Seite:Die Gartenlaube (1871) 692.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

„Das ist ja der reine Weizen – Erdmann, da muß ich schelten! Sie wissen, daß mir eine solche achtlose Verschwendung ein Gräuel ist. Bei uns kommt das Getreide nutzlos um, und manches arme Kind sehnt sich vergeblich nach einer Semmel.“

Eine förmliche Erbitterung überkam mich – wie doch dieser Mann seinen Geiz zu beschönigen verstand! Er schalt nicht, weil ihm in dem verschwenderisch hingeworfenen Weizen ein paar Groschen verloren gingen – Gott bewahre! Die Semmel wurde beklagt, die für ein hungriges Kind aus den Körnern möglicherweise hätte gebacken werden können.

Der alte Erdmann entschuldigte sich damit, daß auch nicht ein Körnchen Gerste mehr im Hause gewesen sei. Er zog wie ein schuldbeladener Sünder den Kopf zwischen die Schultern und suchte eiligst das rettende Bosquet zu gewinnen. … Hu, diese abscheulichen blauen Gläser, wie sie ihm nachfunkelten! Ich mochte sie aber auch gar nicht mehr ansehen. Ich wandte das Gesicht weg; meine Hände griffen in das nächste Gebüsch und zupften und zausten an den Blättern und streuten sie achtlos über den Kies hin.

„Was hat Ihnen denn der arme Chocoladenstrauch gethan?“ fragte Herrn Claudius’ Stimme neben mir wieder so sanft und gleichmüthig, als sei sie es gar nicht gewesen, die eben noch gescholten. „Denken Sie einmal, wenn nun doch in den muthwillig und nutzlos abgerissenen Blättern ein klein wenig von dem Heimweh lebte, das Sie quält –“

Ich bückte mich, las schleunigst die Blätter vom Boden auf, schichtete sie übereinander und legte sie auf den kühlen Rasen, dicht neben den Hauptstamm des Strauches, indem ich einen dickbelaubten Zweig über sie hinbog. „Nun sterben sie doch wenigstens in der Heimath,“ sagte ich und sah wider Willen in die Brillengläser hinein.

„Werden Sie es hier aushalten können?“ fragte er.

„Ich muß wohl – ich soll ja gebildet werden, und dazu gehören zwei Jahre“ – ich faltete unwillkürlich und seufzend die Hände – „zwei lange Jahre! … Aber es hilft nichts, ich weiß nun auch selbst, daß ich lernen muß – ich bin doch zu entsetzlich unwissend in der Haide geblieben! … Das kleine Gretchen da drüben weiß ja mehr als ich!“

Er lachte leise auf. „Nöthig ist Ihnen diese Lehr- und Leidenszeit freilich, wenn ich bedenke, wie sauer es Ihrer kleinen Hand wird, den eigenen Namen zu schreiben,“ sagte er. „In zwei Jahren können Sie viel lernen; aber Ihr Vater und vielleicht auch Andere werden wünschen, daß Sie Manches nicht in Ihre junge Seele aufnehmen, was die Welt, und vor Allem das Leben in einer Residenz, lehrt und verlangt. … Frau Ilse hat mich gestern ersucht, Ihr Thun und Treiben zu überwachen.“

Ein jäher Schreck durchfuhr mich – das litt ich nicht! Dagegen wehrte ich mich aus Leibeskräften! Freiwillig begab ich mich ganz gewiß nicht in das unerträgliche Joch, unter dem Dagobert und Charlotte schmachteten! Seltsam aber war es doch, daß ich nicht den Muth fand, ihm diesen meinen festen Entschluß ungescheut in das Gesicht zu sagen.


Streifzüge eines Feldmalers.  Nr. 1.  Der Humor vor Metz.
Von Chr. Sell in Düsseldorf.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 692. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_692.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)