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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

1854; zu Sarquitten bei Rastenburg 1854; bei Buchholz im sächsischen Erzgebirge 1860; im Laubwalde Leine bei Altenburg 1864. Außerhalb Deutschlands ist der Heerwurm, abgesehen von Schweden und Norwegen, noch in Litthauen, in der Schweiz unweit der Tarasper Salzquelle (1851) und, wie schon bemerkt, im Tatra- und Karpathengebirge aufgefunden. Diesem nach sind die Heerwurmerscheinungen bislang immer noch selten genug gewesen, um darauf die Worte des Dichters Anwendung finden zu lassen:

Das ist ein seltsam wunderbares Zeichen,
Es leben Viele, die das nicht geseh’n.


Unter den Tropen.[1]

II. Ein Tigergefecht.

Es ist eine Anzahl Jahre her. Ich befand mich zur Zeit in Surakarta, Hauptstadt des Kaiserreichs Solo – Surakarta Adining-rat, der Welt Ruhm und Stolz, wie die Javanen in ihrer blumen- und sinnreichen Sprache sie nennen, als mich am frühesten Morgen schon heitere Musik von der Straße her weckte. Rasch erhebe ich mich vom Lager und verlasse meine Wohnung. Die ganze Stadt trägt ein festliches Gepräge. Zahllose Gamellans, die beliebte nationale Musik der Javanen, lassen allerorten ihre fröhliche Weise ertönen und begrüßen munter, im schnellen Tempo, mit ihrem reinen vollen Metallklange weithin schallend, den anbrechenden Tag. Endlose Laubfestons, deren graziöse Bogenwindungen an buntbemalten Lanzenschäften befestigt sind, fassen die Hauptstraßen zu beiden Seiten ein, geschmackvoll aus schlanken Bambus errichtete, mit grünen Palmblättern und rothen Daluwangzweigen malerisch decorirte Ehrenpforten schmücken den Eingang des Vorhofs zum Residenz-Hôtel, und die Fähnlein der en haie aufgestellten Pikenträger flattern zu vielen Tausenden im Winde. Das Gewühl auf den Straßen wird lebhafter und immer lebhafter. In Gruppen zu zehn, zwölfen schreiten sie dahin, beherzte Männer, mit freudestrahlenden Augen, die lange Lanze in der Faust. Dann wieder ist’s ein Haufe Frauen, umringt und gefolgt von ganzen Schaaren fröhlicher Kindergesichter. Alle haben sie sich herausgeputzt, und stammt ihr Sonntagsstaat auch nicht aus den Pariser Modemagazinen, es ist eine Freude, wie reinlich, wie sauber der einfache Anzug ist und kleidsam. Das rabenschwarze Haar ganz glatt gekämmt und in der eigenthümlichen Landesfrisur als Sangul den Nacken bedeckend, um den sich ein duftender Kranz von Melati- oder Tandjung-Blumen windet.

Meilenweit sind die Bewohner aus der Umgegend herbeigeeilt. Wie die Wellen des Meeres wogt es in den breiten Straßen, Aller Gedanken concentriren sich auf einen Punkt, es ist nur ein Gedanke, welcher Groß wie Klein beschäftigt und dieser Gedanke findet seinen Ausdruck in der fieberhaften Erregung, womit aus aller Munde das Wort Rampok! rampok! ertönt. Und wirklich, ein Tigergefecht – rampok – das ist ein fürstliches Vergnügen, ein Schauspiel, welches man nur noch am Hofe der Fürsten in Solo oder Djokjo erlebt, das Größte, das Interessanteste der nationalen Volksbelustigungen der Javanen.

Wir folgen dem wogenden Menschenstrom. Er führt uns nach wenigen Minuten hin zu einem breiten, im modernen Stil erbauten Thor. Vor uns liegt ein weiter Platz, die Alun-Alun genannt, in Größe dem Pariser Champ de Mars so ziemlich gleich. An den vier Seiten ziert ihn eine Einfassung hoher hundertjähriger Waringins. Die dichtbelaubte feinblätterige Laubkrone spendet zu jeder Tagesstunde Schatten und Kühlung. Zur rechten Hand an der Alun-Alun erhebt sich die Moschee und unter ihrem Säulen-Portico läßt sich heute der kaiserliche Gamellan vernehmen. Er trägt seinen eigenen Namen, Sekaten. Sein voller, glockenreiner Ton macht einen überwältigenden, tief ergreifenden Eindruck. In nächtlicher Stille trägt die Vibration der Luftwelle, mit jedem Schlage der großen, wohl vier Fuß messenden Gongscheibe, den Schall bis zur Entfernung von zwei englischen Meilen. Selbstverständlich ertönt der Sekaten nur bei sehr feierlichen Gelegenheiten.

Gerade gegenüber unserm Standort nimmt eine hohe weißgetünchte Mauer diese ganze Seite der Alun-Alun ein. Hinter ihr liegt die Residenz des Kaisers. An der linken Seite des Platzes endlich fällt in’s Auge ein nur wenige Ellen hinter einer Mauer hervorragendes Gebäude – der kaiserliche Tigerzwinger, eigentlich ein kolossaler, ungefähr fünfundzwanzig Fuß in der Länge messender und ebenso breiter Käfig. Wände, Decke wie Flur bestehen aus starken, mit dicken eisernen Reifen und Klammern wohlbefestigten und miteinander verbundenen Palissaden aus vortrefflichem Teakholz. Zwei niedrige Oeffnungen, mit starken Fallthüren versehen, gewähren den gefangenen und lebend herbeigeschleppten Insassen Einlauf in den Zwinger. In diesem engen Raum hausen beständig die Königstiger, gewöhnlich sechs bis acht an der Zahl, keineswegs in gewünschter Harmonie, mit und neben einander. Das Recht des Stärksten gelangt hier in dieser idyllischen Tigerrepublik zur vollsten Geltung. Es ist ein Gebrüll, ein Springen, ein Lärm ohne Ende. Tritt einmal ein Augenblick relativer Ruhe ein, so scheint es den Bestien ein Bedürfniß, durch fortwährendes Knurren und Brummen und Zähnefletschen zu bekunden, daß dieses brüderliche Zusammenwohnen ihnen keineswegs behagt. Und darin mögen sie theilweise nicht ganz Unrecht haben. Ihre Nahrung ist gerade keine reichliche und leidet nicht an Abwechselung. Hunde, Hunde, toujors Hunde, an Fest- wie Wochentagen. Und wer den in den Javanischen Kampongs halbverwildert umherirrenden, räudigen, abgemagerten Dorfhund von Ansehen kennt, wird begreiflich finden, wie ein solcher Bissen gerade nicht zu den appetitlichsten gehört. Das Regime empfiehlt sich jedoch durch seine Billigkeit. Solch eine Hunde-Razzia kostet gar nichts und je mehr man sie wegfängt, je fruchtbarer scheint der Nachwuchs der Race zu werden.

Ein Hofbeamter, mit dem Titel und Sonnenschirm eines Mantri, ist Vorgesetzter des Zwingers. Der Zutritt in den Hofraum steht Allen und Jedem zu jeder Stunde frei. Die Segnungen des civilisirten Polizeistaats sind im Reiche Solo noch ziemlich unbekannt. An Gaffern ist denn auch selten Mangel. Vorzüglich umstehen die Neulinge von der europäischen Garnison der Citadelle oft schaarenweise den Zwinger, dem man sich bis an die Palissaden nähern kann. Wer jedoch den Eau de mille fleurs-Duft liebt und vorzieht, der thut besser, er hält sich in einer respectabeln Entfernung. Der Gestank ist ein wahrhaft pestilenzialischer, da an eine regelmäßige oder unregelmäßige Reinigung der Tigerhôtels selbstredend niemals gedacht wird.

Aber welch interessantes Schauspiel bietet jetzt der Anblick der Alun-Alun dar! Der ganze weite Platz hat sich nach und nach mit Menschen gefüllt. Es wogt dort wie ein Meer und immer strömen und drängen sich noch neue Zufuhren massenhaft durch die drei Eingangsthore heran. Alles jubelt und jauchzt wild durcheinander, Frauen, Männer und Kinder.

Links, in der Nähe der Eingangspforte zum Kraton, sind mehrere Tribünen errichtet, reich und geschmackvoll decorirt mit Grün und buntem Fahnenschmuck. Neben der Tribüne sieht es aus wie ein musikalisches Festlager. Eine ganze Reihe Gamellans, zu denen die Prinzen ihr hübsches Contingent geliefert, hat dort Posto gefaßt. Die Gamellans der Regenten und anderer höherer Beamten, welche als Untergebene des Reichsverwesers in den Provinzen das Regiment führen, sind ebenfalls herbeigeholt und an der dem Kraton gegenüberliegenden Seite der Alun-Alun aufgestellt. Jedes Orchester spielt ganz unbekümmert um seinen Nachbar und ohne Aufhören seine eigene lustige Weise und dazwischen ertönt, alle Concurrenz überwältigend und beschämend, der volle tiefe Ton des Sekaten mit seinen, fernem Kanonendonner ähnlichen Gongschlägen. Es ist ein Lärm, ein buntes Tohu-Bohu, ein Bild, des Pinsels eines Teniers oder Breughel würdig. Aber wohin das Auge immer späht, wohin das Ohr auch lauscht, nirgends selbst nur die Spur eines Excesses, unziemlichen Wesens oder Drängens, einer Balgerei oder Schlägerei. Wohl ihrer fünfzigtausend sind sie da zusammengeströmt, auf engem Raum, alles fröhliche, lustfreudige Menschen, keine Polizei, kein Militär ist zu erblicken und nicht Einer unter


  1. Eine neue Skizze aus der Feder des Herrn K. de C. in Holland, der, wie unsern Lesern aus dem vorigen Jahrgang bekannt ist, gegen dreißig Jahre in Java lebte und daselbst in verschiedenen Provinzen die Stelle eines Gouverneurs bekleidete. D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 668. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_668.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)