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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


kann, und es ist dieses Bedürfniß keineswegs immer eine Aeußerung niedriger Gesinnung, Kriecherei oder Unselbstständigkeit, sondern ebenso oft der Ausdruck eines sittlichen Gefühls, der warmen Anerkennung des Tüchtigeren, Stärkeren in dem Genossen eines gleichen Strebens. Jedenfalls aber dürfen dergleichen Anregungen uns nicht soweit beeinflussen, daß, wenn wir mit der Schilderung von Personen, welche durch amtliche Stellung oder Thaten der Geschichte oder wenigstens der Oeffentlichkeit angehören, vor das Publicum treten, wir, einer Vorliebe oder Theilnahme nachgebend, die thatsächlich vorhandenen Schatten übergehen oder verwischen. Ein solches Verfahren würde sich mit der Aufrichtigkeit der Ueberzeugung nicht vertragen und auch unserm gemeinsamen Zwecke, Ihrem Leserkreise wahrheitsgetreue Bilder vorzuführen, widersprechen.

Bei allem Rücksichtnehmen daher auf hohe gesellschaftliche Stellung, Amt, Würde und Wirksamkeit der Personen, die hier der Besprechung unterzogen werden sollen, wird es doch nicht ausbleiben können, daß mancher Schmuck für unecht, manches eingerostete Urtheil für falsch erklärt wird. Es sind nicht Alle, welche die Wogen des Lebens emporgehoben, rarae aves; viele unter ihnen erscheinen dem schärferen Blicke als sehr gewöhnliches Geflügel; mögen sie denn als solches weiter flattern und auf eine bewundernde Betrachtung verzichten! – Aber wenn diese Darstellungen manche Voreingenommenheit enttäuschen, manchen falschen Schimmer trüben werden, so werden sie doch auch Streiflichter werfen, die in erfreulicher Weise bisher dunkle Partien erleuchten und zur Verbreitung gerechterer Urtheile dienen mögen.

Aber, mein verehrter Herr Redacteur, von vornherein mache ich Sie darauf aufmerksam, daß ich von der behaglichen Freiheit, welche die Briefform gewährt, den ausgiebigsten Gebrauch zu machen gedenke. Schon Memoirenschreiber, zu denen ich mich allenfalls zählen möchte, besitzen das herkömmliche Recht, von der Geschichte zur Anekdote, von einer Begebenheit zur anderen, vom Ernste zum Scherze springen, von einer Persönlichkeit zur anderen übergehen zu dürfen; um so viel mehr mag eine solche Berechtigung der viel loseren Form des Briefes gewährt werden. Nur ein Versprechen habe ich gegeben und werde ich gewissenhaft halten, nämlich nichts als die Wahrheit zu erzählen, soweit ich Thatsächliches berichte. Mein Urtheil mag oftmals irrig sein oder scheinen, wie ich mich gern bescheide; doch ist es ein auf Beobachtung und Erfahrung gegründetes und mag daher wohl, gerade wo es von der landläufigen Meinung abweicht, auch seinerseits auf Beachtung Anspruch erheben.

Zur Sache. – Ich war anfangs geneigt, gleich mit der Schilderung derjenigen Persönlichkeit und ihrer Umgebungen zu beginnen, welche gegenwärtig die Aufmerksamkeit der Welt mehr als jede andre auf sich zieht und gewiß im vollsten Maße verdient, mit der Zeichnung also des Fürsten-Reichskanzlers und seiner Gehülfen, – ein Thema, das trotz des unleidlichen haut-goût, den das Hesekiel’sche Buch verbreitet hat, jeder Darstellung in unseren Tagen Reiz geben muß und daher zur Eröffnung dieses Bildercyklus ganz passend erscheint. Ich habe aber einen besonderen, vielleicht etwas egoistischen Grund, ein andres Bildchen in den Vordergrund zu schieben, nämlich den, aus meiner Mappe Einiges hervorzuholen, was in diesem Augenblick noch Anziehendes genug enthält, in kurzer Frist aber an Interesse wesentlich verlieren kann. Es betrifft dies den Hader zwischen Manteuffel und Vogel von Falckenstein.

Der General von Manteuffel steht bereits zum dritten Mal unter dem wenig beneidenswerthen Geschick, Gegenstand der heftigsten, ja feindseligsten Angriffe in den öffentlichen Blättern zu sein. Das erste Mal gab die bekannte Twesten’sche Brochüre und das darauf folgende Duell Veranlassung, den General auf eine Weise in die Oeffentlichkeit zu führen, welche für den größten Theil des Publicums eine unliebsame war. Zum zweiten Mal knüpften sich im Jahr 1866 für ihn höchst kränkende Insinuationen an die Abberufung des Generals von Falckenstein von dem Commando der Mainarmee und seine Nachfolge in dieser Stellung. Und endlich sind in diesen Tagen in einer Frankfurter Zeitung die gravirendsten Beschuldigungen gegen ihn erhoben und von allen Blättern wiedergegeben worden. Es ist dies eine sehr auffallende Erscheinung. Herr von Manteuffel ist in den beiden großen Kriegen ein glücklicher General gewesen, und nach den competentesten Urtheilen hochgestellter Officiere, die in beiden Feldzügen unter ihm gedient haben, hat er den klaren Blick, die Entschlossenheit und die Thatkraft, welche den Feldherrn machen, hinlänglich gezeigt. Nach denselben Zeugnissen ist er ein freundlicher Vorgesetzter und um das Wohlbefinden des Soldaten sorgsam bemüht.[1] Nur eine absichtliche Parteilichkeit kann diese Thatsachen in Abrede stellen, selbst wenn den Darstellungen in dem Generalstabswerke über den Krieg von 1866 und in den officiellen Entgegnungen auf den Artikel der Frankfurter Zeitung kein allein entscheidendes Gewicht beigelegt werden sollte. Und doch sind diese sämmtlich von dem Obersten von Verdy verfaßt, von einem Mann also, in dessen unbedingte Glaubwürdigkeit in der ganzen Armee nicht der entfernteste Zweifel gesetzt wird, und dessen Urtheil um so eher maßgebend sein kann, als er in dem Kriege von 1866 in dem Generalstabe Manteuffel’s sich befand. Wenn man auf der andern Seite in Betracht zieht, daß in der Presse wie auf der Tribüne minder glückliche Führer selbst nach Tagen wie der von Trautenau mit der äußersten Schonung behandelt sind, so ist die Frage wohl berechtigt, woher die Abgeneigtheit gegen den einen General stammt, wie sie sich nicht nur in den offenen Angriffen, sondern auch in den fast widerwilligen Zugeständnissen ihrer Unbilligkeit ausspricht. Die Hinweisung auf die frühere amtliche Thätigkeit des Herrn von Manteuffel an der Spitze des Militärcabinets kann wohl manche Abneigung erklären, wird aber schwerlich Jemandem ein erschöpfender Grund einer so weit verbreiteten Stimmung scheinen. Warum stößt sein Nachfolger in dem allerdings höchst delicaten Amt, General von Treskow, nicht auf dieselbe Gegnerschaft, obwohl er nach denselben Principien verfährt? – Auch die streng orthodoxe kirchliche Richtung, welche von dem General allerdings stets lebhaft betont worden ist, kann bei den Gegnern derselben nicht das abfällige Urtheil über seine militärischen Leistungen hervorgerufen haben, wie einige seiner Vertheidiger meinen.

Gönnt man doch anderen Männern in gleicher Stellung den Frieden ihrer religiösen Anschauungen, wie zum Beispiel dem Feldmarschall Grafen Moltke, der den Aufruf zu dem evangelischen Kirchentage im nächsten Monat unterzeichnet, deshalb aber noch keine Angriffe von Seiten Andersdenkender zu erdulden gehabt hat. Es mögen diese Dinge mitgewirkt haben; sie sind aber nicht die alleinigen Ursachen der nicht abzuleugnenden Mißstimmung. Ich glaube diese letztere auf zwei Momente zurückführen zu müssen, die ich mich nicht zu besprechen scheue, weil Herr von Manteuffel der Geschichte angehört und eine Charakteristik, selbst wenn sie Schwächen berührt, dem verdienten Mann keinen Abbruch thun kann.

Herr v. Manteuffel leidet selbst bei seinen Freunden unter dem Vorwurfe der übertriebenen Empfindlichkeit, den er bei ernster Selbstprüfung kaum wird zurückweisen können und der ihm an vielen Stellen die Theilnahme entfremdet hat, auf welche er sonst die gerechtesten Ansprüche erheben kann. Näherstehende hatten diese Schwäche schon früher wahrgenommen; sie mußte aber allgemein erkennbar werden bei Gelegenheit des Duells mit dem Stadtgerichtsrath Twesten, dessen Veranlassung eine so unzureichende war, daß sie nur in der verletzten Eitelkeit des vermeintlich Beleidigten ihre Erklärung findet. Wenn sich Jemand in einer so hervorragenden politischen Stellung befindet, wie es bei Manteuffel als Chef des Militärcabinets der Fall war, so muß er auch darauf gefaßt sein, daß seine amtliche Wirksamkeit einer öffentlichen Kritik anheimfällt, und einen rein sachlichen Tadel hat er zu achten, aber nicht als persönliche Beleidigung anzusehen. Wenn Twesten’s Beurtheilung der amtlichen Thätigkeit Manteuffel’s nicht beifällig ausfiel, so verdiente sie eine Widerlegung, enthielt aber so wenig eine Ehrenkränkung wie die Worte, in denen sie gipfelte: „dieser unheilvolle Mann“.

Nicht angenehm berührten sodann die zahllosen Reden, die Herr v. Manteuffel als Generalgouverneur in den Elbherzogthümern bei jeder denkbaren passenden und unpassenden Gelegenheit hielt. Es ist das natürliche Schicksal solcher Improvisationen, daß sie nicht immer den Nagel auf den Kopf treffen und ihre Verheißungen meist nicht in Erfüllung gehen, ein Schicksal, das den Redenden selbst nicht in ein günstiges Licht zu stellen geeignet

  1. Dem wird freilich von anderer Seite geradezu widersprochen. Officiere, welche unter dem General gedient, rütteln mit Entschiedenheit an der versuchten Glorificirung Manteuffel’s – als eines glücklichen Generals und bestreiten ebenso die Beliebtheit desselben bei seinen Officieren und Soldaten.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 648. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_648.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)