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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Da haben Sie einen solchen Ast,“ endete er, indem er vom Fußboden ein wunderliches Holzstück aufhob. „Natürlich erheischt die Auswahl dieser Aeste und Wurzeln einen durch jahrelange Praxis geübten Blick; meine Sammler aber haben den schon und bringen mir nichts Untaugliches.“

Aus einem Oberzimmer desselben Hauses schlug uns eine Glühhitze entgegen; trotz der vierundzwanzig Grad Réaumur, die draußen herrschten, brannte im großen Kachelofen des Raumes ein flüchtiges Feuer, und in dieser erstickenden Atmosphäre hantirte schweißtriefend ein unglückliches weibliches Wesen, indem es mit bunten und schwarzen Bildern geschmückte Arbeitskörbchen lackirte. Auf einem Gestell zur Seite stand eine erkleckliche Menge Geräthschaften aufgestapelt.

„Unser türkisches Bad,“ erklärte Herr Herzig lächelnd; „allein der Lack da darf nur bei derartigen Wärmegraden aufgetragen werden, wenn er nicht rissig und unegal ausfallen soll. Und heute ist das Klima noch sehr erträglicher Natur, nicht wahr, Mine?“ wandte er sich an die Arbeiterin, die ihm mit einem etwas trübseligen „Ach ja!“ Recht gab.

„Jetzt lassen Sie uns zum Schlusse meinen Schachteldamen noch einen Besuch abstatten, alsdann haben Sie mir so ziemlich alle Geheimnisse meiner Kunst abgelernt,“ sprach der Fabrikherr, während wir mit ihm dem Wohnhause wieder zuschritten. Schon vorher hatten wir eine ganze Stube gesehen voller großer Waarenkisten, welche bis zum Rande mit Spahnschachteln von der größten bis zur kleinsten angefüllt waren. Der Anblick hatte in seiner Art etwas Ueberwältigendes, Aengstliches, Unfaßbares. Was da vor uns aufgehäuft lag, war ja so zu sagen unzählbar, denn wer möchte in Ziffern ausdrücken, was sich nur nach Millionen bemessen läßt? Wie viele Tausende von Schock waren in jeder dieser Schachtelkisten eingeheimst! Und doch wie verhältnißmäßig geringfügig der Geldwerth, welchen die Waarenunmasse repräsentirte! Werden doch die größten und theuersten solcher Spahnschachteln pro Stück zu acht Silbergroschen abgegeben, und das sind dann noch dazu fein roth oder violet getünchte Elegants ihrer Gattung!

In einem mäßigen Saale des Erdgeschosses saß etwa ein Dutzend Mädchen und Frauen. Die Eine leimte die sogenannten Wickelspähne, das heißt die Seitenwände der Schachteln, zusammen, eine Zweite fügte die Boden, eine Dritte die Deckel ein, die Vierte sortirte Obertheil und Untertheil und stellte so die fertigen Schachteln zusammen, eine Fünfte trug Schock für Schock nach den bestimmten Aufbewahrungsorten. Damit aber die geleimten Theile gehörig trocknen können und die zusammengefügten Spahn- und Bodenenden nicht wieder von einander weichen, hat jede Arbeiterin eine Vorrichtung zum Einpressen der Waare vor sich, eine Art Buchbinderpresse mit einer Reihe von Etagen. In diese letzteren werden die geleimten Schachtelstücke so eng eines an das andere eingezwängt, daß ein Ausdemleimegehen zum Dinge der Unmöglichkeit wird.

„Wie viel Dutzend Schachteln bringt die Arbeiterin wohl täglich zu Stande?“ frug ich.

„Dutzend!“ ward mir zur Antwort. „Wer einigermaßen geschickt und fleißig ist, liefert tagtäglich seine zwölf bis fünfzehn Schock ab und empfängt demgemäß seinen Lohn. Denn, gleich mehreren anderen Zweigen der Fabrication, habe ich die Schachtelmacherei in Accord gegeben, wie der bekannte technische Ausdruck lautet.“

„Und wer schneidet die Wickelspähne, wer die Boden und Deckel?“ forschte ich wißbegierig weiter.

„Reichen Sie einmal ein paar Schachteleisen herüber!“ gebot Herr Herzig dem Werkführer der Abtheilung. „Sehen Sie, mit diesen Stempeln wird das zu den Schachtelboden erforderliche Holz ausgestochen, etwa wie man Leder oder Zeug, auch wohl Kuchenteig aussticht. Die Wickelspähne schneidet ein sinnig construirter Hobel zu. Nur auf diese Weise lassen sich die, wie Sie mir zugeben werden, an das Fabelhafte streifenden niedrigen Preise des Artikels ermöglichen. Dennoch giebt es in unserm Gebirge eine Menge von Schachtelmachern, welche das Product lediglich mit der Hand herstellen und dafür nicht höhere Preise fordern, als ich für meine Maschinenleistungen. Allerdings fehlt ihren Erzeugnissen die Gleich- und Regelmäßigkeit meiner auf mechanischem Wege erzielten Fabrikate, nichtsdestoweniger kaufe ich selbst von ihnen, und zwar die aus stärkerem Spahn zu verfertigenden Stiefelwichsschachteln, welche ich mir nicht so billig herlegen könnte. Die Säcke, die Sie in dem einen meiner Schuppen stehen sahen, sind mit dergleichen Wichsbehältern gefüllt und zum Versande bereit. Doch die Mittagsglocke läutet. Sie sind, das versteht sich, heute meine Gäste und nehmen fürlieb mit dem, was wir Ihnen hier in unserer Bergeinsamkeit vorsetzen können. Leider vermag in dieser Beziehung die Gunst Rübezahl’s nicht so viel wie für meine Industrie, die Sie hier sehen und als deren Patron ich ihn füglich verehren kann.“

H. S.




In der Kronen-Schmiede der Hohenzollern.


Wer aus den sonnigen Auen des Südens, durch die grotesken Gebilde der Alpenwelt auf kürzestem Wege nach Norden fährt, bekommt zuerst in Nürnberg den Eindruck vom eigentlichen Wesen Deutschlands, des Landes der Arbeit mit Kopf und Hand. Schon länger hat die Gegend jeglichen Reiz verloren, der Boden wird dürftiger und seine Ergiebigkeit hängt in steigendem Grade von der Bewirthschaftung seiner Bewohner ab. Ein weiter Gürtel von öden Föhrenpflanzungen, die Trümmer des alten Reichswaldes, welche noch heute diesen Namen führen, umgeben die alte Stadt, die nach langem Verfall gegenwärtig zu alter Blüthe emporsteigt, indem sie mit Entschiedenheit in die ursprünglich ihr angewiesenen Bahnen wieder einlenkt. Hier herrscht die neueste Verkörperung der Abstraction, die Maschine. Tag und Nacht kreischen die Räder, rauschen die Bälge, pochen die Hämmer. Der „harte Boden“, von welchem schon der alte Akademiker Joachim v. Sandrat sprach, hat nicht nur Nürnberg seinen Charakter aufgedrückt, sondern auch seinen Wohlstand begründet, indem er den Menschen zum Widerstand einlud und von Neuem den Beweis liefern ließ, daß die Kraft den Stoff beherrscht und ihn fruchtbar macht, ob sie nun über demselben schwebe oder ihm innewohne. Nur der siegreiche Kampf um’s Dasein giebt hier Genugthuung; höhere Reize des Lebens versagt schon die Atmosphäre von Ruß und Rauch, welche die Stadt wie mit den zähen Maschen des Systems überdeckt.

Bei unserer abendlichen Einfahrt sahen wir vom höchsten Giebel der Burg neben der blau-weißen bairischen Fahne die schwarz-weiße des Hauses Zollern herabwinken, eine Zusammenstellung, die so bedeutsam für die Gegenwart, wie sie den Blick nachdrücklich in die Vergangenheit und in die Zukunft lenkt. – Hier stand die Wiege des Hauses, das aus dem bescheidenen Amte eines kaiserlichen Burggrafen durch die nicht viel höher stehende Würde der Markgrafen von Brandenburg in die Zahl der Wähler des Reiches eintrat und, vom kurfürstlichen Sitz zum königlichen Thron aufsteigend, nunmehr, in fast unerwarteter Wendung der Dinge, aber nothwendiger Logik der Thatsachen, das alte Reich erneuert, das mächtigste Scepter des Erdkreises und die Verantwortung für die Geschicke vielleicht der nächsten Jahrhunderte übernommen hat. Schon bald nach dem Jahre 1866 erhielt König Wilhelm als freiwilliges Geschenk des Königs Ludwig von Baiern den Mitbesitz der alten Kaiserburg zu Nürnberg. Seine Kaiserwürde verleiht diesem Besitz eine erhöhte Bedeutung. Denn wo seine Vorfahren noch vor vierhundert Jahren nur als Hüter standen, wo sie selbst den Rücken wendeten, um der lästigen Nähe mitbelehnter Würdenträger und der eifersüchtigen Stadtbewohner zu entgehen, hat jetzt ihr ruhmwürdiger Nachkomme als Herrscher seinen Einzug gehalten und den Thron bestiegen, auf dem einst Heinrich der Dritte, Friedrich der Rothbart und Ludwig der Baier den Glanz des deutschen Banners entfalteten, und, wie uns bedünken will, zu nicht geringerer Bestimmung, als womit jene Heroen unserer Vorzeit von der Weltgeschichte betraut wurden.

Die zollernsche Fahne auf der Burg, welche im Winde flatternd die hochwichtige Thatsache mit stets erneutem Jubel über die weit umhergebreiteten Lande verkünden zu wollen schien, legte in der greifbaren Verkörperung, womit sie diese selbst vor Augen führte, die Frage nach ihrem Entstehen nahe. War die Thatsache nur Erfolg zufällig hier zusammentreffender Umstände oder wuchs sie als nothwendiges Ereigniß wie aus natürlichem Boden hervor?

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 619. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_619.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)