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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

werden. Manche Schiffe sind schon darauf zu Grunde gegangen, und erst vor Kurzem versank ein Steinschiff dicht am Hafen, wie es ja auch einst dem Dampfer Ludwig begegnete, der durch Herrn Bauer wieder gehoben wurde. Auch das Steinschiff sammt seiner Ladung wurde gehoben und das ging – Dank den damals gemachten Erfahrungen – sehr schnell und mit geringen Kosten von Statten.

Bei hellem Himmel ist die Aussicht vom Schiffe entzückend. Links über das österreichische Bregenz hinaus, sich in einem Bogen nach rechts hinziehend, sieht man die schneebedeckten Gipfel der Alpen von Vorarlberg und Tirol. Gerade vor uns erhebt sich über einem breiten smaragdgrünen Uferstreifen der wundervoll gestaltete, gegen achttausend Fuß hohe Säntis mit seinen Rebenbergen, deren schneebedeckte Gipfel und Seitenflächen besonders schön gegen den blauen Himmel und das frische Grün unterhalb abstechen.

Je mehr man sich dem Schweizer Ufer nähert, desto breiter wird der Ufergürtel, der die Gestalt eines sich eine kleine Meile hinziehenden, mäßig steil und terrassenartig aufsteigenden Berges annimmt, hinter dem allmählich die eisgrauen Bergriesen verschwinden. Es ist dies der Rorschacher Berg. Von Weitem sieht er unbedeutend aus, trotzdem daß er sich mehr als zweitausend Fuß über den Spiegel des Sees erhebt; allein je näher man dem Ufer und dem sich daran hinziehenden Rorschach kommt, desto herrlicher entfalten sich seine mannigfaltigen Schönheiten, von denen man jedoch von der Ferne nur einen sehr unvollkommenen Begriff erhält. Ich durchstreife den breiten Abhang nun schon im vierten Jahre; allein täglich bietet mir derselbe noch neue Ueberraschungen.

Der Berg ist bis auf den äußersten Kamm hinauf bebaut. Er ist ein großer natürlicher Park, so schön, wie ihn die Hand keines Landschaftsgärtners anzulegen vermöchte. Herrliche Wiesen, im untern Theil mit riesigen Obstbäumen besetzt, wechseln dort mit Weinbergen und höher hinauf mit prächtigen frischen Wäldern. Ueberall trifft man, oft gänzlich im Grün versteckt, Sennhütten, Gehöfte, Dörfer und Schlösser. Felsenbäche, die von der Höhe herab dem See zufließen, bilden häufig tiefe, schauerliche Schluchten, hier Tobel genannt, deren Ränder bewaldet sind und reizende Thäler bilden. Ueberall, wo man nur geht, murmeln zwischen Felsen oder im Grün versteckt krystallhelle Quellen, oder sprudeln aus eisernen Röhren. Eine Menge Wege laufen übereinander, parallel, den ungeheuren Abhang entlang, und von jedem dieser Wege hat man eine herrliche Aussicht über den See links nach Arbon, Romanshorn und Constanz und rechts über Lindau, Bregenz und das Rheinthal mit seinen Bergen.

Ersteigt man den höchsten Kamm des Berges, so hat man von Roßbühl eine überaus herrliche Aussicht auf die zum Theil zu Appenzell gehörigen schönen Hügel, die mit grünen Sammetteppichen belegt scheinen, auf denen nette Schweizergehöfte stehen und über dieselben hinaus und so nahe, daß man alle Details erkennen kann, ragen links die Tirolerberge und gerade vor uns die Säntis-Gruppe. Wohin man immer gehen mag, findet man sich reichlich für seine Mühe belohnt. Der See selbst bietet in jedem Augenblick ein wechselndes, herrliches Schauspiel. Ich habe keine Wasserfläche gesehen, welche so häufig ihre Farben veränderte. Manchmal ist er ultramarinblau, zu anderen Zeiten ganz grün, oder violet mit Streifen von allerglänzendsten Smaragdgrün, wie sie kein Maler zu malen wagen würde.

Nicht besonders hoch über dem Orte Rorschach liegt das uralte Schloß Rorschach (Roschach schreiben übrigens alle Chroniken), jetzt St. Annaschloß genannt, welches man in einer kleinen halben Stunde erreicht. Hier hausten einst die Herren von Roschach, die ein angesehenes Geschlecht waren und die in der Geschichte ihres Landes eine bedeutende Rolle spielten. Jetzt ist das Schloß Eigenthum eines vielgereisten Steinmetzen, eines tüchtigen Landwirthes, der eben im Begriff ist, allerlei Bauten vorzunehmen, um es zu einem noch beliebteren Vergnügungsorte zu machen, als es jetzt bereits ist. Sitzt man bei trefflichem Wein an einem der Burgfenster, so kann man wohl viele Meilen in der Runde keinen herrlicheren Platz finden.

Es ließe sich viel von all den merkwürdigen und schönen Orten in nächster Nachbarschaft von Rorschach sagen, doch ich will nicht zu weitläufig werden und nur bemerken, daß der gute Fußgänger und der schlechte überall die herrlichsten Spaziergänge ganz nach seinem Geschmack finden wird.

So führt uns nach Ragaz die Eisenbahn in etwa zwei Stunden. Eine herrlichere Partie kann es gar nicht geben und vollends der Weg von Ragaz nach der Quelle von Pfäffers ist das Schönste, was ich im Leben gesehen habe. – Von Bregenz, Lindau und Friedrichshafen will ich ebenfalls nicht reden, sondern nur länger bei einem Ausfluge verweilen, den ich erst kürzlich nach Arenenberg machte, in welchem augenblicklich der Kaiser Napoleon der Dritte erwartet wird.

Arenenberg, das Landhaus des Kaisers Napoleon des Dritten, in welchem er viele Jahre seiner Jugend verlebte, liegt am Untersee, im schweizerischen Canton Thurgau, nicht weit von dem großen Marktflecken Ermatingen.

Da ich am Abend wieder in Rorschach sein wollte, so fuhr ich nicht mit dem Dampfschiffe, sondern mit der Eisenbahn nach Constanz, welche erst seit einigen Wochen eröffnet ist. Die angenehme Fahrt entlang den See dauert – wegen der vielen Stationen – gut anderthalb Stunden. Wir kamen vor zehn Uhr in Constanz an und hatten noch Zeit, das Concilhaus anzusehen, in welchem uns manche Alterthümer sehr interessirten, besonders eine Nachbildung des Gefängnisses von Johann Huß mit der Originalthür und eine Menge anderer merkwürdiger Dinge.

Das um elf Uhr nach Schaffhausen gehende Dampfschiff war ziemlich besetzt, und unter den Passagieren waren eine Anzahl, die ebenfalls Arenenberg besuchen wollten und zu diesem Ende in Ermatingen ausstiegen, welches kaum zehn Minuten davon entfernt ist. Ein liebenswürdiger Schweizer Major, der in Ermatingen wohnt und den wir auf dem Dampfschiffe trafen, sagte uns, daß wegen der in Arenenberg zum Empfang des Exkaisers getroffenen Vorbereitungen die Zimmer des Schlosses nicht gezeigt würden, daß man aber doch zu unsern Gunsten eine Ausnahme machen werde, wenn wir uns nur auf ihn, den Major, beziehen wollten. Nach etwa zehn Minuten erreichten wir den Park von Arenenberg. Dieser Park ist nicht von großer Ausdehnung, aber sehr geschmackvoll auf einem Hügel und dessen Abhang angelegt. Die Wege sind sehr gut unterhalten und dasselbe ist der Fall mit großen Blumenbeeten, die mit schönen blühenden Pflanzen, namentlich mit vielen Hortensien besetzt sind. Links von der auf dem Ende des Hügels erbauten Villa ist ein Rasenplatz mit einem von Blumen umgebenen Bassin in der Mitte. Diese Villa ist ein ganz einfaches, dreistöckiges Haus, umgeben von schattigen Bäumen. Dicht bei dem Hause ist eine hübsche Capelle erbaut, zu deren Eingang einige Stufen hinaufführen. Das Ganze hat keineswegs ein kaiserliches Gepräge; die ganze Besitzung könnte ebenso gut einem mäßig reichen Privatmanne gehören, und dicht bei Ermatingen liegen andere Villen – zum Beispiel Schloß Hardt, welche bei Weitem stattlicher aussehen. Nirgends in Arenenberg sieht man Embleme, welche auf eine fürstliche Besitzung schließen lassen; man entdeckt weder Wappen noch gekrönte Namenszüge und dergleichen.

Leider hatte sich eine ziemlich zahlreiche Gesellschaft eingefunden und ich vermuthete gleich, daß diese Menge der Besucher es erschweren würde, alle Zimmer der Villa zu sehen. Eine alte Frau, welche auf dem Rasen drei Gänse hütete, sagte uns, daß die mit der Aufsicht betraute Person bei Tische sei. Sie wolle derselben unsern Wunsch, das Haus zu sehen, mittheilen und, wenn wir ein wenig warten wollten, uns Nachricht geben. Während wir warteten, kamen noch einige Wagen mit Besuchern von St. Gallen, welche in dem links vom Eingange befindlichen Oekonomiehofe hielten. Rings um diesen mäßig großen Hof liegen sehr gut gebaute Ställe und Remisen und dahinter einige kleine Wirthschaftsgebäude.

Ein kleiner Franzose und ein Schweizer Gehülfe, der ein N an seiner schmutzigen Mütze trug, führten uns in den Stall, in welchem sich sechs Pferde des Exkaisers befanden. Der kleine Franzose, der ungewöhnlich vernünftig und bescheiden war, hatte dem Kaiser im letzten Kriege als Kutscher gedient und war mit ihm bei Saarbrücken und Sedan und später in Wilhelmshöhe gewesen. Er hatte die Pferde und sechs Wagen von Sedan nach Bouillon und von dort nach Wilhelmshöhe und endlich nach Arenenberg gebracht. Der kleine Kutscher machte uns auf einen schönen Vollblutfuchs, Heros, aufmerksam, welcher auf dem rechten Flügel stand. Dies war das Lieblingspferd des Kaisers, der bei Pferden die Fuchsfarbe vorzieht, und hat fünfzehntausend Franken gekostet. Es ist ein starkes schönes Pferd, und ich bedauerte, es nur im

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 602. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_602.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)