungen gewähren wird. Der deutsche Industrielle nimmt lieber von einer großen Commandit-Gesellschaft oder von der Bank einer Welthandelsstadt Vorschüsse auf seine Erzeugnisse, als von einer Provinzialbank, in deren Vorstand vielleicht seine Concurrenten Sitz und Stimme haben und auf diese Weise gewissermaßen Einsicht in seine pecuniären Verhältnisse erhalten. Welcher Vortheil für den Spinnerei- oder Webereibesitzer, wenn er bei günstigen Zeitverhältnissen große Einkäufe von Baumwolle machen, sie hier lagern und den Werth der Waare sofort wieder auf „Warrants“ entnehmen kann, um später nach Belieben über den Vorrath zu disponiren! Mit einem Minimum von angelegtem Capital kann er sich seinen Bedarf an Rohmaterial für Jahre hinaus sichern.

Wir hoffen in obigem kurzen Abriß unseren Lesern einen ungefähren Begriff von der Bedeutung der Zollvereinsniederlage Hamburg für das gesammte deutsche Verkehrsgebiet gegeben zu haben. Und wie groß diese ist, dafür spricht schon der Umstand, daß sich gleich in der ersten Zeit nach der Eröffnung (Mai 1870) weit über hundert Firmen als Miether meldeten, zu denen inzwischen noch innerhalb der kurzen Zeit des Bestehens des Etablissements, trotz der Kriegswirren, noch etwa sechzig hinzugetreten sind. Die vom Freihafengebiet umgebene Insel des Zollvereins wird von diesen Ansiedlern mit dem regsten Leben und Treiben erfüllt. Das Comptoirpersonal von verhältnißmäßig so zahlreichen Firmen, die hierher kommenden Käufer, die Hunderte von Arbeitern und Arbeiterinnen, welche theils in den Magazinen, theils in den verschiedenen Fabriken beschäftigt sind, prägen durch den stets lebendigen Verkehr dem Etablissement einen ganz eigenthümlichen Charakter auf, der von demjenigen der übrigen, ganz anders organisirten Niederlagen im Zollverein durchaus verschieden ist.

Innerhalb dieses in nächster Nähe des bekannten Hamburger Zoologischen Gartens belegenen neuen kleinen Stadttheils, der vom Mittelpunkte der inneren Stadt, der Börse, nur etwa fünfzehn Minuten entfernt ist, haben ferner außer dem Zollamte, den Post- und Telegraphenbureaux noch kleinere Geschäfte verschiedener Art, z. B. ein Restaurateur, Räume in Benutzung genommen. Schon bei Gründung der Niederlage seitens einer Actiengesellschaft wurde von dieser in Betracht gezogen, daß bei späterem starken Fremdenverkehr ein Hôtel in unmittelbarer Nähe der Niederlage vorhanden sein müsse. Dasselbe, für Rechnung der Gesellschaft hart an dem Bahnhofe der Verbindungsbahn erbaut, ist jetzt seiner Vollendung nahe und das monumentale, im Innern prachtvoll ausgestattete Gebäude gereicht durch seine imposanten architektonischen Formen der ganzen Umgegend zur Zierde.

Die Mehrzahl der bisher eingezogenen Firmen gehört dem Handelsstande Hamburgs an; zweifellos werden auch Handel und Industrie des deutschen Binnenlands bald durch hervorragende Namen hier vertreten sein. Das Recht zur Benutzung der Niederlage steht allen dem Deutschen Reiche Angehörigen unter gleichen Bedingungen zu.

Für Elsaß und Lothringen wird die Niederlage von ganz besonderer Wichtigkeit sein. Der hervorragenden Industrie der neuerworbenen Provinzen bieten sich hier erhebliche Vortheile, welche auszubeuten die bekannte Intelligenz der betreffenden Kreise nicht ermangeln wird. Für ihren bedeutenden Export öffnet sich der großartige Weltmarkt, der Absatz nach dem Binnenlande wird nicht durch Zollschranken gehindert – Bedingungen, welche so vortheilhaft nirgends anderswo vorhanden sind.

Die Niederlage ist von einer Actiengesellschaft mit einer Million Thalern Gründungscapital, wovon bisher siebenhunderttausend Thaler eingezahlt sind, errichtet; der hamburgische Staat betheiligte sich bei Zeichnung der Actien mit dreihundertdreiunddreißigtausend Thalern und gab das Terrain unentgeltlich her. Die sich in jeder Beziehung ausgezeichnet bewährende bauliche Ausführung leitete der hamburgische Architekt Hugo Stammann. Was die gesammte Anlage, ihre Conception und ihre Durchführung trotz mannigfacher Hemmnisse, zu deren Beseitigung es voller drei Jahre bedurfte, betrifft, so sind die Bestrebungen der patriotischen Männer, welche nach wackerer Arbeit dies Haus unter Dach und Fach brachten, vom schönsten Erfolg gekrönt worden. Das vorgesteckte Ziel ward erreicht, dem Zollverein ist innerhalb seines Freihafengebiets eine Freistätte für die Erzeugnisse seiner Industrie begründet und die directeste Betheiligung am großen Weltmarkte Hamburgs gesichert. Das Etablissement ist in einer der bei der feierlichen Eröffnung am 1. Mai 1870 gehaltenen Reden, wegen der Abwesenheit aller unnöthig den Verkehr beengenden Formen, mit Recht der echte Sprößling aus der Ehe, welche der Zollverein mit der Freihafenstadt eingegangen ist, genannt worden, und dieses Wort ist eingetroffen.

G. K.




Soldat und Sänger.
Ein Bild aus den Münchener Einzugsfeierlichkeiten.


Ein Heer von Gasflammen erfüllte am Abend des 17. Juli 1871 mit blendendem Glanze jene Hälfte des Glaspalastes zu München, welche für das Banquet, das die Stadt den Officieren der Tags vorher festlich eingezogenen siegreichen Truppen gab, abgegrenzt worden war. Glänzend in zweifacher Bedeutung des Wortes war aber auch die Gesellschaft, die sich in diesem reichgeschmückten Raume versammelte, und, fast verschwindend unter der Menge besternter und bekreuzter Uniformen, waren nur die Inhaber der verschiedenen Gemeindeämter und Würden und die Männer der Presse im schmuck- und geschmacklosen Frack.

Trotz der Liebenswürdigkeit des deutschen Kronprinzen und der übrigen fürstlichen Gäste begann doch die eigentliche Festlust erst, nachdem diese sich verabschiedet hatten. Erst von da an gab sich Jeder mit völliger Ungezwungenheit dem Genusse des Augenblickes hin. Die Flaschen kreisten rascher, der schäumende Champagner äußerte seine lösende Wirkung auf die Zungen, sowohl im engeren Gespräche unter den nächsten Tischgenossen, als in ernsten und launigen Trinksprüchen, die nun manch Einer loslegte, der es sonst vermeidet, öffentlich eine Rede zu reden.

An einer der Festtafeln saß mitten unter lauter Söhnen des Mars ein „Bürger bei der Stadt“ (Bürger im engeren Sinne, Vollbürger), dessen stattliche Leibesumrisse deutlich darthaten, daß es ihm in diesem irdischen Jammerthale gar nicht schlecht ergehe. Sein Vater sel. war ein Preuße gewesen, und das mag wohl die Ursache sein, daß der wohlbeleibte Sohn, ein ehrsamer Handschuhmacher und Mitglied des Raths der Stadt München, in der Geschichte Preußens und seiner großen Männer vorzugsweise bewandert ist. Heute besonders gemüthlich angeheitert, ist er eben im besten Zuge mit seiner lebhaften Schilderung der Waffenthaten des alten Fritz und der Kriegsabenteuer seiner Generale, besonders Ziethen’s mit seinen Husaren, deren Epigonen in den Kämpfen gegen den corsischen Eroberer sich nicht minder mit Ruhm bedeckten. Da kann ein alter Herr mit weißem Haupthaar und ditto Vollbart, der im rothen, verschnürten Husarenrocke in der Nähe sitzt, sich nicht länger halten. Freudig bewegt, „gedenkend jener Herrlichkeit“ längst entschwundener Ruhmestage, springt er auf. „Bei den Ziethenhusaren bin ich ja auch gewesen, habe die Befreiungskämpfe mitgeschlagen und bin Anno dazumal auch als Sieger mit in das französische Babel eingezogen, wie in unseren glorreichen Tagen, die noch mitzuerleben mir der Herr gegönnt hat, Sie, meine werthen Herren Cameraden,“ ruft der rüstige Graubart, stürzt dann auf den Gevatter Handschuhmacher zu und streckt ihm mit den Worten die Hand entgegen: „Erlauben Sie, daß ich mich Ihnen vorstelle – Baron Elsholtz, dereinst Rittmeister im dritten Ziethen-Husarenregimente!“ Nun ging’s los. Kaum hatten die beiden Männer, Jeder ein Braver in seiner Art, sich herzhaft die Hände geschüttelt, als der weiland Husar von einem dichten Kreise von Kriegern sich umringt sah, die Alle dem alten Helden in das noch jugendfrische Auge sehen und ihn begrüßen wollten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 569. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_569.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)