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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Eine deutsche Professorstochter.
Von Rudolf Gottschall.

Karoline.


Die Universitätsstadt Jena, der altberühmte Sitz deutscher Philosophie und Dichtkunst, so romantisch im Saalthale gelegen, dessen hohe und steile Uferberge hier fast scharfgeschnittene italienische Profile annehmen, kann in vieler Hinsicht als ein „Literatur-Pompeji“ betrachtet werden, denn nicht nur die Michaeliskirche und der Burgkeller, dieser Stammsitz der deutschen Burschenschaft, die vor Zeiten die ganze Diplomatie in Angst und Schrecken setzte, nicht blos die Saalbrücke und der Hausberg, der Berg „mit dem röthlich strahlenden Gipfel“, welchen Schiller in seinem Spaziergang feiert, ziehen die Aufmerksamkeit des Fremden auf sich, noch mehr die Inschriften, welche sich oft auf den unscheinbarsten Häusern finden, die großen Namen der Dichtkunst und Gelehrsamkeit, welche uns bisweilen aus den verlorensten Straßenwinkeln entgegenglänzen!

Die großen Namen und die kleinen Häuser! Mußten die hohen Gedanken sich nicht an den niedrigen Decken stoßen? Welche Tagelöhnerwohnungen, in denen die Meister einer blühenden Literaturepoche sich angesiedelt hatten! Nur der Dichter des „armen Poeten“, Kotzebue, bewohnte ein stattliches Haus; seine Gegner aber, die Romantiker, waren einquartiert wie arme Poeten.

Durch mehrfache Inschriften fällt ein sonst sehr unscheinbares Haus in’s Auge, welches hinter einem dicken runden Mauerthurm sich zu verstecken scheint. Da lesen wir den Namen des berühmten Philosophen Hegel, der in dieser alten Baracke, in Stuben, in denen ein Mann von stattlicher Größe kaum aufrecht stehen konnte, das philosophische Hauptwerk seiner Jugend verfaßte; da lesen wir die Namen der beiden Schlegel, von denen der ältere während seines mehrjährigen Aufenthalts in Jena hier seine journalistische Werkstatt und sein Uebersetzungsatelier aufgeschlagen hatte. In diesem Hause verlebte auch eine der merkwürdigsten Frauen jener Zeit ereignißreiche Jahre ihres Lebens, die Gattin A. W. Schlegel’s, später die Gattin Schelling’s, jene „Karoline“, deren intimste

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 597. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_597.jpg&oldid=- (Version vom 4.9.2020)