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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Dresden, Leipzig, Berlin, Prag, Wien. In letzterem Orte wählte er sich später seinen Wohnort, als, nach vier Jahren eifrigsten Lernens, der Ausspruch seines Lehrers ihn für geschickt erklärt hatte, nun selbstständig um den Preis des Ruhmes zu werben.

Er hatte sich zuerst nach Dresden gewandt, wohin auch sein Vater übersiedelte und wo die Fürsorge einiger Freunde ihm ein erstes Concert in engerem Kreise vorbereitete. Dann begab er sich nach Wien, wo ihm das Glück entschieden ungünstig war. Er versuchte die in Weimar gewonnenen Kunstanschauungen fruchtbar werden zu lassen und arrangirte mehrere Orchesterconcerte, in denen die von ihm dirigirte Hofoperncapelle einige symphonische Dichtungen seines Meisters, wie Werke Wagner’s und Berlioz’, zur Aufführung brachte. Aber der Boden Wiens war noch nicht genügend vorbereitet zur Aufnahme derselben; sein Vorhaben mißlang, und von der Kritik auf das Bitterste angegriffen, zog er sich zurück, hierin nur einen Anlaß zu größerer Vertiefung erblickend und weiteren Studien in ernstester Weise nachlebend. Denn er war streng gegen sich selbst und niemals that er sich genug, so unermüdlich er strebte. Der Zwiespalt zwischen Wollen und Können, zwischen Ideal und Wirklichkeit, die Kluft, die ihn von seinem Ziele trennte, sie machten ihn tief traurig und unglücklich und nährten die Melancholie, zu der sein Wesen ohnehin neigte. „Wie oft in Stunden der innigen Mittheilung,“ sagt der ihm nahestehende Freund Davidson in dem schönen Nachruf, den er ihm gewidmet, „gab er der Verzweiflung Ausdruck, jenes Ziel, das einzig des Lebens und Strebens werth sei, niemals erreichen zu können, und wenn dann begütigende Freundesworte ihn darauf hinwiesen, daß gerade dies Immerhöherstreben, dies Sichselbstungenügen die Gewähr dafür biete, daß er das Mögliche erreichen werde, daß alles menschliche Vermögen, selbst das höchste, seine Grenze finde, dann lächelte er bitter und erwiderte, daß nicht die Grenze menschlichen Könnens überhaupt, sondern die seines Könnens ihn bekümmere. Er war unerbittlich gegen sich und, bei allem Stolz für die Sache, bescheiden für seine Person. Wem er anders erschien, der kannte ihn nicht.“

Künstlerische Vollendung freilich wird nicht ohne Kampf und Mühen gewonnen und die reichen Früchte fallen Keinem in den Schooß, der sie nicht mit Fleiß und Sorgfalt gezeitigt. Deß ist auch Karl Tausig’s Leben Zeuge. In Sturm und Drang begann seine Künstlerlaufbahn, und in ernster Arbeit nur gelang es ihm, sich emporzuringen zu der Ruhe und Klarheit, die seine späteren Leistungen kennzeichnen. Denn nicht wie andere reproducirende Künstler ging er von jener akademischen Objectivität aus, wie sie die ältere Schule lehrte und ausbildete, die, gleichgültig gegen die Individualität des Interpreten, von der Wiedergabe des Kunstwerks wenig mehr als einen typischen traditionellen Abdruck desselben forderte. Er ist vielmehr den entgegengesetzten Weg gegangen. Mehr, als es sich mit unseren Ansichten von gereiftem Künstlerthume verträgt, ließ er früher sein eigenes Selbst in den Vordergrund treten; wild und ungezügelt durchloderte das ihm innewohnende Feuer die durch ihn zur Anschauung gebrachten Schöpfungen und zeigte sie in einem neuen, fremdartigen Lichte. Erst ist dem Maße, als sich sein künstlerisches Wesen und Bewußtsein klärte, milderte sich jene gewisse Willkürlichkeit seiner Auffassung, drängte er sein Selbst hinter dem Kunstwerk, das Mittel hinter dem Zweck zurück. Was mag es ihn gekostet haben, dies heißblütige Selbst zu überwinden und niederzukämpfen fast bis zur künstlerischen Selbstverleugnung, wie er sie in seinen letzten Jahren übte! Auf ein geringeres Maß ist die individuelle Mitgabe und Auslegung des darzustellenden Kunstwerkes wohl selten beschränkt worden. Ließ er doch in dieser Beziehung selbst den leidenschaftslosen Hans von Bülow hinter sich, dessen kühl reflectirender Natur die seinige zuvor als völliger Antipode gegenübergestanden.

Wie aber seine frühere Subjectivität, als ein Uebermaß unbezähmten persönlichsten Empfindens, vielfältigem Tadel begegnete, so erfuhr auch seine nachmalige Objectivität, als ein Uebermaß von Kunst und Gleichgültigkeit gegen die vermittelten Kunstgestaltungen, den gleichen Widerspruch. Er, der selber eine scheinbar unerschütterliche Ruhe bewahrte, indeß er die Seelen seiner Zuhörer in tiefste Erregung versetzte, durfte wohl lächeln über den Vorwurf der Kühle, eingedenk des heißen Kampfes und der schwer errungenen Selbstbeherrschung, deren Preis diese äußere Ruhe war. Denn nicht Willkür, sondern bewußte künstlerische Absicht, das Resultat innerer Erfahrung, war die Wandlung seiner Darstellungsweise. Weil er es als das seiner Begabung angenehmste erkannte, verfolgte er dies Ziel, weit abseits von der genial selbstschöpferischen Reproductionsart Liszt’s, die er wohl als die höhere, inspirirtere erkannte, der er jedoch seine Kraft nicht gewachsen fühlte. Jene harmonische Lösung der Gegensätze von Subjectivität und Objectivität, die Vermählung des eigenen Ichs mit dem außer ihm stehenden, die, als Ideal aller reproducirenden Kunst, sich in Liszt erreicht zeigt, mußte Tausig’s Streben unerreichbar bleiben. Darum antwortete er den Fragen der Freunde, warum er bei seiner Bewunderung für den Meister nicht denselben Weg eingeschlagen habe, stets abweichend, daß seine Art und Weise ihn auf den entgegengesetzten hinweise und daß er suchen müsse, sich in seiner Eigenart zu vollenden.

Wir wissen, mit welch peinlicher Gewissenhaftigkeit er dies gethan, allzeit den eigenen Kräften mißtrauend, nimmer mit sich zufrieden, und, ob auch Tausende durch die Vollendung seiner künstlerischen Leistungen mit Begeisterung erfüllend, niemals glücklich im tiefsten Innern.

Schopenhauer’s Lebensanschauung, die er sich früh zu eigen gemacht hatte,“ sagt der Freund, dessen wir bereits gedachten, „trug nicht dazu bei, die Harmonie seines Wesens herzustellen. In hohem Maße suchte er das Aufsichselbstgestelltsein dieses Philosophen für sich praktisch werden zu lassen; aber ein Künstler und vor allen Dingen ein Virtuos ist kein Gelehrter, der sich aus der Welt und aus dem Leben in seine Klause zurückziehen darf. Er soll auf Markt und Straßen Kunde geben von Dem, was ihm aufgegangen, und nach außen auf Andere wirken. Das gab seinem Wesen einen Zwiespalt, dessen Ausgleich vielleicht erst spätere Jahre bewirkt hätten. In letzter Zeit stieg er zu der Quelle hinauf und wandte sich dem Meister deutscher Philosophie, dem Mann des kategorischen Imperativs, Kant, zu. Ueberhaupt war Tausig’s Erholung Abwechselung in der Thätigkeit. Nicht mit dilettantischem Enthusiasmus, sondern in ernster, tiefer Arbeit studirte er Naturwissenschaften, Mathematik. Seine Belesenheit in der deutschen und namentlich auch französischen schönen Literatur war erstaunlich, denn er las niemals blos um sich zu unterhalten. Als Schachspieler stand er unter Denen, die dies geistvolle Spiel nicht berufsmäßig treiben, wohl mit in erster Reihe.“

Indessen begünstigten leider auch Tausig’s äußere Verhältnisse seinen Hang zu ernster, ja trüber Lebensauffassung, und den ihm in früheren Jugendjahren eigenen Uebermuth hatte die harte Hand der Erfahrung längst abgestreift. Der Versuch, sich ein häusliches Glück zu gründen, scheiterte. Das Glück floh ihn in den kurzen Tagen seiner Ehe und einem flüchtigen Besitz der von ihm erwählten Gattin folgte eine lange Trennung, die sein früher Tod nun zu einer ewigen gemacht hat.

Ebenso waren seine künstlerischen Unternehmungen anfangs keineswegs gesegnet. Dresden und selbst das musikalisch so empfängliche Wien verhielten sich ihm gegenüber spröde und gleichgültig. Er mußte in mißlichen Verhältnissen ausdauern, bis des ihm befreundeten Bülow Mahnung, weiter zu ziehen und in Berlin sein Heil zu versuchen, ihn zuerst nach der nordischen Metropole führte. Eine Reihe von Concerten, mit denen er sich daselbst vorstellte, und deren erstes im December 1865 stattfand, wurde für sein künftiges Leben entscheidend. Von jetzt ab begann Tausig die Früchte treuer und unablässiger Arbeit endlich zu ernten.

Mehr und mehr gewann er sich die Sympathien des ist Sachen der Kunst als frostig geltenden Berliner Publicums, und die offene Feindseligkeit der Kritik verwandelte sich allmählich in die ungetheilte Anerkennung selbst Derer, deren Ansichten und Ueberzeugungen in völlig anderem Boden wurzelten. Darin erblickte er eine wahrhafte Freude und innere Genugthuung, so wenig er sonst jemals um Gunst und Beifall oder Geld zu buhlen pflegte. Denn nie konnte er sich entschließen, dem trivialen Geschmack der Menge die geringste Concession zu machen. Weder seine Programme noch die ganze Art seines Spiels gingen darauf aus, durch den Glanz bloßer Virtuosität zu blenden. Die Meister, deren Clavierwerke er vorzugsweise und fast ausschließlich spielte: Scarlatti, Bach, Beethoven, Schumann, Chopin, Liszt, sind am wenigsten geeignet, den seichten Bedürfnissen Jener zu genügen, die in der Kunst nicht mehr und Höheres denn flüchtige Unterhaltung suchen.

Berlin gründete den Weltruf des Künstlers, und dankbar erwählte derselbe es dafür zu seinem Wohnsitz. König Wilhelm

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 631. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_631.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)