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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Tapfern die Minuten in solcher Zeit des Abwartens, wo Leben, Familie, Habe, wo Alles, was ein Mann sein nennt, auf dem Spiele steht. Nur der Capitain versuchte auf seine Uhr zu sehen, aber obwohl draußen die Sterne so hell funkelten, daß man auf einen nahen Feind vortrefflich zielen konnte, hier im Waldesschatten war es desto dunkler, er konnte die Zeiger auf dem Zifferblatte nicht erkennen. Neben ihm hatten diesen äußersten Posten noch zwei Nachbarn. Aloys, der einen doppelläufigen Carabiner führte, lag hart bei ihm wie ein Hühnerhund auf dem Bauche und spähte durch die untersten Baumstämme der Fenz auf die Prairie hinaus. Der Capitain saß auf einem Feldsteine und hatte den Lauf der Büchse auf die Riegel gelegt.

Die Nachtstille wurde fast schauderhaft; selbst die Windstöße aus der Prairie hörten auf, als die Mitternacht langsam heranschlich.

Da schwirrte etwa fünf Minuten Wegs vor der Ansiedelung eine Kette Prairiehühner in die Luft; man hörte deutlich den scharfen knatternden Schlag ihrer Flügel.

„Da sind sie,“ flüsterte Aloys.

In diesem Moment erhob sich in dem unbestimmten Sternenlicht eine dunkle Linie aus der Prairie. Die Indianer, welche bisher herangekrochen waren, sprangen auf ihre Füße und liefen mit fast lautlosem Trott über das Gras auf das Haupthaus zu.

Jetzt mußte sich’s entscheiden. Schoß jetzt ein Mann von den Weißen zu früh, so war Alles verloren. Der Capitain faßte sein Gewehr krampfhaft; jede Secunde fürchtete er den Schuß aus dem Walde blitzen zu sehen. Aber Alles auf seiner Linie bis zum Pferdehag blieb still. Jeder Mann dachte mit Schaudern, ob jetzt die Indianer sich gegen das Haus wenden würden, das all’ ihr Lebensglück umschloß.

Aber Aloys hatte Recht gehabt. Die Indianer trabten an dem Hause, an den Kühen vorbei und liefen auf das Gatter des Pferdehags zu.

Da – „Fire!“ scholl der laute Ruf des Amerikaners. Elf Blitze schlugen aus dem dunkeln Hag. Und dann mit lautem frohem Hurrah sprangen die Gestalten der weißen Männer in das aufgerissene Gatter. Die Indianer schossen in jähem Schreck ihre Flinten los, ohne zu zielen, aber schon wütheten die Bajonnete in ihren Eingeweiden. Mit dem wilden Geheul eines verwundeten Raubthieres zerstreuten sie sich und eilten theils einzeln in die Prairie hinaus, theils dem schützenden dunkeln Walde zu. Aber gerade als sie den Zaun erreichten, der vor dem Walde die Wiese umgab, knatterte ihnen eine frische Gewehrsalve entgegen. Die dennoch den Zaun erklettern wollten, fielen von Revolverschüssen, die Anderen rannten besinnungslos der Prairie zu. Die weißen Männer auf dem Waldposten hörten die kleine Schwadron von elf Pferden aus dem Roßhag den Fliehenden in die Prairie nachstürmen. Allein in diesem Moment sah Aloys dicht am Walde eine dunkle Masse, die gegen den Posten sich bewegte, wo sein Vater und er stand.

„Zu Hülfe dem Capitain und frisch geladen!“ schrie er den Männern zu, die schon in Siegesfreude sich wiegten. Er selbst hatte seine Revolverschüsse gespart.

Auch die Indianer zeigten auf ihre Weise Taktik. Mit einem Dutzend seiner besten Krieger war ihr Häuptling als Reserve hinter der Linie seiner Leute geblieben, welche gegen den Roßhag vorging. Sie Alle trugen Aexte; mit ihnen wollte man das große Haus angreifen, während die Anderen das Vieh wegtrieben. Jetzt war das Alles verloren; aber noch Rache wollte der rothe Mann für die Gefallenen und wenigstens einen Skalp mitbringen aus dem unrühmlichen Gefecht. Sein scharfes Auge hatte an den Schüssen erkannt, daß auf dem letzten Posten nur wenige Männer standen; auf diese rannten jetzt die zwölf Indianer blitzschnell vor. Wie wilde Luchse übersprangen sie den Zaun, zwei der Weißen fielen unter ihren Schädelhieben, ehe sie noch die Gefahr recht erkannt, und der Häuptling wurde mit dem Capitain handgemein. Der Kampf war nicht ungleich, dieser mit dem langen Messer, jener mit dem Tomahawk. Der Indianer erhielt einen Stich in den Arm, aber er unterlief den zweiten Stoß und warf durch die Wucht seines Anpralls den weißen Mann nieder.

„Zu Hülfe dem Capitain!“ scholl zum zweiten Mal die schrille Stimme des Knaben. Er war fast am Boden liegen geblieben; jetzt sprang er auf, schoß zwei Läufe seines Revolvers ab und blendete die anderen Angreifer. Dann nahm er den Carabiner in beide Hände, schritt auf den Indianer los, der zum Todeshieb auf das Haupt des Capitains ausholte, und schmetterte ihm das Schloß des Carabiners an die linke Schläfe. Den Kolben brach ein Schlag ab; aber wie ein Ochs, den das Beil des Schlächters trifft, fiel das mächtige Mannsbild mit einem tiefen Stöhnen zu Boden. In diesem Augenblicke brachen die Männer von dem nächsten Waldposten laut rufend durch’s knackende Unterholz und Dorngestrüpp, das Bowieknife in der Hand, und die elf Reiter aus der Prairie kamen in Galopp zurückgesprengt, weil sie zu ihrer Verwunderung das Schießen in ihrem Rücken sich erneuern hörten. Die noch kampffähigen Indianer verloren den Muth: ein paar entkamen in den Wald; zwei, die über den Zaun wieder zurücksprangen, wurden von der kleinen Schwadron niedergeritten und dann mit dem Bajonnete abgethan. Der ganze Kampf war in weniger als zehn Minuten entschieden; die Reiter hielten noch eine Weile in der Prairie, auch die Posten am Waldsaum stellten sich noch einmal auf für den Fall, daß unversehens noch ein Angriff käme. Aber Alles blieb still, man hörte nur das Röcheln der Sterbenden. Der Capitain befahl der ganzen Mannschaft, sich vor dem Hause zu sammeln; die Frauen öffneten die Läden, die Reiter ritten zu ihnen und umarmten sie von den Pferden. Ein lauter Freudenschrei stieg aus allen Herzen empor.

Die Ansiedlung war gerettet. Die Weißen hatten nur auf dem äußersten Posten Einen Todten und Einen Verwundeten; dann war am Gatter des Roßhags einer der Ansiedler in das Bajonnet des andern gelaufen und hatte eine gefahrlose Fleischwunde zwischen den Fingern erhalten. Aber von den Indianern fand man fünfzehn Todte, und starke Blutspuren nach der Prairie zeugten davon, daß manche mit schweren Wunden geflüchtet waren. Bei anbrechendem Tage ritten drei Männer wohlbewaffnet zu dem Mititärposten der Vereinigten Staaten, der im Rücken der Ansiedlung lag; am Abend rückte ein Detachement regelmäßiges Militär ein, die weiter zurückliegenden Posten wurden vom Commandeur in den nächsten Tagen verstärkt, und nie wieder hat der Fuß eines feindlichen Indianers die Ansiedlung betreten. Heute, so wenige Jahre nach jener Angstnacht, ist sie zu einem blühenden und wohlhabenden Dorfe an der nordwestlichen Ecke von Iowa geworden und bildet mit Kirche, Schul- und Gerichtshaus und einigen Kaufläden ein kleines Culturcentrum für die Ansiedler, welche, von ihr im Rücken gedeckt und mit der Welt vermittelt, jetzt schon meilenweit hinaus in die Prairie den Pflug geführt und die Sense geschwungen haben.


Vierzehn Jahre vor diesen Ereignissen war Wölfling in die Gegend eingewandert. Zu jener Zeit war Alles umher noch unvermessenes Wald- und Prairieland; er hatte jene Opening sich ausgewählt und sich als Squatter daselbst niedergelassen. Damals brachte er aus Deutschland eine Frau und den Aloys mit, der noch an der Brust lag. Seine bürgerliche Stellung war ohne Makel; er hatte klein angefangen und hart gearbeitet, aber der Boden war gut und zehn Jahre hatte er Mais bauen können, ohne zu düngen. Dann begann er Weizen zu säen und zu verkaufen. Gute Pferde von der ausdauernden canadischen Race züchtete er mehr, als für seine Farm nöthig war; sie wurden von neuen, meist deutschen Ansiedlern gern gekauft, die in seiner Nähe sich niederließen. Der Hausstand vermehrte sich in Amerika noch um vier Kinder; das älteste nach Aloys war ein Mädchen, das trotz seiner Jugend nach dem Tode der Mutter die Sorge für die einfache Haushaltung und für die kleinen Kinder verständig in die Hand nahm. Man wußte, daß Conrad Wölfling aus dem Rheinlande und zwar von der Ahr abstammte; soviel konnten seine deutschen Nachbarn allenfalls aus seinem Dialekt schließen. Sonst wußte man nichts von seiner Vergangenheit, er war ein stiller und besonnener Mann und redete über das, was hinter ihm lag, wenig. Daß er in der preußischen Armee gedient, verrieth seine stramme soldatische Haltung; deshalb und weil sie ihn achteten, hatten seine Nachbarn ihn zum Capitain für ihre freiwillige Bewaffnung gewählt. Jeder der neuen Ansiedler war ihm zu Dank verpflichtet: dem einen hatte er sein Blockhaus aufsetzen helfen, dem andern Saatkorn vorgeschossen, dem dritten auf sein ehrliches Gesicht Milchkühe und Fohlen auf Credit verkauft. Auch die Frau, so lange sie lebte, war Allen freundlich gewesen und hatte tapfer zum Wohlstand des Hauses mitgewirkt. Als sie starb, galt ihr Mann für einen der angesehensten und reichsten Farmer an der Westgrenze des Staates.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 663. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_663.jpg&oldid=- (Version vom 1.3.2018)