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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Dazumal war sie ein schönes braunes Mädchen, feiner anzusehen als die anderen Dirnen von den Dörfern. Sie war auch ein armes Kind wie ich, dazu eine Waise, und diente bei einem Verwandten als Wirthschafterin. Obwohl ich dazumal ein blöder und gar nicht geschickter Mensch war, hatte sie mich herzlich lieb. Auch sie sparte von ihrem Lohne und wir meinten in ein paar Jahren unser eigen Heimwesen anfangen zu können. Wenn das so fortging, so wäre ich heute höchstens ein armes Bäuerchen im Ahrthal mit Einer Kuh; aber freilich,“ fügte er hinzu, und eine Thräne kam ihm in’s Auge, „dann würde wohl Deine Mutter uns noch leben.

Inzwischen kamen die Jahre vor der großen Revolution von 1848. Es waren böse Zeiten für die armen Weinbauer auf der Ahr. Die Lese war mehrmals schlecht, die kleinen Leute kamen aus den Schulden gar nicht mehr heraus und mußten am Ende verkaufen. Aus unserer Gegend wanderten Viele nach Amerika; von diesen kamen bald Briefe, die uns die Augen öffneten. Die Menschen fingen auch bei uns nachzudenken an. Was arme Leute waren wie ich, die hofften, wenn einmal eine Revolution käme, würde es ihnen besser gehen als vorher. Der lange Militärdienst sollte aufhören, der unser Einem die bestem Jahre zum Erwerb wegstiehlt; die Moststeuer wollte man abgeschafft haben, damit man an den Rebbergen mehr verdiente, und die Leute dachten, es sollte bald drüben so werden wie hier in Amerika, daß Alle gleich wären und auch ein armer Mann es zu etwas bringen könnte. Ich war mit Leib und Seele bei der Sache, hielt mich Sonntags im Wirthshause zu den demokratischen Führern und half auch die Anderen überzeugen. Was ich damals gemeint habe, meine ich auch heute noch, und darum bin ich hier gegen die Sclavenbarone, wie ich dort gegen die Adeligen war.

Nun mußte ich im Herbst als Landwehrmann zur Uebung eintreten. Ich war Knecht bei einem reichen Bauern und dachte an kein Verändern. Aber meinem Herrn setzten bei einer Versammlung des landwirthschaftlichen Vereins ein paar Rittergutsbesitzer und Beamte beim Weine zu. Ich sei ein Communist, sagten sie, der vor dem Eigenthume keinen Respect habe, und mit so Einem fahre man auf einem Bauernhof auf die Länge nicht gut. Als ich heimkam, fand ich einen andern Knecht in meiner Arbeit. Mein Herr kündigte mir wohl nicht, aber ich sah, daß ich unwerth geworden war und überflüssig, und ich suchte mir freiwillig einen andern Dienst.

Dabei ging’s mir aber schlecht. Auch die anderen reichen Eigenthümer wollten keinen Knecht, der beim Landrath übel angeschrieben stand. Ich bekam nur bei einem Bauer, der selbst arm war, einen schlechten Dienst. Das hätte ich schon ausgehalten und auf die Revolution gewartet, die ja auch bald gekommen ist, aber Eins schnitt mir tief in’s Herz: Deine Mutter war nicht mehr zu mir, wie sie zuvor gewesen.

Es lebte damals in unserer Gegend ein Mensch aus der Provinz Posen, er war aber ein richtiger Deutscher; der hatte sein Lebenlang im Herrendienste gestanden und war immer auf den großen Gütern gewesen, wie man sie drüben in den östlichen Provinzen hat. Jetzt war er Jäger und Reitknecht bei einem reichen Rittergutsbesitzer in der Eifel und dachte wie so Mancher: ‚Weß Brod ich ess’, deß Lied ich sing’.‘ Von Anfang an, da er aus Ostpreußen herüber kam, war er gegen die Bauern spöttisch und feindselig gewesen. Er hütete die Forsten seines Herrn und war den Waldfrevlern hart und streng. Früher hatte eine arme Frau in der Herrschaftswaldung wohl Holz lesen und Streu sammeln dürfen, er aber wollte das nicht mehr leiden. Auf den Dörfern erzählte man von ein paar Mädchen, er hätte sie freigegeben, weil sie in ihrer Angst ihm mehr zugelassen hätten, als ein Mädchen einem Manne zulassen soll. Am meisten aber haßte man ihn wegen einer andern Sache. In unserer Kreisstadt, wo die Leute unseres Schlages auch fest zusammenhielten, wohnten zwei Männer, die wir als unsere Führer ansahen. Der eine war ein pensionirter Beamter aus der französischen Zeit her, der andere ein Handwerksgesell, der bei den Vereinen in der Schweiz gewesen war. Diese hatten einmal im Wirthshause stark über den König, die Junker und das Militärwesen gesprochen, und das war verrathen worden. Ein Gerichtsschreiber, der im Stillen zu uns hielt, that es uns zu wissen, daß die Beiden sollten verhaftet werden. Man hätte sie dann nicht vor die Geschworenen, sondern klüglich vor das Zuchtpolizeigericht gestellt und auf ein paar Jahre Gefängniß verurtheilt. Wir flüchteten sie noch an dem Abend, wo wir davon hörten, in den Wald, dann kamen die Steckbriefe ihnen nach, und sie haben sich nachher durch die Eifel nach der französischen Grenze durchgeschlagen. Da hatte nun der Fritz, wie man nachher erfuhr, Tag und Nacht die Wälder mit dem Hunde nach ihnen abgesucht, um sie einzufangen und der Polizei zu überliefern.

Natürlich, das verziehen wir ihm nicht, ich und alle jungen Leute von unserer Partei. Aber es war ihm schwer etwas anzuhaben; denn das muß ich sagen, es war ein stattlicher und in seiner Art auch ein tüchtiger Mensch, und wenn er so auf einem Prachtroß seines Herrn, das er eben zuritt, auf der Kirmeß in irgend einem Dorfe herangesprengt kam, da konnte man wohl begreifen, warum die Mädchen so gern mit ihm tanzten.“

Als der Capitain so sprach, sah Aloys mit blitzenden Augen und gehobenem Haupte in das vor ihm brennende Licht. Der Erzähler aber bemerkte es nicht, denn er hatte die Hände auf seine Kniee gelegt, den Kopf über den Schooß gesenkt und redete fort, ohne den Knaben anzublicken.

„Bei einer solchen Kirmeß war es, daß ich zuerst merkte, was vorging. Ich war ja ein armer Bauernknecht, er hatte an Lohn und Ansehen dreimal mehr als ich, und sein Herr, hieß es, wollte ihn zum Verwalter über das ganze Rittergut setzen. Deine Mutter tanzte oft und willig mit ihm, und in ihren Augen stand es geschrieben, daß sie ihn gern hatte.

Was nun folgte, mag ich nicht erzählen. Oft noch traf ich Deine Mutter auf dem Felde, wenn die Mädchen oder Schnitter ihre Mittagsruhe hielten. Ich habe ihr zugeredet, habe ihr die Mädchen als Warnung vorgehalten, die Fritz schon unglücklich gemacht hatte – aber es war umsonst. Es giebt Männer, Aloys, die sind, als verständen sie die Hexerei, und die Weiber könnten ihnen nicht widerstehen. Sie sagte mir zuletzt, daß sie mich nicht mehr wollte, und daß sie den Fritz heirathen würde, wenn er erst Verwalter geworden wäre.

Aloys, Du bist ein junger Bursch, und wie weh es einem Manne thut, wenn ein Mädchen ihm die Treue bricht und so an einen feindseligen Menschen sich hängt, das kannst Du noch nicht fassen. Aber dann der Spott der andern Bursche, wenn man Sonntags einmal auf die Kegelbahn geht, und daß man zu dem Spott schweigen muß –“

„Doch,“ sagte Aloys, „das verstehe ich.“

„Also es wanderten zu der Zeit viele Leute nach Amerika. Jedem, der den Kopf etwas höher trug, machten sie ohnehin das Lebens sauer. Ich entschloß mich kurz und gut, auch zu thun wie die Anderen. Einen Auswanderungspaß konnten sie mir nicht abschlagen, da ich meine Militärpflicht abgeleistet hatte; Geld für die Reise hatte ich mir genug gespart. Beim Agenten kaufte ich mir einen Platz auf einem Schiffe, das von Antwerpen abging. Ich hatte bis zur Abfahrt aus dem Hafen noch vier Tage Zeit, aber es ließ mir keine Ruhe mehr. Ein Camerad nahm meine Kiste nach Antwerpen mit; ich wollte in Köln noch Bekannte besuchen, die ich dort von der Militärzeit hatte, und machte mich zu Fuß durch die Eifel dahin auf. Es war ein Sonntagmorgen, nach der Kirche, die jungen Bursche gaben mir noch bis auf’s nächste Oertchen das Geleit und tranken da mit mir den Abschied.

Nun weiß ich noch ganz genau das Dorf und das kleine Wirthshaus drei Stunden von Köln, wo ich Abends einkehrte. Die Leute kannten mich dort; als Militär war ich hier immer durchgekommen, wenn ich auf Urlaub nach Hause ging. Alles war noch auf den Feldern, ich ließ mir ein Glas Bier geben und saß ganz allein in der Wirthsstube. Mein Gemüth war schrecklich düster. Ich wußte, daß Fritz glücklich war, ich fürchtete nur, daß er mit Deiner Mutter es nicht ehrlich meinte, denn die Welt lag vor ihm, und sie war ja ein armes Mädchen. Aber im Zorn meines Herzens war ich fortgegangen, ohne sie noch einmal zu sehen, ohne ihr Adieu zu sagen. Wenn ich sie nur noch ein einziges Mal vor dem Menschen warnen könnte, sagte ich zu mir selbst. Das brannte mir auf der Seele. Schlafen, das spürte ich, hätte ich die Nacht doch nicht können. Der Mond ging hell und schön auf: ich bezahlte mein Bier, als die Leute vom Feld in’s Haus kamen, und weil ich mich schämte zurückzulaufen, sagte ich der Wirthin, ich wolle die Nacht noch auf Köln und morgen mit der Eisenbahn an’s Meer. Als ich aber vor’s Dorf kam, ging ich durch Heckenwege zurück, Alles war jetzt am Nachtessen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 682. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_682.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)