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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Aerger Karolinens, den Hof machte. Allerlei mißmuthige Erörterungen auch über Geldsachen erfüllten die Briefe der Gatten; man entschloß sich zu gegenseitigen Zugeständnissen, doch auch diese erwiesen sich unzureichend. So beantragten Beide gemeinsam, in einem von gegenseitiger Achtung überquellenden Briefe, bei dem Herzog von Weimar die Scheidung, welche auch am 17. Mai 1803 ausgesprochen wurde. Karoline reiste mit Schelling nach Schwaben, wo Schelling’s Vater sie am 26. Juni traute. Jetzt war sie in einen sichern Lebenshafen eingelaufen; die Tochter des ordentlichen Professors war die Frau eines ordentlichen Professors geworden; sie folgte dem Gatten nach Würzburg und dann nach München, wohin er als Mitglied der Akademie berufen worden war. Ihre Briefe verriethen von jetzt ab kein intimes Interesse für Literatur mehr; sie sind theils häuslichen, theils politischen Inhalts; nur hin und wieder ward eines alten Freundes gedacht; der Universitätsklatsch spielte die Hauptrolle in ihnen. Auf einer Reise nach Schwaben starb Karoline zu Maulbronn den 7. September 1809.

Ihr abenteuerliches und bewegtes Leben malt sich in ihren Briefen; sie sind merkwürdige Gedenkblätter einer Zeit, in welcher die sittliche Freigeisterei auch in literarischen Kreisen zum guten Ton gehörte. Die Gegenwart hat das Recht, bei voller Anerkennung der hohen geistigen Bedeutung jener Frauen und Männer, ihre Richtung zu verurtheilen; aber wenn der seltene Geist und die gewinnende Liebenswürdigkeit einer hochbegabten Frau dies Urtheil nicht bestechen dürfen, so müssen wir doch „mildernde Umstände“ finden in der gemeinsamen überschwänglichen Begeisterung einer Sturm- und Drangepoche, welche auch für die sittliche Welt neue Grundlagen suchte.




Am schwäbischen Meere und im Schlosse des Exkaisers.


Sobald ich den ersten Sperling mit einem Strohhalm im Schnabel erblicke, packe ich meine sieben Sachen zusammen und fahre schnurstracks nach dem Bodensee. Es ist reizend, acht oder vierzehn Tage an den Ufern des Vierwaldstädter Sees zuzubringen; allein es wäre mir unmöglich, dort einige Monate mit Vergnügen zu leben. Die düstern Bergriesen sind zu nahe; man fühlt sich beengt, unfrei, wie in Gropius’ Diorama eingesperrt, und vollends bei Regenwetter ist es zum Todtschießen. Ich lobe mir für einen Sommeraufenthalt in der Schweiz den Bodensee. Mein Geschmack ist kein vereinzelter; ja, sehr reiche und unabhängige Leute, die unter den schönsten Flecken der Erde wählen können, haben sich meinen speciellen Lieblingsort am See zu ihrer Sommer-Residenz ausersehen.

Nicht sehr weit von dem östlichen Ende des Ortes Rorschach hat der verflossene Herzog von Parma eine schloßartige Villa, Schloß Wartegg. Am westlichen Ende befindet sich das stattliche Schweizerhaus der verwittweten Königin von Würtemberg in einem geschmackvoll angelegten Garten, und da, wo sich das Rheinthal öffnet, hat der Fürst von Hohenzollern-Sigmaringen die Weinburg, welche er alljährlich zur Weinlese mit seiner Familie besucht. Kaiser, Könige und Fürsten sind hier keine Seltenheit; im Gegentheil, sie kommen recht häufig hierher zum Besuch und sind wahrscheinlich herzlich froh, einmal für einige Stunden von dem Kaiser- und Königsapparat befreit und freie Menschen unter freien Menschen zu sein. Sie wandeln hier umher wie andre Leute, und die Bürger der Schweiz finden das so natürlich, daß sie zum Entsetzen wedelnder Kammerseelen nicht einmal ihre Mützen schwenken und Hurrah schreien.

In Wartegg huschen aus und ein die Schatten der Bourbonen und bilden eine Welt für sich. Sie hoffen und harren – der Himmel weiß worauf, und die schwarzen Gestalten, die geheimnißvoll aus- und einschleichen, wissen es vielleicht auch. Es ist da ein ewiges Hin- und Herreisen, und alle Wochen ein paar Mal sieht man am Bahnhof zwischen den andern Leuten den jungen Herzog, den man für einen noch nicht flüggen Candidaten der Theologie halten könnte, oder die Herzogin mit ihrer Schwester stehen, welche letztere einen permanenten Rococo-Pudel unter dem Arm hält. Auch der Schatten des Königs von Neapel spukt hier zuweilen. Die bourbonische Familie, welche hier die Sünden ihrer Väter abbüßt, lebt einfach und verständig bürgerlich und thut manches Gute, was man von ihren Vorfahren nicht eben rühmen konnte, und da sie streng katholisch ist, so wird sie von den vielen Katholiken der Gegend sehr gern gesehen und von den Protestanten auch, denen sie in nichts im Wege ist.

Vor Kurzem erschien auf dem See, von Friedrichshafen kommend, ein auffallend bewimpeltes und bekränztes Dampfschiff und die am Landungsplatz haltenden Hofequipagen mit der würtembergischen Livree ließen vermuthen, daß irgend welche hohen Gäste in der Villa der Königin erwartet würden: Es mußte ein außerordentlich hoher Besuch sein, denn einige Stunden vorher war ein leichter, mit zwei wunderschönen Schimmeln bespannter Wagen über den See geschickt worden und Kutscher und Jockey waren in vollem Staatswichs.

So war es denn auch. Der Kaiser und die Kaiserin von Rußland machten der Königin von Würtemberg eine Visite. Das festlich geschmückte Schiff und die schönen Pferde hatten etwa hundert Leute in Hemdsärmeln und zufällige Spaziergänger angelockt. Das Schiff landete im Hafen und die Brücke wurde wie gewöhnlich gelegt. Auf dem mit Kränzen gezierten Verdeck, auf welchem schöne Fauteuils standen, sah man eine Anzahl Herren und Damen. Sie waren gekleidet wie andere Leute und ihre Gesichter waren auch wie die anderer Menschen, wenn auch mitunter etwas diplomatisch verkniffen. Von dem Stempel der Hoheit, welcher nach der Hoftradition dem Antlitz der Majestäten aufgedrückt sein soll, erblickten die hemdärmligen Republikaner nichts. Man kann’s den Leuten eben nicht an der Nase, ansehen, was sie sind; den Kaisern und Königen ebenso wenig wie den Leuten von Talent. Hielt ich doch selbst, der ich mir auf meine physiognomischen Kenntnisse etwas zu gut thue, einen sehr unschuldig aussehenden Hofmarschall sogar für den Fürsten Gortschakoff!

Nicht einmal ein Teppich war über die Brücke und auf den Weg bis zu dem Wagen gelegt, und eine Hoheit stolperte. Dem heftig katzenbuckelnden Hofmarschall mit der Diplomaten-Physiognomie folgten die allerhöchsten Herrschaften, deren Gesichter ich von früher her oder nach den überall ausgestellten Portraits nun erkannte, denn Alle gingen dicht an mir vorüber. Da war der Kaiser und die Kaiserin von Rußland, der König und die Königin von Würtemberg, der Großherzog und die Großherzogin von Weimar, noch eine russische Großfürstin und verschiedene Kleinfürsten, die ich nicht kannte.

Die Hemdärmler starrten sie an und zogen nicht einmal die Kappen. Warum sollten sie auch? Wenn sie nach Petersburg kamen, zog auch vor ihnen Niemand den Hut. Was gingen sie die Fürstlichkeiten an? Warum sollten sie eine besondere Ehrfurcht heucheln, die sie nicht fühlten? Für sie waren die hohen Herrschaften Fremde wie Andere. Eine Unhöflichkeit war nicht beabsichtigt, also auch nicht begangen. Republikaner fühlen eben anders, als kaiserliche oder königliche oder sonstige Unterthanen. Der Schweizer Bauer fühlt sich ein Stück König in seinem schönen Lande. Während die Fürstlichkeiten zur Königin fuhren, gingen, die Herren und Damen des Hofes in einen Wirthsgarten am See, aber Fürst Gortschakoff und ein anderer Herr, die heftigen Durst hatten, in die nächste Bierkneipe, wo sie ihr Seidel tranken, wie Rorschacher. Ein naiver Schweizer Kellner hielt die Herren für Lakaien, weil er den einen den andern Excellenz tituliren hörte. O sancta simplicitas!

Dieser republikanische Unabhängigkeitssinn gefällt mir und schon deshalb ziehe ich das Schweizer Ufer des Bodensees dem andern vor; es ist aber wahrlich nicht der einzige Grund, weshalb ich mir Rorschach zu meinem Lieblings-Sommer-Aufenthalt erkoren habe.

Rorschach ist eins der Hauptthore, durch welche deutsche Sommerpilger in die Schweiz treten. Die Fahrt von dem würtembergischen Friedrichshafen über den See nach Rorschach ist entzückend schön, wenn man nämlich schönes Wetter hat, denn bei Regen oder Sturm wird die starke Stunde, welche man zur Fahrt braucht, etwas lang. Der herrliche See, der bei schönem Wetter einem großen Spiegel gleicht, sieht dann dunkelgrün, ja fast schwarz aus und die Wellen gehen so hoch, daß viele Personen seekrank

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 601. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_601.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)